(„À bout de souffle“ directed by Jean-Luc Godard, 1960)
Nachdem François Truffaut mit Sie küssten und sie schlugen ihn 1959 den ersten Film im Sinne der Nouvelle Vague inszeniert hatte, folgte ein Jahr später sein Kollege Jean-Luc Godard. Der Autodidakt hat nicht „Film“, sondern Ethnologie studiert. Die Regiearbeit hat er sich, ähnlich wie der deutsche expressionistische Filmemacher Friedrich Wilhelm Murnau, durch analytisches Filmeschauen und als Filmkritiker des „Cahiers du Cinema“ selbst beigebracht. Mit Hilfe von Truffaut (Drehbuch nach einem Zeitungsbericht über einen Polizistenmord) und dem Nouvelle Vague-Regisseur Claude Chabrol (Technikberatung) drehte in nur vier Wochen den Filmklassiker Außer Atem.
Der Bonvivant Michel Poiccard (Jean-Paul Belmondo) erschießt einen Polizisten, nachdem er in einer gestohlenen Luxuslimousine wegen überhöhter Geschwindigkeit von einem Polizisten nach einer Verfolgungsjagd gestellt wurde. Der rebellische Kriminelle flieht nach Paris und taucht bei seiner amerikanischen Bekannten Patricia Franchini (Jean Seberg) unter. Michel will die angehende Studentin und Reporterin überreden mit ihm nach Italien zu fahren. Als die Polizei Patricia auf der Arbeit wegen ihrem Kontakt zu Michel zur Rede stellt, muss sie sich entscheiden: Will sie weiterhin in Frankreich arbeiten – denn der Kommissar droht ihre Arbeitserlaubnis zu entziehen – oder entscheidet sie sich für ihr unentschlossenes Gefühl für Michel?
Außer Atem in erster Linie aufgrund seiner filmtechnischen Neuerungen in die Filmgeschichte eingegangen. So drehte der Kameramann Raoul Coutard mit einer Handkamera. Godard verzichtete vollständig auf Studioaufnahmen und drehte weitestgehend auf den Pariser Straßen. Zudem setzte er kein künstliches Licht zur Beleuchtung ein. Berühmtheit erzielte der Film jedoch durch seine erstmals bewusst als Stilmittel eingesetzten „Jump-Cuts“. Gemeinhin gelten diese Schnitte als Fehler des Cutters, weil man beispielsweise unlogische Bilder erhält, wenn vorbeifahrende Autos im Hintergrund in der nächsten Sekunde plötzlich fehlen. Unerklärlicherweise entstehen dabei keine holprigen Szenen, sonder eher das Gegenteil tritt ein: der Erzählfluss nimmt dadurch an Fahrt erst richtig auf.
Auch inhaltlich überschreitet der französische Regisseur die Filmgrenzen. Entsprechend der Nouvelle Vague-Doktrin dem Regisseur mehr individuellen Spielraum und Unabhängigkeit von den Drehbuchautoren zu geben. So skizziert er mit der Figur des grandios spielenden Belmondo einen neuen (Anti-)Helden-Typus: ein Held, der Humphrey Bogart (Die Spur des Falken, Gangster in Key Largo) als Gangsterfigur aus dem Film Noir nachahmt, innerlich orientierungslos und äußerlich zielstrebig wirkt, dessen Worte und Taten sich unterscheiden. Auch Jean Seeberg repräsentiert einen Frauentyp, der sich von der passiven Femme Fatale aus dem Film Noir grundsätzlich unterscheidet: sie genießt zwar die Zweisamkeit mit dem Ganoven, jedoch hat sie ihren eigenen Kopf, ist aufgrund ihrer Arbeit unabhängig und auf ihre Art kaltblütig.
Aus heutiger Sicht klingt das, was Godard da in 86 Minuten präsentiert, zwar recht banal. Damals war die Schnitttechnik jedoch neu, die heute vor allem noch in Musikvideoclips ganz selbstverständlich verwendet wird. Godard brachte nicht nur den Alltag und das gewöhnliche Stadtleben auf die Leinwand, sondern präsentierte einen fortan vielzitierten neuen Heldentypus. Außerdem fing Godard mit seiner Arbeit den damals angesagten Existenzialismus auf, der vor allem von Schriftstellern wie Albert Camus oder Jean-Paul Sartre getragen wurde. Im Film wird das durch viele Dialogen zwischen Belmondo und Seeberg deutlich, in denen sie Zweifel bezüglich ihres Lebens offenbaren. Die Jazzmusik stammt von Martial Solal – klingt gut, passt aber nicht immer zu den Szenen und wird mit dem Fortschritt des Films monoton, weil sie nicht variiert wird.
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