(„Im Angesicht des Verbrechens“ directed by Dominik Graf, 2010)
Das deutsche Fernsehen versuchte in jüngster Vergangenheit an die herausragenden innovativen US-TV-Serien anzuschließen. Das komplexe, sozialkritische und realistische KDD (KriminalDauerDienst) hat in drei Staffeln gezeigt, dass das heimische Fernsehen diesbezüglich locker mithalten kann. 2010 folgte Dominik Graf mit seiner in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Mafiaserie.
Der Regisseur hat mit Filmen Der Felsen, Der Rote Kakadu oder Kalter Frühling bewiesen, dass er zu den deutschen Ausnahmetalenten gezählt werden kann. Mit seinem innovativ erscheinenden Serien-Event Im Angesicht des Verbrechens präsentiert er nun ein weit verzweigtes, achtteiliges Familiendrama um einen jungen Berliner Polizisten russisch-jüdischer Abstammung.
In Berlin herrscht Krieg. Banden der Russenmafia liefern sich in Berlins Unterwelt einen Kampf um die Vorherrschaft im Menschen- und illegalen Zigarettenhandel. Die beiden jungen Polizisten Sven Lottner (Ronald Zehrfeld) und Marek Gorsky (Max Riemelt) wollen die Drahtzieher hinter Gitter bringen. Doch Marek, Sohn baltisch-jüdischer Einwanderer, steht bald zwischen den Fronten. Sein Bruder ist vor Jahren von der Russenmafia ermordet worden, seine Schwester Stella (Maria Bäumer) mit einem Mafiaboss (Mišel Matičević) verheiratet.
Die erste Folge führt die verschiedenen Protagonisten auf unterschiedlichen Handlungsebenen ein, die gegen Ende hin zusammengeführt werden: Eine der rumänischen Frauen, die als Prostituierte in Berlin landen, erblickt in russisch-jüdischen Polizisten ihren Traumprinzen. Es wirkt einfach zu abgedroschen und lächerlich wie schnell sich die über den Tisch gezogenen Frauen mit ihrer unfreiwilligen Rolle als Prostituierte abfinden, um sich ein westliches Leben leisten zu können. Das erscheint doch zu unglaubwürdig und ist völlig unkritisch. Auch der flotte Dreier zwischen den drei Polizisten, der aufgrund der Scheidung einer Kollegin einfach mal so nach dem Fallschirm stattfindet, befindet sich jenseits des Glaubwürdigen.
So entpuppt sich Grafs sprunghafte Serie als krude Mischung aus Mafia-Epos, Polizei-Thriller, russisch-jüdischer Alltagskultur und Märchen. Die agile Kamera zeigt atmosphärische Einstellungen, ungewöhnliche Schnitte und assoziative Flashbacks und abrupte Zooms. So weit Grafs Serien-Opener immerhin in visueller Hinsicht erfrischend Neues auf. Die innovative Ästhetik wird jedoch nicht durch innovative Inhalte ergänzt. Meist bleibt im Auftakt noch alles an der Oberfläche und banal. Die Stimmung der ersten Folge schwankt zwischen Ernsthaftigkeit und Absurdität, mit eindeutigem Hang zu Letzterem.
Die Schauspieler können nicht durch die Bank weg überzeugen. Mit Riemelt (Napola, 13 Semester), Bäumer (Der alte Affe Angst, Der Schuh des Manitu), Matičević (Effi Briest, Im Winter ein Jahr) und Zehrfeld (Der Rote Kakadu) sind zwar durchaus erprobte und talentierte Darsteller an Bord. Aber viele Figuren wirken blass oder sogar deplatziert. Der gut 50-minütige Auftakt „Berlin ist das Paradies“ kann noch nicht überzeugen, aber vielleicht steigert sich die Serie noch. Insgesamt ist es zu wenig, nur auf formaler Ebene zu experimentieren, wenn der Inhalt flach bleibt. So erweist sich das Experiment über weite Strecken als plakativ oder effektheischend und macht nicht zwingend Lust auf Mehr.
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