Milk

Milk

(„Milk“ directed by Gus van Sant, 2008)

MilkGus van Sant machte sich bisher unter anderem einen Namen mit Dramen wie „Good Will Hunting“, Elephant“ oder „Paranoid Park“. Und nun folgt also ein Biopic über den homosexuellen Bürgerrechtler und Politiker Harvey Milk. Zeitgleich sollte sich ein anderer politischer Außenseiter anschicken – Barack Obama – seine eigene Erfolgsstory zu schreiben. Es stellt sich also die Frage, ob van Sant mit „Milk“ tatsächlich ein Gespür für einen zeitgeschichtlichen Querverweis unter Beweis stellt oder, ob es sich nur um einen Zufall handelt, dass die beiden Politikerbiographien etliche Parallelen aufweisen.
San Francisco, 1972. Nachdem der 40-jährige Harvey Milk (Sean Penn) zusammen mit seinem Liebhaber Scott Smith (James Franco) von der Ostküste (New York) an die Westküste zur liberalen Hippie-Hochburg umgezogen ist, entwickelt er eine Leidenschaft für Politik. Nachdem er zusammen mit Cleve Jones (Emile Hirsch) und weiteren Gleichgesinnten den Kern homosexuelle Bürgerrechtsbewegung San Franciscos gebildet hat, bewirbt er sich für das Amt als Stadtrat. Das Interesse für sein erwachtes Engagement sind die Ungerechtigkeiten, mit denen Homosexuelle und andere Minderheiten täglich konfrontiert werden. Nach jahrelangen Wahlniederlagen, schafft es Milk 1977 endlich als erster, sich öffentlich bekennender Homosexueller, Stadtrat von San Francisco zu werden. Im Amt schafft er sich mit seinen zahlreichen Initiativen nicht nur neue Freunde. Stadtrat Dan White (Josh Brolin), der von Milk ins politische Abseits gedrängt wird, entwickelt eine persönliche Feindschaft gegen den Homosexuellen. Zudem starten religiöse Fanatiker eine Homosexuellenfeindliche Hasskampagne quer durch die Vereinigten Staaten von Amerika.
Van Sant setzt Milks Aufstieg und Fall ein filmisches Denkmal, das viele Anspielungen oder Übereinstimmungen mit der Erfolgsgeschichte Obamas aufweist. Obamas Slogan „Change“ ist äquivalent zu Milks Motto „Hope“. Beide, charismatische Persönlichkeiten, repräsentieren Minderheiten. Beide bekleiden stellvertretend für diese Gruppe ein politisches Amt zum allerersten Mal: Obama auf der großen Politikbühne, als Präsident, und Milk auf der politischen Mikroebene, als Stadtrat. Und Beide, dass wird im Film in einer Stelle, als sich ein Bild von telefonierenden Aktivisten aus einzelnen Mosaiken zusammensetzt deutlich, nutzen für ihre Sache die aktuellen Kommunikationsmöglichkeiten. Milk verwendet aber auch seine eigenen Methoden. Bei jeder Kundgebung oder Demonstration begrüßt er seine Auditorium mit dem gleichen Satz: „Hallo, ich bin Harvey Milk, und Ich bin hier um euch zu rekrutieren“, worauf die Gefolgschaft jedesmal in Jubel ausbricht.
Van Sant lässt das Leben im Rückblick durch Milk erzählen. Aus einer gewissen Vorahnung, aber auch durch konkrete Morddrohungen, fertigt dieser sein Testament auf Band an, und beschreibt auf diese Weise seinen politischen Werdegang. Durch diesen narrativen Trick, der schon in vielen Biopics angewendet wurde, ist das tragische Ende Milks allgegenwärtig und bildet den roten Faden in dem Flickenteppich von Milks (politischen) Lebensabschnitt. Dass trotz des bewussten Schicksals Spannung und Unterhaltung aufkommen liegt mitunter an der Erzähltechnik des Regisseurs: van Sant montiert Originalaufnahmen mit authentisch wirkenden Fotografien unter seine Filmsequenzen. Dadurch wird die Geschichte des Protagonisten greifbar. In einer Liebesszene zwischen Penn („Dead Man Walking“, „Attentat auf Richard Nixon“) und Franco („Spider Man“, „Ananas Express“) berührt die wackelnde Kamera fast die Gesichter der sich Liebenden. Auffallend sind darüber hinaus eine Vielzahl an Spiegelungen. Beispielsweise wird in einer Einstellung das Bild beinahe unmerklich durch die Reflexion einer auf dem Boden liegenden Trillerpfeife aufgefangen. Spiegelungen können die Wirklichkeit verzerren oder ihr eine andere Interpretationsmöglichkeit bieten. So wurden die Trillerpfeifen tatsächlich als Schutz von Schwulen um den Hals getragen, um im Fall eines Angriffs Gleichgesinnte zu alarmieren. Die auf dem Boden liegende Pfeife symbolisierte das Scheitern dieser Vorsichtsmaßnahme und verdeutlicht die Notwendigkeit energischerer Maßnahmen zum Schutz von Homosexuellen.
„Ein Homosexueller mit Macht – unheimlich“ – so beschreibt Penn im Film seine derzeitige Situation als Amtsinhaber im Stadtrat. Wirklich unheimlich dagegen ist die schauspielerisch außerirdische Leistung Penns. Mit jeder Sekunde der 128 Minuten des Films unterstreicht er durch seine Gestik und Mimik in herausragender Weise, warum er für die Rolle einen Oscar bekommen hat. Penn muss ein Übermaß an Empathie besitzen und diese mit einer disziplinierten Charakterstudie verbunden haben, so dass er im Film so wirkt, als wäre er sein ganzes Leben schon schwul. Auch der Rest der Besetzung, unter anderem Hirsch („Into the Wild“, „Taking Woodstock“), überzeugen mit ihren Darstellungen als schwule Aktivisten.
Van Sants Adaption von Milks Tonbandaufzeichnungen ist gelungen. Wer sich für diesen Film begeistern konnte, dem sei die für 2010 geplante Biographie-Verfilmung des homosexuellen Beatnik, Kultschriftstellers und Bürgerrechtsaktivisten Allen Ginsberg mit dem Titel „Howl“ empfohlen.



(Anzeige)