Zeugin der Anklage

Zeugin der Anklage (1957)

(„Witness For the Prosecution“, Billy Wilder, 1957)

Stephan Eicke

Witness For the Prosecution ist einer der wenigen Gerichtsfilme, welche die Ehre hatten, in nahezu alle Listen der „Besten Filme aller Zeiten“ aufgenommen zu werden. Eine weitere Besonderheit hierbei ist, dass es in diesem Stoff schlicht um einen Kriminalfall geht – es gibt keine Plädoyers für Bürgerrechte oder andere soziale Missstände, wie sie bei Filmkritikern äußerst beliebt sind. Zeugin der Anklage, nach einem erfolgreichen Bühnenstück von Agatha Christie, ist eine clever konstruierte Kriminalgeschichte, ausgeklügelter und überraschender, als es jede Gerichts-Nachmittagssendung im öffentlichen Fernsehen jemals schaffen wird mit erstklassigen Schauspielern und einem ausgeprägten Sinn für Humor. Das Highlight des Films ist zweifellos Charles Laughton als  herzkranker Staranwalt Wilfried Roberts, der nach einem Herzanfall aus dem Krankenhaus entlassen wird und bald darauf mit einem neuen Fall bekannt gemacht wird, den er zunächst ablehnen will. Leonard Vole (Tyrone Power in seiner letzten Rolle) soll eine ältere, wohlhabende Dame ermordet haben – die einzige Person, die ihn entlasten kann, ist seine eigene Frau (Marlene Dietrich). Roberts glaubt an die Unschuld des Mannes und übernimmt die Verteidigung, wird aber bald von Aussagen überrascht, die seinen Mandanten stark belasten. Ein harter Kampf für Gerechtigkeit beginnt.

Marlene Dietrich war derart überzeugt davon, eine Oscarnominierung für ihre Darstellung der undurchsichtigen Ehefrau zu bekommen, dass sie in einer Show in Las Vegas damit prahlte, für den begehrten Goldjungen nominiert zu werden – doch Dietrich ging bei dem folgenden Nominierungsregen für den hier rezensierten Film leer aus. Nominierungen gab es schließlich für Charles Laughton, Elsa Lanchester als beste Nebendarstellerin, für den besten Film, die beste Regie, den besten Ton und den besten Schnitt. Das mit leichter Hand stilsicher in Szene gesetzte Werk präsentiert sich in der ersten halben Stunde als höchst amüsante Dialogkomödie, bestehend aus pointierten, giftigen Schlagabtäuschen von Charles Laughton und dessen bemühter, aber enervierender Pflegerin Elsa Lanchester (Laughton und Lanchester waren im wirklichen Leben verheiratet).

Der Plot um den schwer zu pflegenden Haustyrann nimmt jedoch eine Wendung und steigert sich in immer düsterere Dimensionen, je weiter die Anwälte in die Welt des Angeklagten eindringen, sodass der für Wilder typische Beginn lediglich als sehr unterhaltsame Bekanntmachung mit dem Hauptcharakter dient – doch wer aufmerksam zuschaut, dem werden subtilere Running-Gags nicht entgehen. Was diesen Film auszeichnet, sind jedoch nicht nur die exzellenten darstellerischen Leistungen, sondern auch die Tatsache, dass die Glaubwürdigkeit der Handlung niemals durch die Überraschungen und Wendungen in Zweifel gezogen wird. Vielleicht ist gerade das das Erschreckende an dem Werk: durch die feinfühlige Porträtierung der Figuren, durch ihre Menschlichkeit und den Realismus trauen wir ihnen alles zu und sind vielleicht schockiert über all das, was im Laufe der Zeit an das Tageslicht kommt, doch wir zweifeln nicht daran und halten es zu jeder Minute für möglich.

Einen wirklich guten Film erkennt man unter Anderem daran, wie gut er gealtert ist – bei einem guten Film ist es wie bei einem guten Wein, der auch nach Jahrzehnten nichts von seiner Qualität verliert – dies ist so ein Film, der auch nach fast 55 Jahren noch erstaunlich frisch und nicht im Mindesten angestaubt ist. Zeugin der Anklage ist ein brillanter Gerichtsthriller, der all das versammelt, was einen guten Film auszeichnet: Humor, detaillierte Porträtierung der Charaktere, hervorragende Schauspieler, ein cleveres Drehbuch voller Überraschungen, sodass beste Unterhaltung auf sehr hohem Niveau garantiert ist.

Breakout

Wer ist der Mörder? Diese so unscheinbare Frage bildet das Grundgerüst für eine unüberschaubare Zahl literarischer und cineastischer Werke. Sie und die Ermittlung der Antwort zieht auch heute noch jeden Sonntag tausende Zuschauer in Deutschland vor den Fernseher. Um keine andere Frage geht es schließlich auch bei Billy Wilders schwarz-weiß Streifen Zeugin der Anklage von 1957. Das Drehbuch basiert dabei auf dem gleichnamigen Werk von Agatha Christie, der Altmeisterin des Genres.

Die wohlhabende Witwe Emily French wird ermordet in ihrem Londoner Haus aufgefunden. Der Verdacht fällt schnell auf Leonard Vole (Tyrone Power), der seit einiger Zeit eine rein freundschaftliche Beziehung zu der Ermordeten unterhalten hat und der seit kurzem als alleiniger Erbe im Testament der Witwe eingetragen ist. Diese Tatsache und ein schwaches Alibi, das nur durch seine aus Deutschland stammende Frau Christine Vole, gespielt von Marlene Dietrich, Bestand hat, führen dazu, dass er sich schließlich vor Gericht wiederfindet – Anklage: Mord. Einem solch reizvollen Fall kann der berühmte Anwalt Sir Wilfrid Robarts (Charles Laughton) schließlich nicht widerstehen, obwohl sein gesundheitlicher Zustand dringend Pause und Ruhe erfordern würde, und  so vertritt er Leonard Vole vor Gericht. Schnell wird klar, dass die Aussage von Christine Vole die entscheidenden Argumente für die Geschworenen liefern wird. Doch dann überrascht die Frau des Angeklagten alle…

Die große Kunst dieses doch so einfach wirkenden Genres besteht darin, den Zuschauer auf der Wahrheitsfindung mitzunehmen, ihn die Argumente mit abwägen zu lassen und der drohenden Langeweile eines Gerichtsdramas durch unvorhergesehene Wendungen vorzubeugen. Ist dies gut gemacht, so folgt schließlich ein in Erstaunen versetzender Aha!-Effekt und ein solcher Film bleibt bis zum Ende spannend. Dies trifft auf Wilders Verfilmung ohne Zweifel zu und wer nach knapp zwei Stunden meint, den Fall endlich durchschaut zu haben, wird in den letzten fünf Minuten eines besseren belehrt. Selten hat ein Film am Ende auf diese Weise noch einmal alles umgestürzt. Zurück bleibt ein Verteidiger, der sich nur mit seiner Thermoskanne Brandy helfen kann und ein Zuschauer, der ein Meisterstück des Genres erleben durfte.

Bekannt ist Zeugin der Anklage auch deshalb, weil alles unternommen wurde, um den Ausgang der Geschichte so gut und lange wie möglich geheim zu halten. So wurde auf den Filmpostern und im Vorspann dringlichst darauf hingewiesen, das Ende nicht seinen Freunden zu verraten. Und dann gibt es auch noch das Gerücht, das besagt, diese Geheimhaltung hätte Marlene Dietrich schließlich die Nominierung für den Academy Award gekostet. Wie diese Behauptung auch letztlich zu bewerten ist, der Film lebt von seinen Wendungen und aus diesem Grund soll an dieser Stelle auch nicht mehr über den weiteren Verlauf der Gerichtsverhandlung berichtet werden.

Während Marlene Dietrich aus heutiger Sicht zweifelslos die schillerndste Persönlichkeit der Besetzung darstellt, glänzen in Wilders Film auch die anderen Schauspieler. Dietrich gibt die kühle Deutsche und kann mit ihrer Rolle noch in die Kategorie der femme fatale gestellt werden. Im Gegensatz dazu stehen die meisten anderen Rollen, deren ausgesprochen unterhaltsamen Dialoge ohne Zweifel humoristische Züge aufweisen. Allen voran trifft dies auf Charles Laughton zu, der den kranken Anwalt gibt, der mit seiner Gesundheit aber v.a. mit seiner Haushälterin (Elsa Lanchester) zu kämpfen hat. Una O’Connor in der Nebenrolle als Haushälterin der Ermordeten glänzt in ihrem letzten Film außerdem noch einmal mit einem mit ihrer Physiognomie untrennbar verbundenen Humor. Aber auch Tyrone Power vermag in den Dialogen, die in einem Gerichtsdrama fast zwangsläufig den wichtigsten Aspekt der Handlung darstellen müssen, zu überzeugen.

So ist Zeugin der Anklage nicht nur hinsichtlich der Handlung, sondern auch durch die schauspielerische Leistung ein herausragender Film, der unterhält und erstaunt zugleich. Sechs Nominierungen für den Academy Award und fünf für den Golden Globe zeigen (davon eine Auszeichnung für Elsa Lanchester als Beste Nebendarstellerin), dass er bei seinem Erscheinen auch bereits derart positiv aufgenommen wurde. Dass die ARD den Film zu Dietrichs 110. Geburtstag im Nachtprogramm untergebracht hat, ist zu begrüßen, doch hätte er selbst nach über 50 Jahren einen prominenteren Sendeplatz verdient gehabt.



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