(„The Big Sleep“, directed by Howard Hawks, 1946)
Es gibt eine berühmte und sehr amüsante Geschichte über Howard Hawks’ The Big Sleep. Eines Tages kam Hauptdarsteller Humphrey Bogart zum Set, fragend, wer denn eigentlich Owen Taylor umgebracht habe – eines der Opfer in diesem Film, der mit vielen Leichen aufwarten kann. Niemand konnte diese Frage beantworten. Aus diesem Grund schickte Howard Hawks dem Autor der Romanvorlage, Raymond Chandler, ein Telegramm, indem er um die Beantwortung dieser Frage bat. Chandler schrieb zurück, er wisse es auch nicht. Diese Anekdote macht gut deutlich, wie komplex die zugrunde liegende Geschichte ist, denn Tote schlafen fest erlaubt keine einzige Sekunde Unaufmerksamkeit, da es bei völliger Konzentration schon schwierig genug ist, die ganze Handlung mit allen Zusammenhängen erfassen zu können.
Dabei fängt alles recht einfach an für den Privatdetektiv Phil Marlowe, der von General Sternwood (Charles Waldron) beauftragt wird, herauszufinden, weshalb seine Tochter Carmen (Martha Vickers) erpresst wird. Marlowe findet bald heraus, das wesentlich mehr hinter dieser Erpressung steckt, als er Carmens Erpresser erschossen in dessen Wohnung findet – neben der Leiche sitzt in betrunkenem Zustand Carmen Sternwood. Der Fall nimmt immer größere Dimensionen an und bald muss Marlowe herausfinden, dass auch die andere Tochter General Sternwoods – Vivian (Lauren Bacall) – in den Fall involviert ist. Während der Privatdetektiv nun fortwährend in großer Gefahr schwebt, beginnt er, sich in Vivian zu verlieben…
Der Film stammt aus einer längst vergangenen Zeit, in der Männer noch echte Männer sein durften. Man rauchte ununterbrochen, ohne sich um rauchfreie Kneipen Gedanken machen zu müssen, man durfte noch literweise Whisky in sich reinschütten und danach Auto fahren, um dem nächsten Gangster dingfest zu machen, man nannte Frauen noch „Puppe“ oder „Süße“ und bog sich das Gesetz schon mal nach eigenem Bedarf zurecht, wenn es darum ging, eigene Interessen durchzusetzen um dem gesuchten Mörder seine Pistole zwischen die Rippen drücken zu können. Tote schlafen fest ist ein derartiges Relikt – am Drehbuch schrieb kein Geringerer mit als William Faulkner, einer der bekanntesten Autoren Amerikas und obendrein Literaturnobelpreisträger. Dieser übernahm einige Zitate direkt aus dem Krimi von Raymond Chandler, sodass der Streifen mit einer schier unglaublichen Fülle memorabler Zitate ausgestattet ist, die ihren Weg in den Kanon der wichtigsten Filmzitate längst gefunden haben.
So darf sich der Zuschauer an ausgefeilten und perfekt sitzenden Wortwechseln erfreuen wie der Antwort von Marlowe auf die Bemerkung einer Bibliothekarin, er sehe nicht aus wie jemand, der sich mit Büchern auskennt: „Ich sammle außerdem Blondinen in Flaschen.“ Zitate wie dieses garantieren einen äußerst vergnüglichen und spannenden Film-Noir, dessen Gattung seine Popularität zu einem großen Teil aus diesem Filmklassiker bezieht. Es ist ein Werk, welches über die komplette Laufzeit im Fluss ist und sich nie im Stillstand befindet. Was ihn zudem auszeichnet ist, dass er seine Zuschauer fordert. Wer nicht aufmerksam ist, wird der Geschichte schnell nicht mehr folgen können – ungewohnt für diejenigen, die rasant geschnittene moderne Thriller gewohnt sind. Denn Hawks’ Film besteht zum größten Teil aus langen, ausführlichen Dialogen, die den Privatdetektiv Marlowe immer ein Stück näher an die Wahrheit bringen, die sich für alle Beteiligten als äußerst schmerzvoll erweist. Derart schmerzvoll, dass Marlowes Auftraggeber bzw. dessen Tochter ihm den Fall entzieht, aus Rücksicht auf die Gefühle der Involvierten.
Eine große Überraschung ist zweifellos die wenig bekannte Schauspielerin Martha Vickers als Carmen Sternwood, den beschränkten, lolita-haften Auslöser für die nachfolgenden Verbrechen, welche die undurchsichtige Vivian alias Lauren Bacall in den Schatten zu stellen vermag. Jeder Film-Noir hat etwas Düsteres, Pessimistisches an sich. Nun beschreibt The Big Sleep kein apokalyptisches Szenario wie etwa Robert Aldrichs Meisterwerk Rattennest, doch ist hier das Pessimistische, dass entweder jede Figur eine Mitschuld an den Verbrechen trägt oder ermordet wird. Hawks’ Streifen zählt zu den besten Detektivfilmen aller Zeiten – selten wurden Ermittlungen in einem Erpresserfall spannender in Szene gesetzt, denn dieser Film ist wie ein Strudel, der den Zuschauer immer tiefer in die Abgründe der menschlichen Seele blicken lässt, gnadenlos immer breitere Kreise zieht, bis sich der Erpressungsfall in ein schier undurchdringlich komplexes Komplott verwandelt hat, perfekt ausbalanciert mit feinsinnigem Dialogwitz.
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