(„A.I. – Artificial Intelligence“ directed by Steven Spielberg, 2001)
Niemand geringeres als der Science-Fiction erprobte Altmeister Stanley Kubrick (2001: Odysee im Weltraum, Uhrwerk Orange) zeichnet sich verantwortlich für A.I. – Künstliche Intelligenz. Bereits zu Beginn der 1980er Jahre interessierte er sich für eine Filmadaption von Brian Aldiss’ Kurzgeschichte Supertoys Last All Summer Long, die 1969 veröffentlicht wurde. Nachdem er sich die Filmrechte erworben hatte, schob der Perfektionist die Arbeit aufgrund mangelnder technischer Umsetzungsmöglichkeiten immer wieder auf, weil er bei seiner Vision keine Kompromisse eingehen wollte.
So kam es, dass er kurz vor seinem Tod 1999 das Vorhaben an seinen Freund Steven Spielberg übergab. Spielberg hatte bis dato bereits mit Unheimliche Begegnung der dritten Art sowie E.T. – der Außerirdische Science-Fiction-Arbeiten vorzuweisen und sollte nun, quasi als Vermächtnis, Kubricks 80-seitiges Fragment auf die Leinwand bringen. Eine hohe Bürde, selbst für einen ehrgeizigen Spielberg, der für das A.I.-Projekt zum ersten Mal seit 1977 (Unheimliche Begegnung der dritten Art) wieder zur Feder griff, um selbst ein Drehbuch zu schreiben.
Aufgrund der gierigen Industrialisierung und der rücksichtslosen Umweltzerstörung sind in der Mitte des 22. Jahrhunderts die Polkappen geschmolzen. Da der Lebensraum knapp ist, werden die Geburten streng überwacht. Die Überlebenden der Überflutungen erschaffen so genannte „Mechas“ – Roboter, die ein Bewusstsein haben. Sie sparen, einmal hergestellt, Ressourcen und erledigen allerlei Arbeiten. Der neueste Prototyp, den Prof. Hobby (William Hurt) entwickelt hat, heißt David (Haley Joel Osment) und besitzt als erster „Mecha“ (mechanisch) die äußere Form eines elfjährigen Jungen und ist in der Lage, Emotionen wie bedingungslose Liebe zu empfinden. Henry Swinton (Sam Robards) ist Angestellter der Firma, die David produziert. Um sich und seiner Frau Monica (Frances O‘Connor) eine neue Perspektive zu schaffen, nachdem ihr Sohn Martin (Jake Thomas) ins Koma gefallen ist, überredet er diese, David als Kind-Roboter in die Familie aufzunehmen. Nachdem Martin wider Erwarten aus seinem Koma erwacht, setzt Monica David nach mehreren Auseinandersetzungen in einem Wald aus, wo sich David dem Liebes-Mecha Joe (Jude Law) anschließt. Sie geraten in die Hände von Mecha-Jägern, die die Roboter einfangen, um sie bei sensationslüsternen Veranstaltungen zu verschrotten.
Die erste Hälfte des Films beschäftigt sich zunächst vielversprechend mit höchst interessanten philosophischen Fragen (Wo fängt das Menschsein an?) und entspricht wohl dem 80-seitigen Treatment Kubricks. Doch dann kippt der Film leider und es kristallisiert sich die Handschrift des Märchenonkels Spielberg heraus, der in der zweiten Hälfte des Films eine missratene, kunterbunte Märchenerzählung – garantiert ohne versteckte Botschaft, aber dafür mit einer „Blauen Fee“, die einem bereits bei der zweiten Erwähnung derart auf die Nerven geht, so dass man am liebsten gleich ausmachen würde, aber aus Restinteresse doch noch dabei bleibt – präsentiert, die vielleicht den einen oder anderen Sechsjährigen hinter dem viel zitierten Ofen herauslocken kann, jedem Science-Fiction-Interessierten dagegen den Abend (immerhin 145 Minuten) verdirbt.
Der Science-Fiction-Fan ertappt sich demnach nach der guten Stunde bei der „nicht mehr aus dem Kopf gehenden“ Frage, welche Klasse der Film wohl unter der Leitung Kubricks erreicht hätte. Vielleicht hätte es dann kein (unerwünschtes) Update von Carlo Collodis Die wundersamen Abenteuer Pinocchios“aus dem Jahr 1905 gegeben. Gut, es gibt zugegebenermaßen tatsächlich eine Parallele zwischen der sprechenden Holzpuppe von einst und dem (nervigen) dauergrinsenden Haley Joel Osment (Forrest Gump, The Sixth Sense) von morgen. Aber Spielbergs kindliche (in diesem Fall: negative) Freude nimmt doch maßlos überhand.
Die Hommage an Tron (Steven Lisberger) – die leuchtenden Power Rangers-Mecha-Jagdhunde – ist misslungen. Selbst der sonst routinierte Jude Law (Unterwegs nach Cold Mountain) wirkt wie ein mit Meskalin aufgepepptes Aufziehäffchen. An der Filmmusik von John Williams gibt es im Großen und Ganzen dagegen nichts auszusetzen. Er scheint trotz (oder wegen?) Spielberg nicht völlig die Fassung verloren zu haben, weil sein eingespielter Score durchaus an Kubricks Klangteppiche erinnert. Die vielgerühmte Maske aus der Hand von Stan Winston (Terminator 2 – Tag der Abrechnung) erfüllt auch in Spielbergs Märchenstunde seinen Zweck – wenn das „Innere“ der Mechas präsentiert wird sieht das schon überzeugend aus.
Man muss sich A.I. – Künstliche Intelligenz als Zwiebel vorstellen: man muss als Zuschauer bildlich gesprochen unter Verlust von Tränen zunächst die äußere Haut (Spielberg) entfernen, um schlussendlich zum Bedeutungskern (Kubrick) vorzudringen. Den klassischen Film-Dystopien wie THX 1138 (George Lucas) oder Blade Runner (Ridley Scott) oder neueren Ansätzen wie Gattaca (Andrew Niccol) kann A.I. – Künstliche Intelligenz nicht das Wasser reichen.
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