(„Sunset Boulevard“, directed by Billy Wilder, 1950)
Billy Wilder hat viele Meisterwerke geschaffen. Legendäre Komödien wie Manche mögen’s heiß, spannende Thriller wie Zeugin der Anklage, dramatische Film Noirs wie Eine Frau ohne Gewissen oder eben Boulevard der Dämmerung, eine bitterböse, groteske Satire auf Hollywood, die Arroganz der Filmstars und die Falschheit der Menschen, die im Filmgeschäft arbeiten und sich Künstler zu nennen pflegen. Einer jener Künstler ist Joe Gillis, brillant gespielt von William Holden, der erst 26 Jahre später mit Sidney Lumets Meisterstück Network wieder eine ähnlich großartige schauspielerische Leistung vorweisen sollte.
Gillis ist ein erfolgloser Drehbuchautor in Los Angeles, der Probleme mit dem Gerichtsvollzieher bekommt. Dieser wird Joes Auto einkassieren, wenn der Schriftsteller ihm nicht innerhalb kürzester Zeit 300 Dollars auf den Tisch legen kann. Gillis flieht vor seinen Gegnern und wie es das Schicksal will, hat er bald eine Reifenpanne. Sein Auto versteckt er auf einem scheinbar verlassenen Anwesen, einer alten, ehemals prunkvollen, nun aber heruntergekommenen Villa, die, wie sich herausstellt, dem alten Filmstar Norma Desmond (Gloria Swanson) gehört. Desmond, ein längst vergessener Stummfilmstar wohnt alleine in diesem Anwesen, lediglich ihr Diener Max (Erich von Stroheim) leistet ihr Gesellschaft.
Gillis wird schnell klar, dass Norma unter einer gestörten Wahrnehmung und Selbsteinschätzung leidet, denn sie hält sich nach wie vor für den größten Star auf der ganzen Welt. Nach anfänglichem Misstrauen zeigt sie dem erfolglosen Schriftsteller, der dringend Geld braucht, ihr Manuskript zu einem Film über Salome, der von niemand Geringerem als Regielegende Cecil B. DeMille in Szene gesetzt werden soll, mit dem sie zusammen zwölf Filme drehte. Widerwillig liest Gillis das grauenhaft dilettantische Manuskript, bietet Norma jedoch an, es gegen ein hohes Entgelt zu überarbeiten. Norma willigt ein, sorgt jedoch auch – sehr zum missfallen Joes – dafür, dass dieser in der Villa zusammen mit dem Filmstar wohnt. Was harmlos zu beginnen scheint, entwickelt sich zu einer dunklen Obsession einer alternden, psychisch kranken Frau, vor der es kein Entrinnen zu geben scheint …
Sunset Boulevard ist so ein unangenehm intensiver Film, das man als Zuschauer zu entrinnen versucht, je weiter die Obsession der Diva voranschreitet, doch man ist dazu außerstande, so fesselnd ist das Porträt der großen Dame. Dafür gibt es viele Gründe. Einer ist die glänzende Darstellung Gloria Swansons, selber ein ehemaliger Stummfilmstar, der 1950 seine beste Zeit längst hinter sich hatte. Ihr beunruhigend realistisches Porträt vermag den Zuschauer unmittelbar in den Bann zu ziehen und ist sicherlich fesselnder und Angst einflößender als die meisten Bösewichte in Horrorfilmen. Doch es ist nicht nur ein Charakterporträt dieser einsamen, alternden Dame, sondern gleichzeitig ein überraschend detailliertes Studium von Joe Gillis, der hier nicht mehr ist als eine männliche Prostituierte, sich von dem lockenden Geld verführen lässt und damit letztlich sich selbst und alle anderen ins Unglück stürzt.
Regisseur Erich von Stroheim spielt Desmonds Diener, eine tragische Gestalt, die sich den letzten Rest Würde bewahrt hat, auch wenn er es ist, der Norma täglich anonym Fanpost zukommen lässt, damit diese noch weiter daran glauben kann, sie werde verehrt. Der ganze Film ist ein Kammerspiel, das Anwesen der Filmdiva wird zur Festung, aus der es kein Entrinnen gibt. Die Set-Dekoration trägt ihren großen Teil dazu bei, das ganze Haus wirkt sowohl von außen, als auch von innen wie ein verstaubtes Relikt aus besseren Zeiten und Norma Desmond ist nicht mehr als ein antiquiertes Möbelstück in diesem Universum. Die atemberaubende Kameraarbeit ist zusätzlich erwähnenswert, trägt wesentlich zur gespenstischen Atmosphäre bei, so etwa wenn Normas stolzes Gesicht in Dunkelheit vom grellen Projektorlicht angestrahlt wird. So entwickelt sich der Film zu einer morbiden, skurrilen Liebesgeschichte um Abhängigkeit, verlorene Träume und Selbstverwirklichung, um Geltungssucht und Prostitution. Es ist außerdem einer jener Filme – wie auch Der stille Amerikaner – die ein erstklassiges literarisches Werk abgeben würde, würde man die Monologe des Hauptdarstellers für einen Roman abtippen, so ästhetisch und wohlgeformt ist die Sprache, bei der jedes einzelne Wort abgewogen zu sein scheint.
Es ist mir nicht bekannt, wie viele Filme es gibt, bei denen alle Hauptdarsteller sowie die wichtigste Nebendarstellerin für einen Oscar nominiert wurden. Holden, Swanson, Stroheim und die verführerische, naive Nancy Olsen als die Verlobte von Gillis’ bestem Freund wurden nominiert – doch gingen alle bei der Verleihung leer aus, was vor Allem bei der Darstellung von Gloria Swanson nur schwer verständlich ist. Drei Oscars konnte der Streifen trotzdem einheimsen – einen für die grandiose Musik von Franz Waxman, der mit seinem Score eine der besten Filmmusiken überhaupt vorlegte. Wer einen wahrhaft Angst einflößenden Gespensterfilm sehen möchte, der wird in diesem Film Noir das beste Beispiel finden, denn alles und jeder irrt umher wie ein Gespenster, alle Gegenstände sind Schatten ihrer selbst aus längst vergessenen Zeiten. Jeder Schauspieler sollte Billy Wilders Sunset Boulevard gesehen haben, der zu Recht zu den großen Meisterwerken der Filmgeschichte gezählt wird. Ganz großes Kino!
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