(„Babel“ directed by Alejandro González Iñarritu, 2006)
Mit Babel liegt der letzte Teil von Alejandro González Iñarritus Trilogie über sich kreuzende Lebensschicksale vor. Mit Spannung erwartet man nicht weniger, als ein weiteres Meisterwerk des jungen Regisseurs. Diesmal ist es kein Autounfall, das das verbindende Glied zwischen drei menschlichen Schicksalen darstellt. Und diesmal wird auch der Schauplatz nicht auf einen Ort festgelegt.
Die marokkanischen Hirtenjungen Ahmed (Said Tarchani) und Yussuf (Boubker Ait El Caid) wollen die Durchschlagskraft ihres Winchester-M70-Jagdgewehrs austesten, das ihnen ihr Vater zum Schutz der Herde vor Schakalen mitgegeben hat. Der Vater hat die Waffe einem Nachbarn abgekauft, der sie wiederum von einem japanischen Jäger geschenkt bekommen hatte. Yussuf schießt von einer Bergkuppe aus auf einen herannahenden Reisebus. Das amerikanische Paar Richard (Brad Pitt) und Susan (Cate Blanchett) wollen durch einen Urlaub in Marokko frischen Wind in ihre eingerostete Ehe bringen. In ihrerer Heimat, San Diego, wartet indes die mexikanische Haushälterin Amelia (Adriana Barraza) auf die Rückkehr des Pärchens, damit sie noch rechtzeitig zur Hochzeit ihres Sohnes Luis (Robert Esquivel) in ihrer Heimat erscheint.
Doch die Rückreise ihrer Arbeitgeber verzögert sich auf unbestimmte Zeit, als Susan während einer Busfahrt von einer Kugel verletzt wird. Deswegen nimmt Amelia die Kinder kurzerhand einfach mit nach Mexiko. Doch bei der Rückreise bekommt ihr betrunken fahrender Neffe Santiago (Gael Garcia Bernal) Probleme mit der Polizei. In Tokio leidet die pubertierende Chieko (Rinko Kikuchi) noch immer unter dem Selbstmord ihrer Mutter. Durch Alkohol, Nikotin und Drogenexperimente versucht die Gehörlose ihre Probleme zu vergessen. Ihr Vater Yasujiro (Koji Yakusho) ist Jäger und Geschäftsmann. Ihm gibt Chieko eine Teilschuld am Selbstmord ihrer Mutter.
Der Filmtitel Babel stammt aus dem Hebräischen und verweist auf die altertümliche Hauptstadt Babyloniens – südlich vom heutigen Bagdad (Irak) gelegen. Zugleich ist der Titel auch ein Querverweis auf die biblische Erzählung „Der Turmbau zu Babel“ aus dem Alten Testament (Gen 11,1-9). In dieser Geschichte wird der Turmbau durch die Babylonier, mit dem sie Gott nahe kommen wollen, als Hochmut von Gott bestraft. Die Strafe Gottes endet mit dem so genannten „babylonischen Sprachengewirr“, das es der Menschheit unmöglich machte, vernünftig miteinander zu kommunizieren. Babylon, Babel und der Turm(bau) sind seither Synonyme für menschliche Hybris. Die Stadt symbolisiert auch einen Hort des Sündenfalls, wodurch Babel auch Sinnbild für menschliche Dekadenz sein kann.
Iñarritus Drama kann als moderne Parabel auf den Turmbau zu Babel interpretiert werden und er knüpft insofern an die Strafe Gottes, als dass beispielsweise die Unfähigkeit zur Kommunikation behandelt wird. Trotz weltweiter kommunikativer Vernetzung durch Mobiltelefone und Internet, haben die Protagonisten Schwierigkeiten sich zu verständigen. Richard stößt auf Mitteilungsschwierigkeiten als er behördliche Hilfe für seine angeschossene Frau erbittet, Amelia unterliegt der Verständnislosigkeit der amerikanischen Grenzpolizisten und Chieko kann sich aufgrund ihrer Behinderung ohnehin nur schwer ausdrücken. Auffallend ist in diesem Kontext auch, dass in jedem der Handlungsstränge jeweils zwei Sprachen präsent sind: arabisch und englisch in Marokko, englisch und spanisch in Kalifornien und Nordmexiko, japanisch und die japanische Gebärdensprache in Tokio.
Neben dem Thema „Kommunikationsunfähigkeit“ behandelt Iñarritu auf einer weiteren Ebene die Folgen einer Handlung. Bildlich gesehen, kann ein Schmetterlingsschlag auf der einen Seite der Welt einen Sturm auf der anderen Seite auslösen. Im Film erfährt die Metapher dahingehend eine Konkretisierung, als das Gewehr des japanischen Jägers einen Unfall in Marokko und letztlich auch eine Tragödie an der mexikanisch-amerikanischen Grenze auslöst.
Stilistisch und erzähltechnisch folgt Babel dem Duktus von 21 Gramm. Die Schauspieler wirken auch hier überzeugend – Brad Pitt (Fight Club, Burn After Reading) und Cate Blanchett (Coffee And Cigarettes, Der seltsame Fall des Benjamin Button) wurden wohl als Publikumsmagneten engagiert und werden ihren Rollen auch gerecht. Atmosphärisch und inhaltlich geht der Film stark in Richtung von Traffic (Steven Soderbergh) oder Trade (Marco Kreuzpaintner). Babel ist der fulminanter Abschluss der Trilogie des „Mexikanischen Tarantinos“.
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