Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra

Inhalt / Kritik

„Gomorra“ // Deutschland-Start: 11. September 2008 (Kino) // 19. März 2009 (DVD/Blu-ray)

Kein Der Pate, kein Scarface, kein GoodFellas. Der Film von Matteo Garrone über die italienische Mafia Camorra wirkt dokumentarisch. Mit gutem Grund. Das Drehbuch basiert auf dem Bestsellerroman von Roberto Saviano, dem die meisten der Figuren im echten Leben entweder selbst begegnet oder Schicksalsberichte über sie zu Ohren gekommen sind. Die Fakten sind wohl auch zu tragisch, um sie noch zusätzlich zu dramatisieren oder gar zu romantisieren.

Die Camorra, eine Mafia mit Hauptsitz in Neapel, deren Ursprünge ins 15 Jahrhundert zurückreicht, wurde während des Zweiten Weltkrieges durch die Faschisten fast ausradiert, feierte aber 1970 ihre Wiederauferstehung als Nuova Camorra Organizzata (NCO). Seitdem hat sie sich durch illegale und legale Geschäfte zu einer der wirtschaftlich bedeutendsten Organisationen Italiens entwickelt. 4000 Menschenleben sind in dieser Zeit von der Camorra ausgelöscht, um das Zigfache andere zerstört worden. Der Terror, den diese Mafia verbreitet, wurde von keiner politischen oder religiösen Organisation jemals mit dieser alle Lebensbereiche durchdringenden Ausweglosigkeit erzeugt. In den Gebieten, in denen die Clans ihre Geschäfte abwickeln, hat sich der Staat zurückgezogen oder wird durch Korruption unterwandert. Die Polizei wird zwar gefürchtet, ist aber gegen die gut organisierten Banden machtlos.

Die Reise in das Reich der Camorra besitzt keinen Unterhaltungswert. Vielmehr erzeugt sie Wut, Abscheu, fast Ekel vor der gnadenlosen Realität in der sich große Teile der Bevölkerung Neapels befinden. Der Plot besteht aus 5 Handlungssträngen, die grundsätzlich nichts miteinander zu tun haben, außer, dass sie im selben Umfeld (Neapel und Umgebung) und während der Zeit eines Krieges zwischen den sich konkurrierenden Banden Scissionisti di Secondigliano und Clan Di Lauro stattfinden.

Toto (Salvatore Abruzzese) lebt im Stadteil Scampia. Sein Vater sitzt im Gefängnis und seine Mutter wird von den Scissionisti finanziell unterstützt. Der fast noch kindlich wirkende Junge setzt aber mehr Vertrauen in den Clan Di Lauro und beginnt, Kuriertätigkeiten für diesen zu übernehmen. Dadurch gerät er zwischen die Fronten und als bei einer Schießerei ein Mitglied seiner Gruppe getötet wird setzen ihn seine „Freunde“ so unter Druck, dass er schließlich seine eigene Mutter in eine tödliche Falle lockt.

Im selben Krieg ist Don Ciro (Gianfelice Imparato) gefangen. Er ist Buchhalter und überbringt Witwen und Angehörigen von Inhaftierten eine Art Pensionszahlung (die aber meist kaum zum Leben ausreicht). Nachdem er selbst Morddrohungen und Einschüchterungen erdulden musste, traut er sich nur mehr mit kugelsicherer Weste auf die Straße und vermeidet jedes unnötige Gespräch. Der Mann, der ein Leben lang ohne viel nachzufragen seine Dienste für die Mafia verrichtet hat, will nun aussteigen. Sein Boss lässt ihn aber nicht gehen. Schließlich verrät Don Ciro der gegnerischen Seite den Ort und Zeitpunkt einer Geldauszahlung. Bei dem Überfall werden alle Anwesenden bis auf ihn erschossen und er verlässt blutverschmiert und unter Schock den Tatort.

Roberto (Carmine Paternoster) ist in der „glücklichen“ Lage, eine höhere Position in der Camorra bekommen zu haben. Der junge Mann wird Sekretär des Hauptverantwortlichen für die Giftmüllentsorgung. Ein lukratives Geschäft, bei dem Giftmüll von Firmen aus ganz Europa abgenommen und in illegalen Deponien verscharrt wird (Würde man den Giftmüll, der in den letzten 30 Jahren „entsorgt“ wurde, auf einer Fläche von drei Hektar stapeln, dann entstünde ein Gebirge, das doppelt so hoch wie der Mt. Everest wäre). Nach einigen Wochen Einarbeitungszeit erkennt Roberto die ganze Tragweite seiner Tätigkeit und wendet sich angewidert von seinem Arbeitgeber ab, welcher ihn unter Beschimpfungen und Vorwürfen gehen lässt.

Der Schneider Pascale (Salvatore Cantalupo) arbeitet Tag und Nacht als Designer von Ballkleidern für die großen Modehäuser. Die Gewinne streicht allerdings sein Boss ein, der wiederum der Mafia Abgaben leisten muss. Eines Tages wird er von einem chinesischen Fabriksbesitzer angeworben für 2000 Euro pro Stunde, um dessen Arbeiter im Schneidern zu unterrichten. Die chinesischen Einwanderer sind Konkurrenten der Mafia, deshalb muss alles in der Nacht unter Sicherheitsvorkehrungen passieren. Die Mafia erfährt trotzdem davon und Pascale überlebt mit schweren Verletzungen einen Mordanschlag. Schließlich gibt er seinen Job auf und arbeitet als LKW Fahrer.

Zu „guter“ Letzt sind da noch die beiden jugendlichen Dummköpfe Marco (Marco Macor) und Ciro (Ciro Petrone). Sie gehören keinem Clan an, träumen aber davon, als Gangster ihr Viertel zu beherrschen. Es gelingt ihnen ein Waffendepot zu plündern und Drogen zu erbeuten. Dieses Verhalten untergräbt natürlich die Machtposition der dort ansässigen Bosse, die sie vorerst mit Schlägerkommandos dazu bringen wollen die Waffen zurückzugeben. Als sie selbst nach einer Einladung für den Clan zu arbeiten arrogant ablehnen, werden sie in eine Falle gelockt und erschossen.

Trocken und nervenaufreibend schleppen sich die 135 Minuten langsam dahin. Die Kamera (Marco Onorato) schafft es, im Zuseher einen Stressmoment aufrecht zu erhalten, ansonsten kann man nicht von Spannungsbögen sprechen. Die Schauspieler sind größtenteils Laien aus der Umgebung der Drehorte. Von den Profis ist bis auf Salvatore Cantalupo (Pasquale) und Gianfelice Imparato (Don Ciro) auch keine schauspielerische Hochleistung zu erwarten.

Dennoch ist Gomorrah ein Film, den man sich ansehen sollte, wenn man von politischen und sozialen Konfliktherden eine Ahnung haben will. Die Machenschaften einer Mafia wurden wohl noch nie so realistisch in einem Film umgesetzt. Zu erwähnen ist vielleicht noch, dass selbst in der Originalsprache (Italienisch) Untertitel eingeblendet sind, weil größtenteils in Dialekt und den Slangs der Banden gesprochen wird.

Der Film wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt und in der internationalen Presse nur positiv bewertet. Als Filmliebhaber stehe ich Gomorrah zwiegespalten gegenüber. Einerseits bemängle ich die kaum vorhandenen künstlerischen Elemente und erwarte mir von einem Spielfilm auch mehr als nur eine schonungslose Darstellung der Realität. Andererseits bin ich froh, so viele Details über die Camorra erfahren zu haben und bewundere den Mut und die Entschlossenheit des Regisseurs wie auch des Romanautors, so eine Erzählung umzusetzen.

Also unbedingt ansehen, aber vielleicht nicht wenn man sich grade auf einen Blockbuster eingestellt hat!

Credits

OT: „Gomorra“
Land: Italien
Jahr: 2008
Regie: Matteo Garrone
Drehbuch: Matteo Garrone, Roberto Saviano, Maurizio Braucci, Ugo Chiti, Gianni Di Gregorio, Massimo Gaudioso
Vorlage: Roberto Saviano
Kamera: Marco Onorato
Besetzung: Toni Servillo, Gianfelice Imparato, Maria Nazionale, Salvatore Cantalupo, Gigio Morra, Salvatore Abruzzese, Marco Macor, Ciro Petrone, Carmine Paternoster

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
BAFTA Awards 2009 Bester fremdsprachiger Film Nominierung
Cannes 2008 Goldene Palme Nominierung
Großer Preis der Jury Sieg
Golden Globes 2009 Bester fremdsprachiger Film Nominierung

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