Infam

Infam

(„The Children’s Hour“, directed by William Wyler, 1961)

„God will punish you.“

„He’s doing all right.“

Homosexualität war im Hollywood jener Tage ein heikles bis geradezu verbotenes Thema. Man denke etwa an Alfred Hitchcocks Cocktail für eine Leiche, ein Werk, welches dem aufgeklärten Zuschauer keinen Zweifel daran lässt, dass die beiden mordenden Protagonisten eine homosexuelle Beziehung zueinander haben, dies aber im Film nie besprochen oder offiziell bestätigt wird, da es gerade in den 40er Jahren nicht üblich war, über derartige Dinge zu reden – und das, obwohl der Drehbuchautor zu besagtem Film selber homosexuell war.

Trotz dieser Schranken ließ man es ich nicht nehmen, weiterhin Streifen zu drehen, die das Thema zumeist indirekt behandelten. Ein vergleichsweise direkter Film in dieser Hinsicht ist The Children’s Hour von William Wyler, der den meisten Cineasten wohl in erster Linie durch das überlange Mammutepos Ben Hur bekannt sein dürfte. Ursprünglich war zwar Doris Day für eine der weiblichen Hauptrollen vorgesehen gewesen, doch wohl aufgrund der Überlegungen, dass Days Image kaum zu einer der Rollen passt, entschied man sich für Shirley MacLaine als lesbische Grundschullehrerin sowie für Audrey Hepburn als ihre heterosexuelle Kollegin und Freundin. Die beiden Damen leiten zusammen eine private Grundschule für verwöhnte Mädchen, sind im ganzen Dorf angesehen und erfreuen sich auch bei ihren Schülerinnen trotz ihrer Strenge großer Beliebtheit.

Die Lehrerinnen Martha (MacLaine) und Karen (Hepburn) sind bereits seit ihrer eigenen Schulzeit beste Freundinnen und Karen hat sich nun dazu entschlossen, den Arzt Dr. Joe Cardin (James Garner) zu heiraten, in den sie bereits seit längerer Zeit verliebt ist. Martha scheint darüber wenig glücklich zu sein und macht ihrer Kollegin Vorwürfe. Doch das Verhältnis der Beiden zueinander wird sich in der Zukunft noch wesentlich verschlechtern. Daran schuld ist Mary Tilford (Karen Balkin), eine ungezogene Schülerin, die sich von den Lehrerinnen ungerecht behandelt fühlt. Um sich an den Frauen zu rächen, reimt sich das Mädchen eine wilde Geschichte zusammen, die sie alsbald wie möglich ihrer Großmutter (Fay Bainter) erzählt. Dieses Märchen der kleinen Mary besagt, dass die beiden Lehrerinnen eine Beziehung zueinander unterhalten, was die Großmutter nicht zu dulden bereit ist. Die Nachricht verbreitet sich schnell. Wenige Tage später haben alle Eltern ihre Kinder aus der Schule genommen und Martha sowie Karen bekommen den kühlen Wind zu spüren, der ihnen aufgrund der Gerüchte entgegenweht.

Wie unreif Hollywood in der Beziehung war, Homosexualität in Filmen zu diskutieren, zeigt die Tatsache, dass Regisseur William Wyler nachträglich einige Szenen aus dem Film entfernte, die sich intensiv mit der Sexualität der lesbischen Martha auseinandersetzten. Probleme mit der Zensur wurden gefürchtet und dem ist es zu verdanken, dass das Thema Homosexualität nur oberflächlich angeschnitten wird. So ist es für den Zuschauer anfangs nicht klar, auf wen Martha letztlich eifersüchtig ist: auf den Arzt oder auf Karen? Liebt sie den attraktiven und gewitzten Joe Cardin oder ihre eigene Kollegin und Freundin? Ein klärendes Gespräch zwischen den beiden Frauen findet erst gegen Ende statt, doch da ist das Kind für den Zuschauer bereits in den Brunnen gefallen – es kann den Streifen nicht mehr retten.

Man drückt sich um das Thema Homosexualität so gut es geht – geradezu lächerlich bei einem derartigen Stoff, der dem Film zugrunde liegt. Diese Feigheit ist nicht nur aus diesem Grund ärgerlich, sondern weil hier eine Chance erneut vertan wurde dem Thema auf filmische Weise gerecht zu werden. Das Problem für den Zuschauer ist auch, dass man das Werk aufgrund dieser Oberflächlichkeit als sehr zäh empfinden wird. Man bewegt sich ständig um das Thema Homosexualität herum wie um den sprichwörtlichen heißen Brei, dringt aber nie zum Kern der Sache vor. Das Resultat dieser Oberflächlichkeit ist, dass man als Zuschauer nie ergriffen wird oder einen die Probleme wirklich berühren. Die berührenden Szenen resultieren nicht aus der Entfremdung der beiden Lehrerinnen, sondern aus der Behandlung anderer Personen durch die beiden Freundinnen, so wenn etwa ihre Tante verbal verletzt wird und man unabhängig vom vorher Geschehenen Mitleid mit ihr empfindet.

Die Behandlung dieses Sujets trägt den größten Anteil daran, dass dieser Film wohl von den Meisten als sehr angestaubt empfunden wird – tatsächlich ist er sehr schlecht gealtert. Kaum erträglich ist heute beispielsweise die unerträglich kitschige Szene zwischen Audrey Hepburn und James Garner am Ende, die es beide in ihrer Darstellung übertreiben, wenn sie in Weinkrämpfen ihre gemeinsame Zukunft diskutieren. Von cineastischer Kunst ist das wahrlich weit entfernt, es wirkt wie eine Seifenoper aus dem Fernsehen aufgrund der Tatsache, dass man ihre Probleme heute wohl kaum noch in der Art und Weise nachvollziehen kann. Schuld daran ist aber erneut William Wyler aufgrund seiner Feigheit, was das Thema Homosexualität anbelangt.

Überraschend ist vielleicht auch, dass Audrey Hepburn ihrer Kollegin Shirley MacLaine schauspielerisch die Show stiehlt, da Letztere arg hölzern agiert, Hepburn dagegen sehr emotional und lebendig. Das Finale des Streifens ist nur konsequent, auch wenn es heutzutage vielleicht viel Unverständnis ernten wird. Die einzige Motivation, sich diesen Film anzusehen bleibt damit die großartige Audrey Hepburn. Alles Weitere ist eine verschenkte Chance, wenn Wyler um das eigentliche Thema mäandriert, aber nie zum eigentlichen Kern der Thematik gelangt. Natürlich ist die Entstehungszeit zu beachten, vielleicht sollte man deshalb nicht zu hart mit Wyler ins Gericht gehen, doch es waren von jeher die mutigen Filme, die heute noch scheinbar ohne Altersmerkmale wie ein Fels in der Brandung stehen, weil sie ihrer Zeit weit voraus waren so wie Billy Wilders Alkoholismus-Studie Das verlorene Wochenende. William Wyler war nicht so vorausschauend.



(Anzeige)

5
von 10