(„Wild At Heart“ directed by David Lynch, 1990)
Im Vergleich zu seinem letzten Kinostreifen Inland Empire empfand ich diesen früheren Lynch dann doch als relativ „angenehm“. Dabei ist Wild At Heart bestimmt kein Flick den man sich eben mal in einer lustigen Runde mit Bier und Popcorn reinziehen kann. Nein, wie immer entführt uns der Ausnahmeregisseur zu den tiefsten Abgründen der Menschheit doch im Gegensatz zu anderen Werken gibt es hier am Ende einen deutlichen Hoffnungsschimmer den David Lynch da in sein Roadmovie verstrickt hat.
Auf dieser Reise die sich vorwiegend in den Südstaaten der USA abspielt, verfolgen wir als Zuschauer seine Protagonisten, Laura Dern als die zwanzigjährige Lula Fortune und dessen Freund Sailor Ripley (Nicolas Cage). Nachdem Sailor auf einer Party einen Mann mit den bloßen Händen wortwörtlich den Kopf einschlägt, versucht Lauras Mutter, Marietta (Diane Ladd) ihre Tochter vor diesen Monstrum fernzuhalten. Doch auch diese scheint nicht eine lupenreine Weste zu haben und neben ihrem augenscheinlichen Alkoholmissbrauch noch ganz andere Leichen im Keller vergraben zu halten. So erfährt man nach und nach dass sie irgendwie in Verbindung zu Gangsterboss Marcelles Santos (J.E. Freeman) steht, für den einst Sailor als Fahrer arbeitete. Das alles hält aber das Liebespaar nicht davon ab durchzubrennen, denn schließlich sind sie jung, frisch verliebt und die Welt liegt ihnen scheinbar zu Füßen. Mariettas Mutter manipuliert inzwischen einen ihrer Verehrer (Harry Dean Stanton) indem sie ihm sexuelle Avancen macht und mobilisiert gleichzeitig auch Santos der wiederum seine kranken Killer (Isabella Rossellini, Grace Zabriskie und Calvin Lockhart) auf den Plan ruft. Mit diesen zwielichtigen Gestalten im Nacken soll es Sailor auf keinen Fall gelingen mit ihrer kleinen Lula abzuhauen. Außerdem scheint Marietta ein persönliches Interesse an Sailor zu haben was den Zuschauer sogleich auf ihr gemeinsames Geheimnis aufmerksam macht…
Basierend auf dem Buch von Barry Gifford wird der Beobachter in ca. 2 Stunden mit äußerst skurrilen Situationen und gewolltem übertriebenem Schauspiel konfrontiert das auf die Dauer ganz schön anstrengend sein kann. Dabei bleibt der Plot aber immer klar ersichtlich was bei Lynch nicht immer so selbstverständlich ist. Es besteht also m.E. nicht die Gefahr dass man sich wie im bereits zitierten Inland Empire allein gelassen fühlt. Dennoch spielt der Film diverse Ebenen an, so sehen viele darin eine Hommage an Der Zauberer von Oz, was nicht zuletzt dadurch untermauert wird dass dieser Film zwei oder gar dreimal erwähnt wird.
Die Leistung von Laura Dern ist bemerkenswert und auch Nic Cage macht seine Arbeit gut. Besonders gefallen fand ich aber an Willem Dafoe, der seine Rolle als verrückter und notgeiler Südstaatler (Bobby Peru) grandios spielt. Bobby wird es sein der im Film noch einmal Sailor dazu überreden wird ein krummes Ding zu drehen auch wenn dieser es sich abgeschworen hat und nur noch für seine Freundin da sein möchte, die zu diesem Zeitpunkt sogar von ihm schwanger ist.
David Lynch inszeniert also nicht nur ein Roadmovie sondern im Prinzip eine groß angelegte Romanze, die am Ende sogar unerwartet siegen wird. Die einzelnen Charaktere haben ihre Fehler und Unebenheiten die wie erwähnt durch das übertriebene Schauspiel nochmals besonders zur Geltung gebracht werden. Technisch gesehen war für mich Wild At Heart sicherlich keine Offenbarung auch wenn Lynch öfters mit Visionen oder Rückblenden aus verschiedenen Perspektiven spielt. Für das Kinopublikum von damals war das Werkt visuell sowie akustisch aber sicherlich auf einem hohen Niveau. Bereits hier spielte übrigens der Ton oder besser gesagt der Bass als deprimierendes Mittel eine wichtige Rolle für Lynch (bei Inland Empire empfand ich beispielsweise die Tiefen als höchste verstörend, schweißtreibend und sogar bedrohlich). Der Verantwortliche dafür, Angelo Badalamenti, hat übrigens noch in vielen anderen seiner Filme mitgewirkt.
Auffallend ist dass auch bei Wild At Heart die zentrale Rolle wiederum eine Frau einnimmt, deren Vorgeschichte nicht unbedingt (oder vielleicht gerade deshalb?) mit „durchschnittliches, amerikanisches Vorstadtmädchen“ beschrieben werden kann. Viel mehr handelt es sich auch hier um ein tragische Figur – von klein auf mit Gangstern konfrontiert, mit 13 vergewaltigt, vor kurzem ist ihr Vater verstorben – was verständlich macht warum sie sich von einer starken und furchtlosen Persönlichkeit wie Sailor angezogen fühlt und Metal-Konzerte als Ventil benutzt. Umgekehrt sucht Sailor der in seiner Kindheit keine Zuneigung erfahren hat geschweige denn seine Eltern überhaupt kennt, Nähe und Zärtlichkeit. Sein Entschluss am Ende des Streifen nicht davonzulaufen sondern für seine Familie zu sorgen erscheint mir daher als logische Konsequenz aber zugleich als sehr „unlynchisch“, zeichnet dieser doch lieber negative Menschenbilder und beteuerte auch mehrmals er wolle der Gesellschaft damit ein (ungern gesehenes) Spiegelbild vor Augen halten.
Nichtdestotrotz ein gelungener Film den man aber nicht unbedingt mögen muss, vor allem wenn man besagtes Spiegelbild zwar kennt aber nicht unbedingt sehen möchte. Empfehlenswerter und irgendwie ansprechender finde ich dann aber doch die neueren, durch und durch verstörten Werke wie Mulholland Drive oder Lost Highway. Eine weitere Parallele scheint sich übrigens auch hier durch seine Filme zu ziehen, schließlich gibt es auch in Wild At Heart Autounfälle die seine Figuren zum nachdenken/aufwachen bringen.
Wer Lynch mag wird auch diesen Film mögen oder vermutlich schon längst kennen.
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