Die Reifeprüfung The Graduate

Die Reifeprüfung

Kritik Sam Spade

Die Reifeprüfung
„Die Reifeprüfung“ // Deutschland-Start: 6. September 1968 (Kino)

Mike Nichols‚ Komödie ist der Beginn des New Hollywood und steht bis heute auf Platz 17 der besten amerikanischen Filme. The Graduate ist außerdem eine scharfsinnige Beobachtung des Lebens der Reichen, und wenn man einmal genauer hinsieht, bemerkt man auch, dass alle Figuren sehr lebensecht gezeichnet sind. Die Handlung ist dagegen sehr banal und man kann gar nicht glauben, dass diese der Stoff zu solch einem genialen Film ist.

Ben Braddock (Dustin Hoffman) kehrt nach dem Ende seiner College-Zeit nach Los Angeles zurück, wo seine Eltern in einem vornehmen Viertel leben. Zu seinen Ehren geben sie eine Party, auf der allerdings nicht Ben, sondern nur die Geschäftsfreunde seines Vaters anwesend sind. Jedoch bemerkt keiner der Anwesenden, dass Ben, der außerordentlich erfolgreich seinen Abschluss gemacht hat, in Wahrheit noch gar nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll. Am späteren Abend bringt er dann Mrs. Robinson (Anne Bancroft) in seinem neuen Wagen, einem Alfa Romeo (ein Modell, dass später unter dem Namen Graduate Spider bekannt wurde) nach Hause. Ihr Mann (Murray Hamilton) ist der wichtigste Geschäftspartner von Bens Vater. Unter einem Vorwand bittet die doppelt so alte Frau Benjamin nun ins Haus und versucht ihn zu verführen, worauf der junge Mann, der in der nächsten Woche seinen 21. Geburtstag feiert, sehr nervös wird. Er ist dankbar, als Mr. Robinson nach Hause kommt und er selbst endlich nach Hause kann, allerdings erst nachdem er mit dem müde wirkenden Mann ein Glas Whiskey getrunken hat. Als Ben dann seinen Geburtstag feiert, bekommt er einen Taucheranzug geschenkt, der quasi als Metapher für seine Isolation stehen kann. Seine Eltern verstehen seine Probleme bezüglich seiner Zukunft jedoch nicht und ignorieren seine Versuche, mit ihnen zu reden. Schließlich ruft Benjamin Mrs. Robinson an und verabredet sich mit ihr in einem nahegelegenen Hotel. Als nach einiger Zeit jedoch die Tochter der Robinsons, Elaine (Katherine Ross), auftaucht und Ben sich in sie verliebt, wird ihre Mutter zur Furie.

Die Reifeprüfung ist ohne Frage eine der besten Satiren überhaupt. Dem damals jungen Regisseur Mike Nichols ist hier nach seiner Edward Albee Verfilmung Who’s afraid of Virginia Woolf ? sein zweites Meisterwerk gelungen, auf das dann auch die ausgezeichnete Militärfarce Catch 22 folgte, die bis heute sehr umstritten ist. Jüngst drehte der heute über 70-jährige Regisseur die Politsatire Der Krieg des Charlie Wilson, in der neben Tom Hanks auch Julia Roberts und Philip Seymour Hoffman spielten. Die Regie bei Die Reifeprüfung führte er sehr gut und vor allem leitete er Hoffman ausgezeichnet durch den Film.

Die Schauspieler sind durch und durch großartig gewählt: Da von ihm ja bereits die Rede war, beginne ich mit dem genialen Dustin Hoffman, der hier in seiner ersten großen Rolle zu sehen ist. Im Produktionsjahr 1967 war er bereits dreißig Jahre alt, doch weil er beim Vorsprechen für die Rolle sehr unsicher und nervös wirkte, schien er für den Part des unsicheren jungen Ben perfekt und tatsächlich ist seine Darstellung als absolut großartig zu bewerten. Gerade die Gestiken und seine Unsicherheit lässt der Schauspieler perfekt in die Rolle einfließen und auch wirken. Als Mrs. Robinson erleben wir Anne Bancroft, die in ihrer Rolle im Film durchgehend wächst und gerade als zornige Furie wirklich superb spielt. Katherine Ross spielt die junge Elaine Robinson sehr schüchtern und leider verblasst sie ein wenig gegenüber Hoffman und Bancroft, aber auch sie hat einige sehr schöne Szenen. Scheinbar war sie auf die Rolle des netten Mädchens festgelegt, denn eine ähnliche Rolle spielte sie bereits in der Episode Kobalt 60 der Serie Alfred Hitchcock zeigt. Als Mr. Robinson glänzt Murray Hamilton, den man auch als Bürgermeister Vaughn in Steven Spielbergs Der Weiße Hai kennt. Für die Musik zeichnet sich die Gruppe Simon and Garfunkel verantwortlich, die eine völlig neue Art von Filmscore ablieferten der den Inhalt der Geschichte um den Film einmalig gut trifft und aus dem vor allem die Songs Mrs Robinson, und natürlich The Sound of Silence bekannt sein dürften.

Auch innovativ war die Tatsache, dass manche Szenen speziell für die Musik gedreht zu sein schienen, so z.B. Bens Fahrt nach Berkeley um Elaine zu besuchen, in der der wunderschöne Kanon Scarborough Fair erklingt. Die Anfangsszene in der Hoffman den Flughafen verlässt und bei der TSoS erklingt wurde übrigens von Quentin Tarantino für seinen Film Jackie Brown kopiert (nämlich als die Hauptdarstellerin den Los Angeles Airport verlässt). Das Album zum Film wurde übrigens zum größten Erfolg für das Duo.

Die Kamera übernahm Robert Surtees der teilweise Bilder einfängt, die eine unheimliche Kraft haben. Seine Aufgabe fällt vor allem in den besagten „Musikszenen“ ins Gewicht, doch er meistert es bravourös. Neben Mike Nichols arbeitete er auch noch für Fred Zinnemann (Oklahoma!, 1955) und William Wyler (Ben Hur, 1959).

Das Drehbuch schrieben Calder Willingham und Buck Henry nach dem Roman von Charles Webb und die Umsetzung ist als superb zu bewerten, denn es gelingt ihnen nicht nur den Roman toll umzusetzen, sondern sie bauen auch noch sehr viele großartige Running Gags ein wie z.B. dass Ben Bourbon verlangt, ihm aber trotzdem immer Scotch gereicht wird. Der Humor ist im Film durchgehend trocken, aber durchwegs sehr amüsant. Henry hat nebenbei bemerkt auch noch einen Gastauftritt als Pensionswirt in Berkeley, wo Elaine studiert. Die Geschichte spielt in einem typischen Umfeld der Reichen in Kalifornien und die beiden Drehbuchautoren zeigen mit dem Regisseur Nichols ein perfektes Umfeld für diese Figuren. Wer einmal Budd Schulbergs Roman Was treibt Sammy an? gelesen hat, wird verstehen, wie die beiden Geschäftsleute Braddock und Robinson zu ihrem Reichtum gekommen sind. Mrs. Robinson scheint hingegen von ihrem Leben gelangweilt und lässt sich deshalb auf die Beziehung mit Ben ein.

Was macht also diesen Klassiker letztlich so großartig, dass er bis heute als eine der besten Gesellschaftssatiren aller Zeiten gilt? Da wären die Darsteller auf Höchstleistung, das exzellente Skript, die Musik und die Regie, aber das alles genügt mir noch nicht. Ich denke, der Film ist schlussendlich deshalb ein Meisterwerk, weil er bis heute Gültigkeit hat und man ihn immer wieder neu entdecken kann. Das er dabei in einem Film wie American Pie referenziert wird, kann schon irgendwie weh tun. Die DVD gibt es in ziemlich vielen Versionen. Wer eine wirklich schöne Sammlerausgabe haben möchte, der sollte auf die von Arthaus zurückgreifen, während es auch eine sehr günstige Ausgabe aus einer Zeitungsreihe gibt.

Meiner Meinung nach ist der Film absolute Pflicht, denn er bricht mit den Regeln des alten Hollywood, ähnlich wie die Nouvelle Vague mit dem alten französischen Kino abgerechnet hat. Mit diesem Streifen beginnt eine neue Filmära, in der auch Klassiker wie American Graffiti entstanden sind. Ein absolutes Muss also für jeden, der sich für dieses Medium interessiert.



(Anzeige)

8
von 10