Eine Dame verschwindet

Eine Dame verschwindet

(„The Lady Vanishes“, Alfred Hitchcock, 1938)

Bei Hitchcock ist es schwer zu beurteilen, wie viele Komödien dieser Mann denn nun gedreht hat. Als reine Komödien sind vielleicht nur Endlich sind wir reich (1932) und Mr. und Mrs. Smith (1941) zu nennen, doch bei einer derartigen Aufzählung käme man um eine Erweiterung dieses Genres nicht umhin – man bedenke nur Immer Ärger mit Harry (1955) als eine makabre Krimikomödie und eben Eine Dame verschwindet. Letzterer Film ist aber bei Weitem nicht als reine, harmlose Komödie einzustufen, sondern als ein Film, der sich von einem skurrilen Sammelsurium zahlreicher pointierter Gags zu einem düsteren Thriller über Leben und Tod wandelt – gespickt mit humoristischen Einschüben und zahlreichen Leichen. Hitchcocks englisches Werk aus dem Jahr 1938 beginnt als amüsantes Lustspiel: zahlreiche Zugreisende sehen sich gezwungen, in einer kleinen Gaststätte zu übernachten, da ihr Zug unerwarteterweise eine Nacht auf den Schienen stehen bleibt.

Unter den Gästen sind auch die frisch verlobte Iris Henderson (Margaret Lockwood), der freischaffende Musiker Gilbert (Michael Redgrave), ein Arzt aus Prag (Paul Lukas) sowie eine ältere Gouvernante namens Miss Froy (Dame May Whitty). In dieser einen Nacht, welche die Reisenden in der Unterkunft verbringen müssen, gibt es bereits einige – harmlose – Konfrontationen zwischen ihnen. Iris macht Bekanntschaft mit dem Störenfried Gilbert, welcher sie als Stinktier beschimpft und mit Miss Froy, welche sich reizend um die junge Dame kümmert, als diese durch einen unglücklichen Umstand einen Blumenkasten auf den Kopf bekommt. Als am nächsten Tag der Zug wieder fahrbereit ist, freunden sich Iris und Miss Froy an, doch als Iris nach einem kurzen Nickerchen wieder erwacht, fehlt von ihrer neuen Bekanntschaft jede Spur und alle Reisenden, welche sie nach dem Verbleib der Gouvernante befragt, verneinen, diese Dame zu kennen. Iris glaubt nicht, dass sie phantasiert und überredet den Musiker Gilbert, ihr bei der Suche zu helfen. Doch schon bald schweben die Beiden in großer Gefahr, denn jemand will nicht, dass sie das Geheimnis der entschwundenen Miss Froy lüften…

The Lady Vanishes ist eines der großen Highlights aus Hitchcocks filmischem Schaffen. Die Krimikomödie versprüht nicht nur unvergleichlichen Charme durch die Leichtigkeit, mit welcher sie inszeniert wurde, sondern auch auf anderen Ebenen vermag dieser Film komplett zu überzeugen. Wie in einem Kammerstück werden die Personen nacheinander vorgestellt und diese Charaktere sind deshalb derart amüsant, weil sie jeder Zuschauer aus dem realen Leben kennt und sie einem erscheinen wie Karikaturen ihrer selbst, ohne zu bloßen Klischees zu verkommen. Da wäre der dreiste, selbstsichere Playboy in Form von Gilbert, die zwei Engländer, die sich nur für Kricket interessieren oder die alte, äußerst geschwätzige Gouvernante, die auf ihre ganz eigene Art doch sehr liebenswert ist. All diese Charaktere sind Ausgangspunkt und Basis für pointierte Dialoge – meist zwischen den sich hassenden Hauptfiguren, die fieberhaft nach der verschwundenen Miss Froy suchen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob man Filmen der 30er Jahre etwas abgewinnen kann – diese Dialoge funktionieren noch heute und sind genauso komisch wie vor 72 Jahren. Eine Dame verschwindet ist ein äußerst kurzweiliges, sehr trickreiches Verwirrspiel, da der Zuschauer sich bald selber nicht mehr sicher sein kann, wem er glauben soll: hat Iris die ältere Frau tatsächlich gesehen oder existiert diese nur in der Fantasie der Verlobten, wie Hitchcock es in einer Szene mit cleveren Überblendungen zu suggerieren versucht? Wie Iris tastet sich der Zuschauer in völliger Dunkelheit voran, ohne zu wissen, wem man vertrauen kann und wem nicht.

Je weiter die Untersuchung voranschreitet, desto mehr gewinnt der Film an Ernsthaftigkeit, leidet jedoch nie unter dem Problem, den Eindruck zu erwecken, man wisse nicht, in welche Richtung man wolle und ob man nun Komödie oder Thriller darstellen wolle. Die komödiantische und die kriminale Ebene fügen sich hier nahtlos ineinander über, sodass jede Situation angemessen geschildert wird. Hitchcock sowie die Drehbuchautoren waren sich sehr wohl der Gefahr bewusst, dramatische Szenen mit unangemessenem Humor zu begleiten und so erfährt der Zuschauer die jeweiligen Situationen in der Art und Weise, wie die Personen im Film es tun. Eine Schießerei um Leben und Tod ist mitnichten amüsant, so empfinden es die Charaktere und so sollen es auch die Zuschauer fühlen.

Die Chemie zwischen den sich stets neckenden Hauptpersonen stimmt, der Humor ist angemessen und funktioniert daher hervorragend, das Werk ist angereichert mit zahlreichen spannungsgeladenen Szenen, die den späteren Hitchcock-Klassikern in nichts nachstehen. Demzufolge handelt es sich hier um eine klare Empfehlung für dieses unterhaltsame Highlight.



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von 10