Ich bin ein wenig neurotisch geworden, was deutsche Dokumentationen bzw. Berichterstattungen jeglicher Art betrifft. Ich möchte das an einem Beispiel erläutern: Der Fernseher ist seit einigen Wochen stillgelegt, wird nur noch dazu verwendet, DVDs wiederzugeben. Er lief bereits so lange nicht mehr, dass ich völlig vergessen habe, warum ich dem deutschen Fernsehen abgeschworen hatte. Vor kurzem erinnerte ich mich wieder, da es mir wie ein Faustschlag ins Gesicht wieder vor Augen geführt wurde. Bei meiner Recherche zu einigen der schlechtesten Filme aller Zeiten stieß ich bei YouTube auf einige Filmausschnitte mit Ulli Lommel.
Nun muss man wissen, dass Ulli Lommel einer der heißesten Anwärter für den begehrten Platz „Schlechtester Regisseur aller Zeiten“ ist und immerhin Daniel der Zauber verbrochen hat, ein halbdokumentarisches Werk, welches im IMDb-Ranking für die miestesten Machwerke der Geschichte auf Platz 3 prangt. Platz 3 heißt, dass einige Leute glauben, Daniel der Zaubere“ sei nicht der schlechteste Film aller Zeiten. Sie haben Unrecht. Wie dem auch sei, YouTube präsentierte mir einige Ausschnitte aus kurzen Porträts Lommels, die das deutsche Fernsehen im Laufe der letzten Jahre gesendet hat. Dabei war ein Interview aus der NDR-Sendung „3 nach 9“ (für Leute, die ungerade Zahlen lieben) mit Giovanni di Lorenzo zu sehen, der dem Ehrengast Lommel einige Fragen bzgl. seiner Karriere stellte.
Nun könnte man fragen: welche Karriere? Das Praktische ist: hat man keine Karriere, zaubert Giovanni der barmherzige Samariter eine aus seinem imaginären Hut. Lommel wurde porträtiert als Lichtgestalt Deutschlands, der mit Fassbinder arbeitete, der der Alain Delon Deutschlands war und Frauen zu Hunderten verführt hat, welcher mit Andy Warhol im Club 54 abhing, Truman Capote zu seinen Freunden zählte und mit Elvis Presley um die Wette sang. Nur ein Zuschauer, gefühlskalt wie ein Stein, kann diesen Lobreden widerstehen. Derjenige, der hier das erste Mal von diesem außergewöhnlichen Mann hört, bekommt nun den Eindruck, Lommel sei ein unübertroffenes Genie, das als Schauspieler in eine Reihe mit Marlon Brando gehört. Giovanni schwafelt weiter, Lommel habe ja auch den Boogeyman gedreht, der 1980 immerhin auf Platz 1 der Video-Charts war. Vom vielen Honig-um-den-Mund-schmieren schon ganz überzuckert, klickte ich auf ein Porträt Lommels vom Bayerischen Rundfunk. Hier: gleiches Bild. Lommel, der coole und unnahbare Desperado, ein Held, auf den Deutschland zu Recht stolz sein kann. Was ist los mit euch?
Was verleitet Journalisten dazu, derartige einseitige Beschreibungen zu fabrizieren, die ein vollkommen falsches Bild von einer Person abgeben bzw. sich nur dem Euphemismus hingeben und alles „weniger Gute“ ausblenden? Wenn 20th Century Fox John Hustons The Bible als eines der größten Filme der Geschichte darstellt, kann man das noch verstehen, schließlich wollen die derartigen Müll an den Mann bringen und gewinnbringend verkaufen. Doch ein solches Argument greift bei Lommel nun mal nicht. Warum sollte der BR Lommel in den Himmel loben wollen, schließlich steht er bei denen nicht unter Vertrag oder verspricht ihnen Gewinne jeglicher Art. Der kritische Journalismus scheint tot zu sein – und das ohne ersichtlichen Grund.
Ich halte derartige Glorifizierungen nicht nur für einseitig und wenig intelligent, sondern gar für gefährlich. Welche Macht das Fernsehen über die Menschen haben kann, ist ja allgemein bekannt und muss hier nicht noch einmal erläutert werden, doch dieses Lommel-Beispiel führt einem erneut eindrucksvoll vor Augen, dass die Zuschauer nur das er fahren, was die jeweiligen Angestellten bei diversen Fernsehsendern einen erfahren lassen wollen. Das Ergebnis ist verheerend. Der informationsfaule Bundesbürger schnappt auf, was das Fernsehen über eine Person sagt, glaubt das und weil er aufgrund der Informationsflut, die aus dem Bildschirm das Wohnzimmer flutet, keine Zeit hat, mehr über das Thema nachzuforschen, bleibt er auf diesem Wissensstand. Und der ist sehr niedrig, wenn man denkt, Ulli Lommel wäre ein Meisterschauspieler oder –regisseur. Der Mensch, der diese Sendungen gesehen hat, läuft nun sein Leben lang nur mit dem Wissen herum, was er vom Fernsehen aufgeschnappt hat – er ist einseitig informiert. Oder sagen wir es platt: deutsche Fernsehsender haben ihn verblödet.
Was hindert die Reporter daran, alle filmischen Katastrophen Lommels aufzuzählen – abgesehen von der zu kurzen Sendezeit? Schämen Sie sich? Es ist bei Printmedien ja hier und da noch gebräuchlich, dargestellte Personen den abzudruckenden Text vor Veröffentlichung noch gegenzulesen lassen – aber bei einem Fernsehbericht über Lommel? Dem wird man diese Reportage – schon bei diesem Wort muss ich in den hiesigen Zusammenhang kichern wie ein kleines Schulmädchen – sicher nicht vorlegen, bevor sie gesendet wird. Also fällt auch dieses Argument weg. Ich weiß nicht, was der Antrieb dieser bösartigen Menschen ist, die aus Ulli Lommel einen zweiten Stanley Kubrick machen. Es ist schlicht unangebracht. Man wird jetzt sagen: aber das machen doch viele Sender in anderen Ländern auch nicht anders und kritisieren ungerne. Stimmt auch. Arme Welt. Dabei sind einseitige Berichterstattungen nur ein Übel von vielen. Aber das Thema wäre zu lang für eine einzige Kolumne…
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