(„Plug & Pray“ directed by Jens Schanze, 2010)
In Plug & Pray eröffnet Regisseur und Grimmepreisträger Jens Schanze einen Dialog zwischen den euphorischen Forschern und dem altersweisen Professor Joseph Weizenbaum über die Frage, worin Menschsein eigentlich besteht, der schließlich in ein eindringliches Plädoyer für Humanität und die Ehrfurcht vor dem natürlichen Mysterium von Leben und Tod mündet.
Wie weit ist es gekommen, wenn der Miterfinder des Computers Joseph Weizenbaum – ehemaliger MIT-Professor im Bereich Computer und Künstliche Intelligenz – sein eigenes Laptop nicht mehr versteht? Wenn aus dem Motto „Plug and Play“ auf einmal „Plug and Pray“ wird? Einst als Pionier des Computerzeitalters gefeiert, ist Weizenbaum inzwischen zum schärfsten Kritiker der technologischen Allmachtsphantasien geworden.
Der Schöpfer des ersten Spracherkennungsprogramms – das 1966 als ELIZA bekannt wurde – mahnt zur Vernunft angesichts der Tücken des Forschungsfortschritts: Was für viele noch immer nach Hollywood-Horror oder nach Science Fiction-Vision klingt, ist längst Realität in den Forschungslabors. So hat Hiroshi Ishiguro erfolgreich ein Roboter-Alter-Ego namens „Geminoid“ geschaffen. Der Roboter sieht exakt aus wie er selbst und soll Emotionen simulieren, damit die Kinder von Ishiguro den oft abwesenden Vater nicht zu sehr vermissen.
Mit dem „iCub“ hat Giorgio Metta einen lernfähigen Roboter entwickelt, der am Ende die Fähigkeiten eines 3-jährigen Kindes haben soll. Oder Ray Kurzweil, dessen Vision von der Verschmelzung von Mensch und Maschine ermöglichen soll, die biologischen Fesseln der Evolution abzulegen, damit wir schließlich unsterblich werden. Für ambitionierte Forscher ein Traum, ein Quantensprung in die falsche Richtung für Weizenbaum. Unbeeindruckt vom durch grenzenlose Fortschrittsgläubigkeit geprägten Zeitgeist, warnt er vor den Geistern, die wir riefen und fragt: Wie weit wollen wir gehen? Wann gehen wir zu weit? Und wenn, wer wird uns stoppen? Ist der Mensch eine Maschine aus Fleisch?
Plug & Pray öffnet in circa 92 Minuten die Tür zu den geheimen Laboratorien der künstlichen Intelligenz, taucht ein in eine Welt, in der Computertechnologie, Robotik, Biologie, Neurowissenschaft und Entwicklungspsychologie verschmelzen. Es ist beeindruckend, was sie heute schon kann, amüsant, wie sie noch an vielem scheitert und fragwürdig, worauf sie hinaus will. Weizenbaum tritt an zu seinem letzten philosophischen Duell mit den Männern, die das nächste Produkt der digitalen Revolution entwickeln: den Roboter, der uns ersetzen soll.
Die Forschung im Zusammenhang mit K.I. befindet sich irgendwo zwischen uralten Menschheitsträumen, dem lukrativen Business, Größenwahn und ganz neuen technischen Herausforderungen. Schanze entwirft durch Interviews mit unterschiedlichen Forschern, Positionen und Persönlichkeiten einen hochinteressanten Dokumentarfilm über die möglichen Konsequenzen des Fortschritts, die gar nicht so utopisch weit entfernt sind, wenn man beispielsweise bedenkt, das die Europäische Kommission 400 Millionen Euro bereitgestellt hat, um den Geburtenrückgang in Europa in naher Zukunft durch Roboter auszugleichen.
In einem vielschichtigen Stimmungsbild zur aktuellen Technik- und Roboterforschung, wie auch eine nachhaltige Reflexion über moralische Werte und die Zerbrechlichkeit der Natur des Menschen zeigt Schanze einen Film voller Tiefe, aber auch Menschlichkeit, gewürzt mit einem Schuss Humor. Das Ganze schafft der Filmemacher ganz ohne ein bedrohliches Horrorszenario zu inszenieren.
Kinostart: 11. November 2010
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