(„The Truth about Dracula“, Stanislaw Mucha, 2010)
Stanislaw Mucha nimmt uns mit auf eine ungewöhnliche Reise zu den Wirkungsstätten des legendären Graf Vlad Tepes, den Pfähler, welcher im 15. Jahrhundert lebte und Bram Stoker als Vorlage für dessen Romanfigur Dracula diente. Anhand von Aussagen der Bürger in Transsylvanien, Bukarest oder Siebenbürgen erforscht er den Mythos des Gefürchteten und zeichnet nebenbei ein faszinierendes Porträt der heutigen Einwohner Rumäniens. So gibt es zum Beispiel den Dorfpfarrer, der seit Jahren jeden Sonntag nur für sich alleine predigt, da niemand mehr zum Gottesdienst kommt oder der alte Mann, von dem alle sagen, er sei ein Werwolf.
Die Wahrheit über Dracula ist so alles andere als ein langweiliges, starres oder chronologisches Porträt über Vlad Tepes, sondern eine Ansammlung von Kuriositäten, die dem Zuschauer auf dem Silbertablett serviert werden, umrahmt von Aussagen einiger Fachleute, so etwa ein Schriftsteller, der den Mythos Dracula entzaubert hat, ein italienischer Professor sowie ein Graphologe, der die Handschrift des Grafen vorgesetzt bekommt, ohne zu wissen, von wem diese Schrift stammt, um so auf den Charakter des Verfassers schließen zu können. Mucha zieht mit einer Handkamera durch die Lande, was anfangs als amateurhaft und störend empfunden werden mag, aber bald sehr viel zum Charme dieser Porträts beiträgt, denn am faszinierendsten an diesem Film ist vielleicht die Einfachheit oder gar Naivität der Leute, die in heruntergekommenen Hütten hausen und bezüglich des technischen Fortschritts anderen Nationen weit hinterherhinken.
Am Erschreckendsten sind hierbei die Aussagen der im Film befragten Rumänen, ob sie heute einen Vlad Tepes, einen Pfähler begrüßen würden, der Diebe und andere Verbrecher ohne sie vor Gericht zu stellen, auf grausame Weise zu Tode foltert, während Tepes nebenbei zu Mittag isst. Ja, die Rumänen fänden es (zum größten Teil) sehr gut, wenn es heute einen Pfähler gebe, denn dann würde die Kriminalitätsrate zurückgehen und man wäre wieder sicherer. Im Gedächtnis bleibt auch das Zitat, Tepes müsste Millionen von Menschen umbringen lassen, würde er im 21. Jahrhundert wieder auferstehen. So schockierend diese Aussagen auch sein mögen, so ist es ein interessanter politischer Gedanke: der Rückgang der (hohen) Kriminalität durch grausamere Bestrafungsmethoden, sodass sich jeder ehrbare Bürger sicher fühlen kann. Aussagen wie diese machen deutlich, wie verschieden die Welt in Teilen ist, auf der wie alle leben. Eine sehr weise Aussage, die im Film gegeben wird, ist hingegen die, dass es heute in jedem Land einen Vlad Tepes gibt oder zumindest gab. Kein brutaler Pfähler, aber ein Folterer, der vielen seiner Bürger Leid zufügt.
Mucha bereitete diese Dokumentation sehr geschickt vor, denn zu keinem Zeitpunkt zieht er Vergleiche zwischen dem wahren Vlad Tepes und der Roman- oder Filmfigur des Grafen Dracula. Ein wohlüberlegter und begrüßenswerter Schritt, so wird das Porträt des Menschen Tepes nicht verwässert oder der Zuschauer durch Querverbindung verwirrt. Bei derartigen Methoden bestünde immer die Gefahr, dass der Zuschauer am Ende nicht unterscheiden kann, wie Vlad Tepes lebte und was Dracula als Fiktion ausmachte. Störend ist hingegen, dass die Quellenlage über den Pfähler sehr dürftig zu sein scheint. Fachkundige referieren zwar, doch aufgrund fehlender Quellenangaben kann man sich nie sicher sein, ob dies nun die Wahrheit ist oder nur Mythos, wie der des Grafen Dracula.
Es ist auch schade, dass der Lebensweg Tepes’ in dieser Dokumentation nicht zu Ende erzählt wird. In dieser Beziehung ist der Film nicht konsequent, bricht er doch bei dem Überfall der Türken auf des Pfählers Schloss ab, ohne dass der Zuschauer erfährt, was anschließend mit ihm geschah und wie er zu Tode kam. Wahrscheinlich ist auch hier die Quellenlage dürftig und interessant ist auch, dass viele von Mucha befragte Einwohner mit dem Namen „Dracula“ kaum etwas anfangen können, ihn entweder nie gehört, das Buch nie gelesen oder einen der Filme nie gesehen haben.
Wettgemacht wird diese Schwäche durch den starken Charme und den Humor, die Kurzweiligkeit, die strenge Konzeption, sich nur auf das Leben Tepes’ und nicht Draculas zu beziehen, die hochinteressante Porträtierung einfach gestrickter Rumänen. Ein komplett anderer Menschenschlag, als es etwa wir Deutschen sind, aber trotz zweifelhafter Aussagen über den Wunsch eines neuen Pfählers sympathisch.
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