(„Hannah and Her Sisters“, directed by Woody Allen, 1986)
„Ich war glücklich, ich habe es nur nicht gemerkt.“
Dieser eine kurze Satz aus einem von Woody Allens Top 5 besten Filmen ist philosophischer und tiefgründiger als 99% aller jemals gedrehten Filme. Hannah und ihre Schwestern ist ein Meisterwerk darin, komplexe Lebensphilosophien auf ihr Einfachstes, aber in all ihrer Schärfe auf leicht verständliche Weise zu reduzieren, es ist ein anregendes Werk, das den Zuschauer zum Nachdenken bewegt.
Allen spielt hier den Hypochonder, der glaubt, er habe einen Gehirntumor und der erst dann feststellt, wie glücklich er in den letzten Tagen war, als er erfährt, wie krank und unglücklich er jetzt ist. Die Botschaft ist einfach: genieße dein Leben und denke darüber nach, ob du glücklich bist – bedenke immer, dass dein Befinden etwa durch Krankheit schlimmer sein könnte. Die Beschäftigung mit seinem nahenden Tod bringt Allen dazu, sich mit Religionen zu beschäftigen und dies führt zu einer Reihe von herausragenden Szenen, die sich den verschiedenen Religionen gegenüber kritisch äußern, aber nie respektlos gegenüber verschiedenen Sichtweisen werden.
Was Woody Allen auszeichnet ist, dass er in seiner gesamten Karriere nie einen bösartigen Witz über andere Personen gemacht hat, sondern nur über sich selbst. Er verliert nie den Respekt und kaum ein Anderer versteht es so gut, auf einem derart dünnen Seil zu balancieren. Allen, der sich nun mit dem Tod ernsthaft auseinandersetzt, fühlt sich leer und unvollkommen, da er nicht an Gott glaubt und daher nicht weiß, was nach dem Tod auf ihn zukommt. Der Film wandelt sich zu einer unglaublich cleveren Satire, in der Allen mehrmals die Religion wechselt oder zumindest wechseln will, da er nach der Religion sucht, die ihn in Bezug auf den Tod beruhigen kann, die ihn überzeugen kann, dass etwas nach dem Tod kommt und dass er sich nicht sorgen muss.
Wenn eine Religion ein Leben nach dem Tod verspricht, dann ist es so, wird die Religion gewechselt, die nun besagt, nach dem Tod ist alles zu Ende, so wird es so sein. Woody Allens brillantes Werk ist allerdings wesentlich mehr als eine zynische, aber nie respektlose Satire auf Religionen bzw. dem Umgang der Menschen mit dieser. Ein großes Kunststück, was Woody Allen sowohl als Schauspieler, als auch als Regisseur gelingt, sind die Szenen, in denen er an seinen Tumor denkt. Es gibt im Englischen den Begriff bittersweet, der sich im Deutschen nur schwer mit bittersüß in diesem Zusammenhang übersetzen lässt, da es nicht das exakte Gefühl wiedergibt, was man hier empfindet. Man leidet mit der Person, man empfindet Mitleid, dass dieser sympathische Charakter vielleicht bald sterben wird und Woody Allen leidet ebenfalls, doch er macht Witze darüber.
Doch diese Witze sind nicht geschmacklos oder unpassend, sie regen zum Schmunzeln an trotz dieser traurigen Situation, sodass man zugleich lachen und weinen möchte. Allen kitzelt hiermit eine Emotion aus dem Zuschauer heraus, die wohl von allen Emotionen am schwierigsten zu Erzeugen ist, nämlich das gleichzeitige Lachen und Weinen. Es ist ein Drahtseilakt, doch Woody Allen meistert ihn sicher und bravourös – es funktioniert.
Hypochonder Allen steht jedoch nicht im Zentrum dieser intelligent konstruierten Geschichte, denn wie der Titel besagt, ist der Film in erster Linie auf Hannah (Mia Farrow), die in erster Ehe mit Allen und nun mit Michael Caine verheiratet ist, und deren Schwestern fokussiert, die von Dianne Wiest, Barbara Hershey und Carrie Fisher dargestellt werden. Michael Caine verliebt sich in Hershey, die allerdings mit dem wesentlich älteren und sehr exzentrischen Künstler Max von Sydow verheiratet ist. Trotzdem lässt sie sich auf eine Affäre mit ihrem Schwager ein und verlässt Sydow sogar wenig später. Max von Sydow in einer kleinen, aber hervorragend gespielten Rolle stellt einen weiteren Denkanstoß von Allen dar.
Er ist der Künstler, ein Maler, der ein Werk nach dem Anderen produziert, aber keines davon verkauft, weil er nicht mit Menschen verhandeln will, die nicht auf seinem Niveau sind und die nichts von Kunst verstehen – das heißt in diesem Fall nicht so viel wie der Künstler selbst. Es ist das alte Dilemma des anspruchsvollen und begabten Künstlers, der darunter leidet, dass es Personen und potentielle Käufer gibt, die ein Kunstwerk nicht aufgrund der Qualität kaufen, sondern weil die Farbe des Bildes zum Sofa in ihrem Wohnzimmer passt. Doch was kann der Künstler tun? Sydow entscheidet sich hier für das Falsche, er folgt seinem Ideal. Er schottet sich ab, ist frustriert von den Anti-Intellektuellen und verkauft seine Bilder nicht. Seine Arbeit bringt kein Geld ein und durch seine Abschottung verliert er seine Lebensgefährtin. Der Künstler befindet sich in einem Teufelskreis und die Antwort, die Woody Allen auf dieses Dilemma gibt, ist ein dunkler, pessimistischer Blick für jeden künstlerisch Tätigen. Entweder man verrät seine Ideale oder man ist nicht fähig zu überleben.
Dianne Wiest (mit einem Oscar für ihre Rolle prämiert, wie übrigens auch der glänzende Michael Caine) spielt Holly, die erfolglose Schwester, die das Gefühl hat, allen nur zur Last zu fallen und die ehemals drogenabhängig war. Woody Allen verurteilt aber keinen einzigen Charakter dieses Films, weder Caine und Hershey für die Affäre oder Wiest für ihr ständiges Scheitern, noch Carrie Fisher für die Beziehung, die sie mit dem Mann beginnt, in den sich eigentlich ihre Schwester Holly verliebt hatte. Würde der Zuschauer auch nur einen dieser Charaktere nicht mögen und für ihre Schwächen verurteilen, so würde er sich selbst verurteilen, denn Allen hält dem Zuschauer hier einen Speiegel vor, es ist der Speiegel einer ganzen Gesellschaft, einer Gesellschaft voller Schwächen, die deshalb so liebenswert und akzeptierbar sind, weil wir sie alle in uns tragen.
Es gibt keine einzige uninteressante Person in diesem Film, jeder Charakter erfüllt einen höheren Zweck, man ertappt sich dabei, wie man immer tiefer in die Psyche der Personen eindringt bis es fast unerträglich wird und seinen Klimax in einem angespannten Mittagessen der Schwestern findet, das deshalb so unerträglich scheint, weil man als Zuschauer die Charaktere besser zu kennen scheint, als jede fiktive Figur eine andere Person aus dem Film und weil man sich dabei fühlt, als wäre man selbst anwesend, als spiele man Voyeur bei dieser hochemotionalen Szene. Michael Caine führt dem Zuschauer, dem Voyeur, die Diskrepanz zwischen Herz und Verstand vor Augen, indem er denkt, was nun in diesem Augenblick vernünftig, was rational ratsam wäre – doch was er anschließend tut, ist das genaue Gegenteil von dem, was sein Verstand ihm befiehlt. Er kann das nicht umsetzen, was vernünftig wäre, was sein Gehirn signalisiert, weil er auf sein Herz hören muss, weil er nicht anders kann, weil er ein Sklave seines Herzens ist und das macht diesen Charakter – wie jede andere Figur aus diesem Film auch – so menschlich und so fehlbar.
Hannah und ihre Schwestern ist ein großartiger Film. Er ist tiefsinnig, philosophisch, humorvoll, tragisch, romantisch, hervorragend gespielt, lehrreich und voller denkwürdiger Zitate. Allens Werk erhielt drei Oscars, einen für Wiest, einen für Caine und einen für das beste Drehbuch. Es ist einer von seinen besten Filmen, weil er klug und charmant ist, weil die Charaktere interessant und auf das exakteste ausgearbeitet sind.
Einer der besten Filme der 80er Jahre und ein absolutes Muss für jeden Kinoliebhaber.
(Anzeige)