(„Adieu, poulet“, directed by Pierre-Granier Deferre, 1975)
Um Patrick Dewaere kommt man nicht herum, interessiert man sich für französische Filme der 70er Jahre. Denn das viel versprechende Talent galt als Hoffnung der dortigen Filmindustrie und so wirkte der Schauspieler in fast allen der meist gelobten französischen Werke aus dieser Periode mit, von Bertrand Bliers Beau-pére bis Claude Sautets Un mauvais fils. Im Alter von nur 35 Jahren nahm sich der depressive Familienvater jedoch in einem Pariser Hotel mit einem Gewehr das Leben. Eine seiner Hinterlassenschaften ist der Polizeifilm Adieu, poulet von Pierre-Granier Deferre, der sich selbst vor Allem als Regisseur von zahlreichen Verfilmungen nach Romanen von Georges Simenon einen Namen machte.
Neben Dewaere wirkt auch die französische Kinolegende Lino Ventura mit. Ventura spielt den unbestechlichen Kommissar Verjeat, der eines Nachts erfahren muss, dass einer seiner Beamten erschossen wurde. Bevor der Polizist starb, nannte er den Namen des Mörders, der seinem Chef kein Unbekannter ist, denn Portor (Claude Brosset) gehört zu einer Reihe von Bodyguards des für das Bürgermeisteramt kandidierenden Lardatte (Victor Lanoux). Der Kommissar riecht schnell, dass der Politiker in die Tat verwickelt sein muss, was dem angehenden Bürgermeister alles andere als schmeckt. Da in Paris alle Beamten von Politikern bestochen werden, sorgt er dafür, dass Verjeat so schnell wie möglich in eine andere Stadt versetzt wird, damit dieser ihm nicht mehr in die Quere kommen kann. Lardatte hat sich jedoch geschnitten, wenn er dachte, sein Kontrahent würde deshalb aufgeben – im Gegenteil. Verjeat setzt alles daran, den Fall aufzuklären, Portor als Mörder eines Polizisten ausfindig zu machen und den Politiker bloßzustellen.
Lino Ventura als französischer Dirty Harry, der nach seinen eigenen Regeln Verbrechen aufklärt, ist immer sehenswert. Der Mann mit dem müden Gesichtsausdruck kümmert sich nicht um Vorschriften oder Normen, solange er Erfolge Vorweisen kann – dies kann durchaus auch heißen, dass er seine eigenen Inspektoren verprügelt, wie er es mit Lefèvre tut, brillant gespielt von Patrick Dewaere als ausgeflippten Casanova, der von seinem Chef nur schwer zu bändigen ist. Trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, dass einige Szenen lediglich eingefügt wurden, um die Abgebrühtheit und Coolness Verjeats zu demonstrieren. Man erinnere sich hierbei an die Szene, in der sich vor dem Polizeirevier eine Gruppe still demonstrierender Menschen angesammelt hat, die vom Kommissar rücksichtslos mit bloßer Manneskraft in hohem Bogen auf die Straße geworfen werden.
Adieu Bulle ist aber kein bloßer Actionfilm, sondern ein sehr clever konstruierter Polizeithriller, der trotz heikler Themen wie Polizistenmord oder Korruption nie den Humor verliert – kein Wunder, schließlich stammt das Drehbuch von Francis Veber, der berühmt ist für seine legendären Komödien wie Ein Käfig voller Narren oder Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh. Die differenziert eingesetzte Komik kommt dem Streifen sehr zugute, verträgt sich überraschend gut mit dem nüchternen Stil Deferres, der nichtsdestotrotz einige amüsante Einstellungen vorzuweisen hat. Als etwa an einer Tankstelle ein Wagen vorfährt und der Fahrer den Tankwart anweist, voll zu tanken, sieht der Zuschauer niemals das Gesicht des Fahrers, wohl aber das Bild des gesuchten Verbrechers, welches in der Zeitung abgedruckt ist, die der Tankwart in der Hemdtasche trägt, was nur einen Schluss zulässt, der schließlich auch mit einer gezielten Kameraeinstellung bestätigt wird. Die Frage, die sich Lino Venturas Figur die ganze Zeit über stellen muss ist, ob es sich lohnt, für seine Ideale und die Ehre alles aufs Spiel zu setzen, mit einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass man alles daraufhin verliert. Das Zusammenspiel der beiden Hauptdarsteller funktioniert deshalb so gut, weil Dewaere stets als Gegenpol wirkt, als Gegenteil eines abgeklärten, aber noch immer idealistischen Beamten, der sich immer mehr an sein heimliches Vorbild Verjeat annähert, das aber nie zugeben würde.
Aufgrund dieses großartigen Zusammenspiels, der hervorragenden schauspielerischen Leistung von Patrick Dewaere, dem gut durchdachten Plot und der eingestreuten Komik vermag Adieu, poulet sofort zu fesseln und bestens zu unterhalten. Wer etwas für Polizeifilme übrig hat, sollte einen Blick riskieren.
Anmerkung: Der Film ist bislang (Stand: Dezember 2010) in Deutschland noch nicht auf DVD erschienen.
(Anzeige)