(„Le procés“ directed by Orson Welles, 1962)
Nachdem der Ausnahmeregisseur Orson Welles (Citizen Kane, Im Zeichen des Bösen) bereits mit Macbeth und Othello (beide: William Shakespeare) Klassiker der Literatur adaptiert hatte, inszenierte er auch Franz Kafkas postum veröffentlichtes Fragment „Der Prozess“.
Der tugendhafte Angestellte Josef K. (Anthony Perkins) erwacht eines Morgens, weil ein fremder Mann in seinem Zimmer steht. Dieser erweist sich als Inspektor und stellt Josef ohne Angaben von Gründen unter Arrest. Als K. dies seiner Nachbarin und Vertrauensperson (Jeanne Moreau), einer anrüchigen Theaterdame, verständlich machen will, kommt es zwischen ihnen zum Streit und Während seines Prozesses erfährt er ebenso wenig, warum er vor Gericht steht. Sein Anwalt (Orson Welles) kann ihm auch nicht viel weiterhelfen, genauso wenig wie dessen Assistentin (Romy Schneider).
Da er sich aber keiner Schuld bewusst ist begegnet K. der Anklage zunächst noch zynisch. Doch nach einem Spießrutenlauf durch die Institutionen der Justiz scheint sich seine Situation nicht verbessert, sondern noch verschlimmert zu haben. Eine sich abwärts drehende Spirale zieht K. in den psychischen Abgrund. Der Roman und der 108 Minuten lange Film erzählen beide von der Gefahr willkürlich handelnder, und mit Allmachten ausgestatteten Justizsystemen. Oder allgemeiner: von der Diskrepanz des Individuums und den anonymen Institutionen.
Während Kafka 1914/15, als er den Roman niederschrieb, visionäre Hellsichtigkeit bewies, weil er die totalitären Systeme des Kommunismus und Faschismus vorwegnahm, könnte Welles Filmadaption als künstlerische Aufarbeitung der antikommunistischen McCarthy-Ära Anfang der 1950er Jahre gedeutet werden. Der damalige Senator Joseph McCarthy veranstaltete öffentlich ausgetragene Schauprozesse, um oftmals Unschuldige ohne Beweise zu verklagen. Eine weitere zeitgenössische Anspielung (Atombombe) des Films ist die Änderung des Schlusses. Welles selbst meinte, dass Der Prozess als seine bis dato autobiographischste Arbeit anzusehen wäre, da er sein gesamtes Leben unter jenem Schuldkomplex litt, welcher in Kafkas Roman geschildert würde. Dies erklärt vielleicht auch die außergewöhnlich exakte Umsetzung der Vorlage.
Aufgefallen ist das perfekt inszenierte Licht. In Der Prozess trägt der Einsatz des Lichts – das daraus resultierende Licht-Schatten-Verhältnis – zu einer stilistisch bemerkenswerten und frisch daherkommenden Ästhetik bei. Überhaupt schuf Welles durch die abgelegenen Drehorte (Bahnhöfe, etc., u.a. in Paris) eine noch heute futuristisch anmutende kafkaeske Welt. Der Einsatz von unnatürlichen Blickwinkeln der Kamera, die beengenden Räume und die labyrinthartigen Räume verschärfen die Atmosphäre des Romans um ein vielfaches und spitzen die Stimmung zu einem Psycho-Thriller zu. Für humoristische Auflockerungen sorgt v.a. Anthony Perkins (Psycho). Sein Zynismus bewahrt nicht nur ihn davor durchzudrehen, sondern erleichtert auch dem Zuschauer die beklemmenden Szenen auszuhalten.
Welles liefert mit Der Prozess einen weiteren Grund dafür, warum er so viele nachfolgende Generationen von Regisseuren beeinflusst hat. Seine Romanverfilmung des tschechischen Schriftstellers ist eine atmosphärisch perfekt übertragene Inszenierung der Vorlage.
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