(„Amores Perros“ directed by Alejandro González Iñarritu, 2000)
Vor seinem Film Amores Perros konnte der gebürtige Mexikaner Alejandro González Iñarritu lediglich mit einem Beitrag zu der Filmkompilation 11´09´´01 – September 11 auf sich Aufmerksam machen. Das sollte sich mit seinem Erstlingswerk ändern, das gleichzeitig der Opener für seine Trilogie darstellt. Selten konnte ein Filmemacher über drei Filme hinweg das Niveau derart hoch halten wie Iñarritu, der oft auch als der „mexikanische Tarantino“ bezeichnet wird, was irreführend ist, da sich der Mexikaner mit viel ernsthafteren und weniger hedonistischen Themen beschäftigt als Quentin Tarantino. Aber zunächst die Besprechung zu Amores Perros, der Antworten auf die Frage „Was ist Liebe?“ verspricht, indem er drei menschliche Schicksale über einen Autounfall in der Stadt Mexiko miteinander verbindet.
Eine Episode handelt von Octavio (Gael García Bernal) und Susana (Vanessa Bauche). Damit Octavio genügend Geld zusammen bekommt, lässt er seinen Hund Khofi in brutalen Hundekämpfen antreten. Das Geld will er sparen, um mit der Frau seines Bruders Ramiro (Marco Perez), Susana, andernorts ein neues Leben zu beginnen. Die zweite Episode erzählt von dem Fotomodell Valeria (Goya Toledo) und Daniel (Álvaro Guerrero). Die erfolgreiche Valeria ist soeben mit ihrem Hund Richie und dem frisch geschiedenen Daniel, der sein Geld als Verleger verdient, zusammengezogen. Das gemeinsame Glück wird durch den Unfall auf eine harte Probe gestellt. Die letzte Episode dreht sich um den heruntergekommenen El Chivo (Emilio Echevarría), der mit einem guten Dutzend an Hunden zusammen lebt und sich ein Zubrot durch Auftragsmorde verdient. Durch Zufall entdeckt er die Traueranzeige seiner Frau, die er vor Jahrzehnten aufgrund revolutionärer Anliegen verlassen hatte. Auf der Beerdigung sieht er auch ihre gemeinsame wieder.
Zunächst fällt auf, dass alle Protagonisten Hundebesitzer sind. Bereits der Titel Amores Perros (deutsch: „Liebe Hunde“) spielt auf die Vierbeiner an. Die Hunde repräsentieren den Charakter ihrer jeweiligen Besitzer: Während beispielsweise Khofi an sich zahm ist, kann er, wenn es die Situation erfordert, wie sein Herrchen in Aktion treten. Oder der Schoßhund Richie verweist darauf, das Valeria für den egoistischen Daniel lediglich als Spielobjekt dient. Die streunenden Hunde von El Chivo spiegeln den Vagabundencharakter ihres Herrchens wieder.
Daneben bietet Iñarritu eine Milieu-Studie der mexikanischen Ober- (Valeria und Daniel) und Unterschicht (Octavio und Susana). In der Figur El Chivo findet sich schließlich eine Verknüpfung beider Gesellschaftsschichten: Zunächst ehemaliger Guerillero, gehörte er zwischenzeitlich, in der Lebensphase mit seiner Frau, aus der die gemeinsame Tochter stammt, auch der Oberschicht an.
Die Handlung wird nicht in einer chronologischen Abfolge gezeigt, wodurch der Zuschauer gefordert wird. Die Ästhetik in Mexiko City besticht durch grobkörnige Bilder und eine unruhige Kamera, die zusätzlich nah beim Geschehen dabei ist. Der Autounfall, der den Dreh- und Angelpunkt von Amores Perros darstellt, wurde mit neun simultanen Kameras gedreht. Zwei Kameras davon befanden sich auf angrenzenden Hausdächern und eine versteckte Kamera in einem Abfalleimer. Iñarritu bringt unter anderem dadurch, in bis dato nie gesehener Art und Weise, die raue, staubige, dreckige und oftmals auch blutige Straßenwirklichkeit aus Mexiko in die Wohnzimmer der westlichen Welt. Man kann sich dem Geschehen nicht mehr entziehen und befindet sich in einem Strudel, der alle Facetten der Liebe in sich trägt.
Amores Perros sollte auch der Durchbruch für den bis dato unbekannten Gael García Bernal (La Mala Education, The Limits of Control) bedeuten. Sieht man sich seine herausragende Leistung in Iñarritus Debüt an, ist das auch nicht sonderlich verwunderlich. Es fällt sehr schwer, keine Lobeshymne auf Iñarritu zu schreiben, weil bei seinem Debüt nahezu alles stimmt: Selten verbindet sich ein individueller Stil und eine innovative Ästhetik mit einem tiefgehenden Inhalt derart perfekt. Das kennt man sonst nur von Darren Aronofsky (Requiem For A Dream, The Wrestler). Sicherlich erinnert die verschachtelte Erzählweise an Tarantinos Reservoir Dogs oder Pulp Fiction. Nur sind beim zuletzt Genannten die Inhalte nicht tief genug, um mit den anderen beiden mithalten zu können. Von der Atmosphäre bei Amores Perros ausgehend, liegt auch ein Vergleich mit dem Drogen-Thriller Traffic von Steven Soderbergh nahe.
Amores Perros ist ein überwältigender Film über die Fragilität von Glück und Liebe. Er ist zugleich ein Film über Zeit und die Vergangenheit, die einen immer wieder einholt. Im Mikrokosmos Mexiko City zeigt uns Iñarritu in 148 Minuten paradigmatisch einen pantheistischen Ansatz: alles ist miteinander verbunden. Dieses Konzept, so viel sei vorweg genommen, durchzieht auch seine Nachfolgefilme 21 Gramm und Babel wie ein roter Faden.
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