(„Tideland“ directed by Terry Gilliam, 2005)
Nachdem Terry Gilliam mit den Produzenten von Brothers Grimm in Zwist geraten war wandte er sich aus Protest und um Druck auszuüben seinem Independent-Streifen Tideland zu. Beide Filme entstanden quasi zeitgleich unterscheiden sich in Punkto Atmosphäre und Verspieltheit aber wie die Nacht vom Tag. Der Name Jeff Bridges alleine übt bei mir schon einen gewissen Reiz aus, doch so richtig überwältigt war ich von der damals erst zehnjährige Hauptdarstellerin Jodelle Ferland. Das Mädchen führt ihren Job grandios aus, sogar Gilliam beteuert in Interviews er hätte kaum Anweisungen geben müssen da die Kleine bereits eine „Pro“ sei.
Der Ausnahmeregisseur, der sich hier am gleichnamigen Roman von Mitch Cullin bedient, steckte Jodelle in die Rolle der Jeliza-Rose, ein angeblich schwer traumatisiertes Kind dessen drogensüchtige Eltern verstorben sind. Ihre Mutter (Jennifer Tilly) krepiert gleich zu Beginn des etwa zweistündigen Streifens wegen einer gepantschten Droge, der Vater (Jeff Bridges) verlässt daraufhin von Paranoia getrieben die Junkiehöhle, seine einzigen Begleiter sind Jeliza-Rose und sein geliebtes Heroin. Das Ziel seiner panikartigen Flucht ist sein frührer Heimatort, ein seit Jahren verlassenes Haus mitten in der Prärie.
Für Jeliza-Rose ist das Ganze aber keineswegs schockierend sondern eine auffegende Reise, sogar das Ableben ihrer Mutter steckt das Mädel locker weg. Wie gewohnt bereitet sie liebevoll das H vor, das sich ihr Vater später in den Kreislauf spritzen wird und spielt mit ihren einzigen Freunden, ihren vier Fingerpuppen. Im Glauben ihr Daddy verbringe nach dem Schuss einen erholsamen Urlaub wird es ihr auch gar nicht mulmig als dieser nach ein paar Tagen immer noch nicht „zurückgekehrt“ ist.
Inzwischen verbringt sie weiterhin abenteuerliche Stunden im und um den alten Haus und stößt alsbald auf die einäugige Hexe Dell (Janet McTeer) und dessen zurückgebliebenen, epileptischen Bruder, den vermeintlichen Kapitän bzw. Sumpfmonster Dickens (Brendan Fletcher). Dickens wird relativ schnell ihr neuer Spielgefährte, doch das Haus in dem Dell und er leben scheint ein grausames Geheimnis zu verbergen. Jeliza-Rose verliert sich aber mehr und mehr in ihrer imaginären Welt sodass es auch für den Zuschauer recht schwammig wird zwischen Filmrealität und Kinderphantasterei zu unterscheiden.
Wie Gilliam in seiner Einleitung betont sollte man bei Tideland am besten sämtliche Vorurteile ablegen und sich vom Geschehen einfach tragen lassen. Der gewollte Alice im Wunderland-Touch übt einen hypnotisierenden Sog aus und reißt das willige Publikum mit. Ein Entkommen – hat man sich erst einmal darauf eingelassen – ist fast unmöglich. Es geht Gilliam hier ganz eindeutig nicht darum ein massentaugliches Produkt zu schaffen sondern er will schlicht gesagt sein eigenes Genre kreieren, originell sein und die Leute zum staunen bringen, was auch seinem Verständnis für Kino entspricht. Für Leser des Blogs ist es kein Geheimnis dass ich zu der Sorte von Menschen gehöre die Gilliams Art mögen und schätzen, deshalb war ich auch bei Tideland von der ersten Sekunde an begeistert. Seine tollen Weitwinkelaufnahmen sind hier besonders gut gelungen, die Farben wirken äußerst warm aber gleichzeitig doch so bedrohlich und geheimnisvoll.
Er provoziert gekonnt damit wenn er zuvor in seiner Einleitung den Zuschauer darum bittet möglichst naiv und unschuldig an dieses Werk heranzugehen und dann eine Romanze zwischen den 20 jährigen Dickens und Jeliza-Rose inszeniert. Das Ganze hat wohl gemerkt aber nichts mit Pädophilie sondern viel mehr mit einem kindlichen Rollenspiel zu tun. Auf den Punkt gebracht ist Tideland aber keine reine Provokation sondern vor allem ein Zugeständnis an die Stärke der Kinder die gerade in unserem Zeitalter doch zu sehr bevormundet und ihrer Phantasie beraubt werden. Gilliams Werk plädiert dafür unseren Kids den nötigen Freiraum zuzugestehen, ihre so wundervolle aber keineswegs gewaltlose Welt auskosten und erlernen zu lassen. So gesehen kann man auch diesen Film als höchst kontrovers bezeichnen, sei es inhaltlich wie technisch geht der nunmehr alte Terry Gilliam komplett andere Wege als der Mainstream.
Jeff Bridges spielt wie von ihm gewohnt phänomenal und trotz oder genau wegen der wenig Dialogzeilen verdient er sich nochmals ein Extralob. Den großen Coup landete Gilliam aber wie gesagt mit Jodelle Ferland, ein kleiner Star den man auf alle Fälle im Auge behalten sollte. Wie man übrigens den Film dem Horrorgenre zuweisen kann bleibt mir ein Rätsel, von daher ist auch die Schrift auf dem Disc-Cover aber auch der Trailer sehr irreführend.
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