Berüchtigt

Berüchtigt

(„Notorious“, Alfred Hitchcock, 1946)

Es ist bemerkenswert, dass dieses Werk nach nunmehr fast 65 Jahren noch immer recht weit vorne auf allen Bestenlisten diverser Filmkritiker steht. Ja, Notorious gilt als einer der besten Filme aller Zeiten. Um nun nicht eine Grundsatzdiskussion vom Zaun zu brechen, ob dieser Status gerechtfertigt ist: es ist ein herausragendes Werk der Filmgeschichte, das man auf jeden Fall einmal gesehen haben sollte. Hitchcock inszenierte hier eine der ungewöhnlichsten Spionagefilme überhaupt und fesselt den Zuschauer durch faszinierende Schlichtheit von der ersten bis zur letzten Sekunde.

Die Geschichte selbst klingt kaum spektakulär: Ingrid Bergman spielt Alicia Huberman, die Tochter eines deutschen Spions. Eines Abends lernt sie den Agenten T.R. Devlin (Cary Grant) kennen. Dieser macht ihr das Angebot, mit ihm nach Rio zu fliegen, um dort eine Gruppe von Nazis auszuspionieren, da Alicia durch ihren Vater deren Vertrauen genießt und niemand Verdacht schöpfen wird. Widerwillig nimmt Alicia den Auftrag an, macht sich mit Devlin auf den Weg nach Südamerika, um dort bald erneut Alexander Sebastian (Claude Rains) zu begegnen, einem alten Freund ihres Vaters, der einmal in Alicia verliebt war. Die beiden beginnen, sich regelmäßig zu treffen, was Devlin in einen Gewissenskonflikt stürzt: zum Einen will er, dass Alicia Alexander ausspioniert, zum Anderen hat er sich jedoch in die junge Spionin verliebt und ist verletzt, als er hört, dass Alexander seiner Geliebten einen Heiratsantrag gemacht hat. Mehr noch: Alicia nimmt den Antrag an.

Wen schon immer interessiert hat, weshalb Alfred Hitchcock als einer der besten und beliebtesten Filmregisseure aller Zeiten in die Geschichte eingegangen ist, sollte sich Berüchtigt anschauen und er bekommt die Antwort auf dem Silbertablett serviert. Dies ist ein Agentenfilm, doch unüblicherweise verzichtete Hitchcock hier auf jegliche Schießereien und Verfolgungsjagden, um den Zuschauer bei der Stange zu halten. Die Spannung resultiert hier aus den Charakteren selbst und aus deren Gefühlen, denn es werden hier Hauptpersonen präsentiert, die im Hollywood der 40er Jahre wohl nie als Helden eingesetzt wurden – außer bei Hitchcock. Ingrid Bergman ist eine Trinkerin mit – wie angedeutet wird – zahlreichen Affären; im 21. Jahrhundert würde man sie wohl als „Schlampe“ bezeichnen, die sich prostituiert, indem sie einen Mann heiratet, den sie nicht liebt. Teilweise, weil sie Devlin verletzen möchte, der zwar vorgibt, sie zu lieben, ihr aber kaum Wärme entgegenbringen kann und von ihr erwartet, alles für die gemeinsame Operation zu geben, ungeachtet der Gefahren, die ihr zustoßen können.

Fast sympathischer als die „Helden“ ist Claude Rains als Nazischurke, der als Einziger zu seinen Gefühlen steht und sich in Alicia verliebt hat und sie heiraten möchte. Er ist aber auch ein Muttersöhnchen, der unter der Fuchtel seiner Mama steht, die mit ihm im Haus wohnt. Hitchcock wendete weitere Tricks an, die dazu beigetragen haben, dass er nun den Status genießt, den nur wenige Filmschaffende erreicht haben: So gibt es eine dreiminütige Liebesszene zwischen Cary Grant und Ingrid Bergman, in welcher sie sich unentwegt küssen. Zu dieser Zeit war es in Hollywood verboten, einen Kuss zu filmen, der länger als drei Sekunden dauerte.

Hitchcock, Rebell der er war, umging geschickt diese Regel und baute zwischen den Küssen kurze Dialogfetzen ein, sodass jeweils nicht länger als drei Sekunden die Lippen aneinandergepresst werden, die Kussszene insgesamt aber rund drei Minuten beträgt. Der andere Trick betrifft die Treppe im Haus von Alexander Sebastian: Achten sie auf die Länge der Treppe, wenn sie sie zum ersten Mal sehen und achten sie darauf, wie lang die Treppe zu sein scheint, als Cary Grant und Ingrid Bergman sie gegen Ende des Films hinuntergehen. Hitchcock ließ für das Finale des Films – eine der spannendsten Szenen in einem Hitchcock Film – einige zusätzliche Stufen an die Treppe montieren, damit der Weg für das Paar deutlich länger und qualvoller erscheint, als er letztlich ist.

Notorious ist ein höchst spannender, dabei aber nicht humorloser Film, denn er weist den für Hitchcock typischen, subtilen Humor auf, auf den es sich zu achten lohnt, so etwa Cary Grants Bemerkung zu Ingrid Bergman, sie solle sich ein Tuch umbinden, sonst erkälte sie sich, woraufhin er ihr ein dünnes Halstuch um die Hüften bindet. Was diesen Film vielleicht am Stärksten auszeichnet, sind die brillanten Kameraeffekte, mit denen der Regisseur eine unerträglich gespannte Atmosphäre hervorrief, etwa durch die beunruhigenden Close-Ups der beiden Helden, aber vor allem auch durch die legendäre Szene, in welcher Rains entdeckt, dass seine Frau eine Spionin ist. Die Kamera observiert ihn hautnah, dabei aber fast senkrecht von oben, ehe er in diabolischem Schattenspiel sein Gesicht erhebt, welches die Entscheidung, die er getroffen hat klarmacht. Notorious ist nicht nur ein spannender Agententhriller, es ist eine Geschichte über eine verzwickte Dreiecksbeziehung, die nicht lange gut gehen kann, hervorragend getragen durch Ingrid Bergman und Claude Rains, der deshalb einen derartig überzeugenden Schurken gibt, weil er dem Zuschauer stets menschlich erscheint – mit all seinen Gefühlen und Problemen.

Ein großer Film.



(Anzeige)

10
von 10