(„Dans la forêt“ directed by Gilles Marchand, 2016)
Es ist schon ein Jahr her, dass Benjamin (Théo Van de Voorde) und Tom (Timothé Vom Dorp) ihren Vater (Jérémie Elkaïm) das letzte Mal gesehen haben, was zum einen daran liegt, dass die Trennung der Eltern nicht sehr glücklich gewesen ist. Aber auch daran, dass der Franzose daraufhin das Land verließ, um sich in Schweden eine neue Existenz aufzubauen. Und eben dorthin sollen die beiden Brüder gehen, für einen Sommer, worauf beide im Vorfeld keine besonders große Lust haben. Wirklich schwierig wird es jedoch erst, als das Familienoberhaupt auf Zeit die beiden mitnimmt zu einem Ausflug in die weiten Wälder Schwedens und sich dabei zunehmend seltsam verhält.
Manchmal sitzt man in einem Beitrag vom Fantasy Filmfest und ärgert sich. Bei Into the Forest zum Beispiel. Nicht weil die französisch-schwedische Produktion schlecht wäre. Im Gegenteil: Sie ist zu gut. Zu gut dafür, dass sich nur eine Handvoll Menschen ins Kino verirrt haben, gerade auch, wenn im krassen Gegensatz die Besucher im Anschluss für das folgende unerträgliche Trashdesaster The Greasy Strangler Schlange standen. Wobei das offensichtliche Desinteresse auch ein bisschen hausgemacht war, schließlich findet man kaum Infos zum Film im Netz, keinen Trailer, kein Poster, keine Reviews. Auf der französischen Wikipedia-Seite zu Regisseur und Ko-Autor Gilles Marchand findet sich nicht einmal ein Eintrag zu seinem neuesten Werk. Das wird sich sicherlich noch ändern, schließlich folgt der französische Kinostart erst im Februar 2017. Den Film jetzt schon zu zeigen, das war dann jedoch eine vergeudete Gelegenheit, ihm das Publikum zu bieten, welches er verdient hätte.
Wobei die Chancen gutstehen, dass selbst unter besseren Voraussetzungen Into the Forest untergegangen wäre. Ein Vater nimmt zwei Söhne mit in den Wald … und dann? Und dann eigentlich nichts. Der Film ist keiner, der mit großen Wendungen versucht, die Zuschauer zu fesseln. Ebenso wenig gibt es große Actionsequenzen oder Jump Scares, ohne die heute ja kaum ein Horrorstreifen mehr auskommt. Stattdessen besticht der Film gerade durch eine Atmosphäre, die ruhig und beunruhigend zugleich ist. In einer der treffendsten Dialoge beklagt Tom die lauten Geräusche im nächtlichen Wald, woraufhin sein Vater erwidert, dass es gerade die Stille ist, der im Vergleich zu den Verhältnissen in der Stadt Mangel an Geräuschen, welche einen besser hören lassen, was eigentlich da ist.
Und das ist dann auch das Prinzip von Marchand: Er lässt nach und nach das an die Oberfläche treten, was zuvor schon lange darunter rumorte. Was schon immer da war, vergessen oder auch nicht beachtet. Dass Tom beispielsweise wie sein Vater auch ein Talent zum Hellsehen bzw. zur Telepathie hat, ist ebenso wenig ein Zufall wie sein anfänglicher Besuch bei einer Kindertherapeutin oder der nie genannte Name des Vaters. Wer ist dieser Mann? Was hat es mit dem anderen auf sich, jenem seltsam verunstalteten Mann, den Tom immer wieder sieht? Richtige Antworten verweigert der Film, lässt die Zuschauer selbst grübeln. Und eben auch ein wenig zittern.
Dass die weitläufigen schwedischen Wälder dankbare Kulissen für düstere und rätselhafte Stoffe abgeben, das bewies unlängst Jordskott. Und dem stehen sie hier in nichts nach. Ständig knackt etwas, scheint jemand umherzuschleichen, während wir immer tiefer in die Wildnis vordringen, letzte Zeichen der Zivilisation hinter uns lassen, nicht einmal mehr Handyempfang haben. Trotz der Weitläufigkeit entsteht auf diese Weise ein sehr schön klaustrophobisches Gefühl, denn ohne ihren Vater finden die Jungs nie wieder heraus aus diesem Labyrinth aus Bäumen, Seen und Felsen, welches selbst den Toilettengang zu einem Abenteuer werden lässt. Doch es ist weniger das Dunkel der Wälder, das sich langsam seinen Weg ins Licht bahnt und damit für eine konstante Anspannung sorgt, sondern die Abgründe in den Menschen. Die Furcht vor dem, was in uns und den anderen lauert. Es ist bewundernswert, mit welch einfachen Mitteln dieser kleine Mysterythriller eben diese Furcht nährt, sich nur auf kleine Szenen, den Schauplatz und die drei Darsteller verlassend, die der Geschichte nicht nur eine unheimliche, sondern auch traurige und sehnsuchtsvolle Note geben, am Ende auch von nicht mehr funktionierenden Familien handeln und der Suche nach dem Glück. Ein bisschen mehr Inhalt wäre sicher nicht verkehrt gewesen, anstatt das Publikum ähnlich hilflos durch die Wälder irren zu lassen wie die beiden jungen Protagonisten. Aber wer sich nicht daran stört, wenn ein Film lieber nur andeutet, anstatt zu zeigen oder zu erklären, der findet hier einen stimmungsvollen Genrevertreter, dem man wünschen würde, vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal in einem etwas dankbareren Rahmen nach Deutschland zu kommen.
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