Bestie Mensch

Bestie Mensch

(„La béte humaine“, directed by Jean Renoir, 1938)

1938 hatte in Frankreich bereits die Strömung des sogenannten „poetischen Realismus“ Einzug gehalten. Die Zeit des experimentellen Surrealismus eines Luis Bunuel war zwar noch nicht gänzlich vorbei, doch hatten einige bedeutende Regisseure – unter ihnen auch Jean Renoir – dieser Strömung den Rücken gekehrt. Die meisten Zuschauer verlangten nach realistischen Bildern mit Charakteren aus dem Volk, mit denen sie sich identifizieren konnten. Eine Konsequenz aus dem Elend, das Frankreich zu jener Zeit durch eine wirtschaftliche Krise heimsuchte. Einer der bedeutendsten Vertreter dieser neuen Epoche ist Jean Renoir, der mit Die große Illusion von 1937 seinen vielleicht bekanntesten Film in Szene setzte.

Ein Jahr später sollte nun La Béte Humaine folgen, basierend auf einem Roman von Emile Zola, dessen bekanntestes Werk wiederum Germinal zu sein scheint. Bestie Mensch wurde als Roman 1890 veröffentlicht. Jean Gabin, der Star aus Die große Illusion wählte Renoir auch für diese Verfilmung ein Jahr später aus, womit er einen seiner größten Erfolge feierte und eine Nominierung für den besten Film des Jahres auf dem damals bedeutendsten Filmfest – eben jenem von Venedig – erreichen konnte. Simone Simon spielt Séverine Roubaud, eine unglücklich verheiratete junge Frau, die von ihrem Patenonkel als Mätresse missbraucht wurde. Als ihr Mann (Fernand Ledoux) davon erfährt, schlägt er seine Frau nicht nur, sondern zwingt sie schließlich dazu, gemeinsam mit ihm den verhassten Onkel zu ermorden. Dies geschieht schließlich in einem fahrenden Zug, in welchem der Pate erstochen wird. Der einzige Zeuge ist Zugführer Jacques Lantier (Jean Gabin). Lantier ist einsam, neigt zu aggressiven Gewaltausbrüchen, bei denen er sich nicht beherrschen kann – in diesen Momenten ist nichts und niemand vor ihm sicher. Auch nicht die Frau die er liebt, welche er, um sie zu schützen, daraufhin verlässt.

Dieser arme, einsame Mann ist nun Zeuge des Verbrechens von Ehepaar Roubaud, schweigt jedoch, als die Polizei ihn verhört und behauptet, niemandem auf dem Gang des Zuges gesehen zu haben. Séverine versucht aus Angst, der Zeuge könne sie noch verraten, sich dem Zugführer sympathisch zu machen, was auch gelingt, denn schon nach wenigen Treffen gesteht Lantier ihr seine Liebe, welche Séverine jedoch zunächst nicht erwidert. Ihre Ehe ist in der Zwischenzeit jedoch auch zerbrochen, denn die von ihrem Mann ausgehende Tat hat sie ihm und sich selbst nie verziehen. Nach einigen romantischen Abenden hat sie sich schließlich auch in Lantier verliebt, doch kann ihre Beziehung jemals glücklich werden oder sind seine unkontrollierbaren Ausbrüche und ihr Mann zu große Schranken, als dass sie je glücklich werden könnten?

La béte humaine beginnt wie ein Episodenfilm mit Miniatur-Porträts der beiden Hauptcharaktere. Renoir schildert das einsame, traurige Leben des Zugführers Lantier in deprimierenden Bildern. Für die grandiose Eingangsszene ließ der Regisseur eine Kamera direkt außen am Zug montieren – an einem Zug, der scheinbar in unendliche Weite fährt, ohne jemals still zu stehen, wie das Leben Lantiers, dessen Wohnung der Zuschauer im Laufe des Films nicht ein einziges Mal sieht, denn Lantier schläft meistens in Unterkünften für die Angestellten der Bahn, da er ständig auf Reisen ist und sich eine Heimfahrt für ihn aufgrund der knapp bemessenen Freizeit nicht lohnt. Séverine hingegen ist eine selbstbewusste Frau, von der man zunächst denkt, dass sie rundum beneidenswert sei, denn sie ist oberflächlich gesehen glücklich verheiratet, bis man Zeuge wird, wie ihr Mann sie schlägt und sie nicht die Kraft aufbringt, sich gegen den Plan ihres Mann, den Paten umzubringen, wehren kann. So wird sie in einen Mord hineingezogen, der ihr ganzes Leben verändern und alles in Frage stellen wird.

Bestie Mensch kennt keine Helden. Alle Charaktere dieses Streifens sind traurige Antihelden. Lantier ist schizophren, er belügt die Polizei und hilft dabei, zwei Mörder laufen zu lassen. Séverine ist eine Femme fatale, auf der Suche nach einem Lebensgefährten, der dazu bereit sein muss, ihren Ehemann für sie umzubringen, damit sie aufatmen kann. Sie ist die Frau, die alle Männer, die mit ihr zu tun haben, ins Unglück stürzt. Ihr Onkel wird ermordet, ihr Ehemann wird zum eiskalten Killer und auch der Mann, der sie liebt, wird mehrmals in Versuchung gebracht.

Renoirs Film ist derart detailliert in seinen Charakterstudien, dass der Zuschauer bald mehr über die Figuren zu wissen scheint, als diese selbst – bis es schier unerträglich wird, den Charakteren bei ihrer systematischen Selbstzerstörung zuzusehen. Es ist ein Film, der nur schwer greifbar ist. Angeordnet in Quasi-Ringform wirken die Erlebnisse des Zugführers Lantier in der Station wie ein verstörender Alptraum, bei dessen pessimistischer Aussage der Zuschauer live dabei ist. Ein unangenehmer, gleichzeitig jedoch auch ein sehr faszinierender Film, der einen gefangen nimmt, weil all das Geschehen, all die Figuren durch und durch realistisch erscheinen – nicht zuletzt aufgrund der großartigen darstellerischen Leistungen Gabins und Simons.



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