Cocktail für eine Leiche

Cocktail für eine Leiche

(„Rope“, Alfred Hitchcock, 1948)

Rope war Alfred Hitchcocks erster Farbfilm und in dem berühmten Interviewband mit Francois Truffaut tat der Master of Suspense dieses Werk als idiotischen Versuch ab. Dieser Versuch bestand aus dem Experiment, den ganzen Film in einer einzigen Einstellung zu drehen – als wohne der Zuschauer einem Theaterstück bei. Der Film spielt sich daher auch in Echtzeit ab und Hitchcock nahm den Film in 10-Minuten-Takes auf, da eine Filmrolle nicht über mehr Platz bzw. Zeit verfügte. Trotz Hitchcocks Kritik am eigenen Werk steht Cocktail für eine Leiche auch heute noch auf der Liste der 250 besten Filme aller Zeiten bei der International Movie Database. Grund genug, einen kritischen Blick auf den Film zu werfen.

Brandon (John Dall) und Philip (Farley Granger) sind zwei junge Freunde, die derart von sich überzeugt sind, dass sie glauben, sie könnten einen Mord begehen, ohne dabei erwischt zu werden. So bringen sie gemeinsam ihren Freund David um und verstauen ihn in einer Truhe in ihrer Wohnung. Um das Geschehen noch interessanter zu machen, empfangen sie kurze Zeit später Gäste zu einer kleinen Dinnerparty, einschließlich die Verlobte des Toten, seine Eltern und den ehemaligen Lehrer der Freunde, Professor Cadell (James Stewart). Als die Gäste erfahren, dass auch David eingeladen war, dieser jedoch nicht erscheint, beginnt Cadell als Einziger langsam Verdacht zu schöpfen…

Der Film beruht auf einem Theaterstück, welches wiederum von einem wahren Fall inspiriert wurde und es ist in der Tat beeindruckend, wie viel in diesem lediglich 77minütigen Werk steckt. Dieser Film zieht nicht  die Spannung aus der Frage, wer der Mörder ist, sondern wie man die Täter überführen wird – ganz im Sinne von Columbo. Doch Rope dreht sich nicht nur um diese Frage, sondern offenbart mehrere kleine Charakterstudien, Verknüpfungen und Erlebnisse der einzelnen Gäste, die Hitchcock hier vorstellt. So offenbaren sich immer mehr kleinere Geheimnisse, welche die Personen interessanter machen. Die gesamte Handlung wird mit Humor aufgelockert, hier in Form von spitzzüngigen Dialogen und der makabren Tatsache, dass etwa das Büffet auf besagter Truhe offeriert wird, in welcher der Tote liegt. Es schließt sich eine interessante philosophische Diskussion über den von Nietzsche definierten Übermenschen an, der darüber bestimmen dürfe, wen er umbringen darf, da der Übermensch als Privilegierter über unter ihm stehende Personen entscheiden dürfe.

Die Kameratechnik, welche hier angewendet wurde, wird immer wieder hervorgehoben, wenn das Gespräch auf diesen Film kommt, doch dies allein sollte kein Grund sein, sich den Film anzusehen, denn es ist enttäuschend auffällig, wie oft und plakativ Hitchcock bzw. dessen Kameramänner etwa abblenden mussten, z.B. mit Hilfe von Zooms auf ein dunkles Jackett, da man die Filmrolle wechseln musste. Bei allen positiven Aspekten dieses Werks ist dies aber nicht das größte Problem. Wie in der sehr interessanten Dokumentation über Rope der Drehbuchautor Arthur Laurents anmerkt, hätte er es sehr viel spannender gefunden, hätte man den Mord nicht gezeigt, sodass die Frage während der gesamten Dinnerparty wäre, ob David nun tot in der Truhe liegt oder nicht. So wie Hitchcock es letztlich gefilmt und das Geheimnis gleich zu Beginn gelüftet hat, nimmt es viel Spannung, was äußerst bedauerlich ist, da dieser Thriller nicht mit ähnlich atemberaubender Suspense aufwarten kann wie etwa andere große Werke des Meisters.

Schaut man sich diesen Film nun an, wird man relativ schnell feststellen, dass die Beziehung zwischen den beiden Mördern weit mehr ist als nur Freundschaft. Der zugrunde liegende Stoff drehte sich eindeutig um zwei Homosexuelle, die gemeinsam den Mord begehen, doch Hollywood war in den späten 40er Jahren noch nicht derart weit in der Entwicklung, als dass man diesen Punkt deutlich hätte herausstellen können. So bleiben lediglich vage Andeutungen und die Vermutungen des Zuschauers, was die Figuren zweifellos interessanter macht.

Aus dieser Beziehung resultiert jedoch ein weiteres Problem, wie es Arthur Laurents in der Dokumentation erläutert und dem ich hier zustimmen muss: James Stewart ist in der Rolle des ehemaligen Lehrers der Mörder eine krasse Fehlbesetzung. Nach Cary Grant und Montgomery Clift war Stewart lediglich die dritte Wahl und es ist ihm in jedem Moment anzusehen, dass er sich in dieser Rolle nicht wohl fühlt. Ein Grund mag sicher sein, dass Stewart während des nervenaufreibenden Drehs kaum Schlaf bekam, da der Dreh ihm derart zu schaffen machte. Ein anderer Faktor ist jedoch die Figur des Professors an sich, der in dem ursprünglichen Stoff ebenfalls als homosexuell ausgelegt wurde, womit Hollywoods Liebling Stewart große Probleme zu haben schien.

Aufgrund dieser negativen Punkte handelt es sich bei Cocktail für eine Leiche keineswegs um einen von Hitchcocks allerbesten Filmen, doch nichtsdestotrotz ein sehenswertes Spektakel. Jeder Charakter ist interessant, die Handlung ist – unter Anderem durch den Humor – vielseitig und es bleibt interessant herauszufinden, wie Stewart den beiden Tätern letztlich auf die Spur kommt.



(Anzeige)

8
von 10