(„Das weiße Rauschen“ directed by Hans Weingartner, 2001)
Die Geschichte über einen Schizophrenen ist die Abschlussarbeit von Hans Weingartner für die Kunsthochschule in Köln. Der Erfolg dieses Films ermöglichte ihm Die fetten Jahre sind vorbei und Free Rainer zu drehen. Das weiße Rauschen kann demnach als Schlüsselfilm des jungen Regisseurs angesehen werden.
Lukas Delius (Daniel Brühl) zieht aus der Provinz zu seiner Schwester Kati Delius (Anabelle Lachatte) und deren Freund Jochen (Patrick Joswig) nach Köln. Dort genießt er seine neu erlangte Freiheit, indem er exzessiv feiert und mit Drogen experimentiert. Die Einnahme von psilozybinhaltigen (halluzinogene oder psychoaktive) Pilzen führt dazu, dass Lukas einen „schlechten Trip“ erlebt, in deren Folge er gleichzeitig verschiedene Stimmen hört, die ihn beschimpfen. Für außenstehende ändert sich sein Verhalten insofern, als dass er sich fortan isoliert und aggressiv wird. Nach einem Selbstmordversuch – er springt aus seinem Fenster – wird Lukas in die psychiatrische Klinik eingeliefert, wo seine Schwester erfährt, dass ihr Bruder mit starken Medikamenten behandelt wird.
Das weiße Rauschen ist kein angenehmer Film, aber nichtsdestoweniger ein Filmerlebnis. Wer wissen will, wie eine Psychose bei einem Schizophrenen verlaufen kann, wird bei diesem Film gut bedient. Eine verwackelte DV-Kamera liefert realitätsnahe Bilder „am Mann“. Der Ästhetik müssen aber Abstriche gemacht werden – man sieht dem Film seine Low-Budget-Produktion an. Zudem ist die Tonspur, trotz Berücksichtigung der geringen Finanzmittel, nicht sauber eingespielt, sondern bietet ein wildes Wirrwarr, was nicht als Ausdruck der Krankheit gewertet werden kann. Dafür kann die dezent eingesetzte Musik punkten, die passend ist und stellenweise auch dafür sorgt, dass sich die Zuschauer beruhigen können.
Abgesehen vom filmtechnischen Standpunkt, bietet Das weiße Rauschen einen 104 Minuten umspannenden Plot, der davon erzählt, was passieren kann, wenn Menschen in heiklen Situationen gedankenlos und leichtsinnig miteinander umgehen. Daniel Brühl (Inglourious Basterds) spielt einen sensiblen jungen Mann vom Land, der Pech bei einem Rendezvous hat und einen „Höllentrip“ erwischt. Das ist die gefährliche Mischung, die auf einen zweifelnden Heranwachsenden, der ohnehin zwischen grenzenloser Euphorie und Trübsinn taumelt, psychisch einschlägt, wie eine Bombe. Der Provinzler wird von der Großstadt und zu hohen Erwartungen erdrückt. Zu Beginn des Films zeichnet sich die Katastrophe schon dadurch ab, dass Lukas den Kölner Hauptbahnhof, so wie die Einschreibung in der Universität, als psychischen Terror empfindet. Zur Entschlüsselung der Titelwahl können die Schlusssätze Lukas‘ herangenommen werden:
Das weiße Rauschen – das sind alle Visionen aller Menschen aller Zeiten in einem Augenblick. Wer das weiße Rauschen sieht hat den höchsten Zustand der Erleuchtung erreicht. (…) Das weiße Rauschen ist der ultimative Trip. Wer das weiße Rauschen sieht, der wird sofort wahnsinnig. Außer wenn er war schon wahnsinnig ist. Dann wird er normal.
Für Außenstehende ist er ein Spinner, für Ärzte ein Schizophrener. Er selbst ist auf der Suche nach einem Ort, wo er das Leben so leben kann, wie er es sich vorstellt. Im Gegensatz zu Donnie Darko (Richard Kelly) oder Fight Club (David Fincher) wird in Das weiße Rauschen die Schizophrenie nicht mystifiziert. Vielmehr ähnelt der Film realistischen Ansätzen, wie sie beispielsweise in A Beautiful Mind (Ron Howard), Engel des Universums (Fridrik Thor Fridriksson), Spider (David Cronenberg) oder Harvard Man (James Toback) gezeigt werden. Zudem handelt es sich bei Weingartners Debütarbeit um einen Drogenfilm, der mögliche Kehrseiten der in der Filmlandschaft oft glorifizierten Genussmittel bloßsstellt. In einer Metapher beschreibt Weingarnter im Film Wolken als Visionen. Wenn aber zu viele Wolken da sind, so das Bild weiter, sieht man den Himmel nicht mehr.
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