(„Charley Varrick“, directed by Don Siegel, 1973)
„Charley Varrick, last of the independents.“ I like that. Has a ring of finality.”
Der Beginn ist ein Kontrapunkt. Eine idyllische Landschaft, Felder angestrahlt von milder Sonne, die durch die Wolken bricht und sich ihren Weg durch die Nebelbänke bahnt. Eine kleine Farm mit Kühen und einem Esel, der von einem kleinen Jungen einen Sattel aufgesetzt bekommen soll, doch der Junge braucht mehrere Anläufe, er ist nicht groß genug. Das ist die Idylle von Tres Cruces, einem kleinen, verschlafenen Ort in New Mexico. Man hat den Eindruck, hier könne nie etwas Böses passieren. Und eigentlich hat Charley Varrick (Walter Matthau) auch nichts Böses vor an diesem ruhigen Sommertag. Er möchte niemanden verletzten oder etwas Schlimmes zufügen. Er möchte sich lediglich etwas Geld aneignen, damit er in der nächsten Zeit mit seiner Frau gut über die Runden kommen kann. Varrick ist ein bescheidener Mensch.
Die Bank in dem kleinen Nest – so vermutet der Bankräuber – wird nicht mehr als ein paar tausend Scheine beherbergen, die man sich aneignen kann. Mit zwei Komplizen und seiner Frau macht sich Varrick in Maskerade auf, sich das Geld zu holen. Der Coup läuft jedoch anders als geplant. Einer der Komplizen wird erschossen, Varricks Frau stirbt, ebenso zwei Polizisten, die den Räubern bald auf den Fersen sind. Dies sind jedoch nicht die größten Probleme, mit denen sich Charley und Harman (Andrew Robinson), die beiden Verbliebenen, konfrontiert sehen. Die große Überraschung kommt erst, als sie das Geld zählen, welches sie erbeutet haben.
Eine dreiviertel-Million Dollars halten sie bald in den Händen – und das, obwohl in den Nachrichten nur von ca. 2.000 entwendeten Dollars die Rede ist. Charley wird schnell klar, welches Spiel gespielt wird – das gestohlene Geld ist heiße Ware der Mafia, die in der kleinen Bank ihr nicht versteuertes Geld zwischenlagern ließ. Den Beiden wird allmählich klar, dass sie nun nicht nur gegen die Polizei kämpfen müssen, sondern dazu noch gegen die Mafia – und die versteht bekanntlich keine Scherze. Es dauert nicht lange, da sendet die Cosa Nostra einen Vertrauensmann namens Molly (Joe Don Baker), der ihnen das Geld wiederbeschaffen soll. Für Charley Varrick beginnt ein rücksichtsloser Kampf gegen das FBI und gegen die Mafia, die nur darauf wartet, die Füße des Bankräubers in Eimer voll Zement zu tauchen…
Charley Varrick ist einer von Quentin Tarantinos Lieblingsfilmen – das merkt man auch daran, dass der Regisseur in seinem berühmtesten Werk Pulp Fiction einen Satz aus diesem Gangsterfilm zitiert. Diese Tatsache überrascht wenig, denn kleinere Einflüsse auf Tarantino sind hier deutlich zu spüren. So könnte die Figur des gefühlskalten, skurrilen Charakters Molly, der in all seiner Coolness fast nie ohne Pfeife zwischen den Zähnen anzutreffen ist, ebenso gut aus einem Film des Pulp Fiction-Regisseurs stammen. Don Siegel, der auch für den Dirty Harry –Film zuständig war, konnte sich bei diesem Projekt nach eigenen Wünschen ausleben, so führte er nicht nur Regie, sondern produzierte dieses Werk zugleich auch, was ihm den Freiraum verschaffte, eine Figurenkonstellation nach eigenen Wünschen zu erschaffen.
Es ist in der Tat ein purer Don Siegel-Film geworden, was sicher am ehesten an dem grotesken, makabren Humor zu merken ist, ein Resultat aus den skurrilen Charakteren, die dem Zuschauer hier präsentiert werden. Die wohl amüsanteste ist die schrullige alte Nachbarin von Charley Varrick, die davon überzeugt ist, alle Männer würden sie vergewaltigen wollen – so erlaubt sie dem gefährlichen Milchmann auch nur, die Milch auf die untersten Stufen der Treppe zu stellen, sodass er ihr ja nicht zu nah komme. Wie die besten Filme von Don Siegel ist auch dies ein Streifen, welcher ein eindeutiges Männerbild projiziert von harten Machos, die eine Frau nur mit einem Schlag in ihr Gesicht dazu bringen können, mit ihnen ins Bett zu gehen. Davon mag man nun halten, was man will, selbstverständlich sind einige sexistische Aspekte maßlos überzogen und unglaubwürdig, doch eben das macht in diesem Fall die Coolness dieses Gangsterkrimis aus.
Realitätsbezüge sind hier irrelevant, dafür wird der Zuschauer in kurzweiligster Manier über 110 Minuten bestens unterhalten, denn Der große Cou“ bietet all das, was ein guter Gangsterfilm der 70er bieten sollte: ausbalancierten Humor, memorable Zitate, anhaltende Spannung, interessante Charaktere, wilde Verfolgungsjagden (Highlight ist hier eine der ungewöhnlichsten Verfolgungsjagden der Filmgeschichte, indem ein fahrendes Flugzeug von einem Auto verfolgt wird). Ein zusätzlich sehr interessanter Aspekt ist hier die Frage, auf wessen Seite man als Zuschauer steht, denn dieser kann nur – Siegel lässt einem keine andere Wahl – auf der Seite des Verbrechers Varrick stehen – ebenso wie dies der Fall ist in Sam Peckinpahs The Getaway, auch ein Verfolgungsthriller, indem sich Steve McQueen und Ali MacGraw gegen zwei Parteien zur Wehr setzen müssen.
Ursprünglich war die Rolle des Charley Varrick für Clint Eastwood vorgesehen gewesen, der jedoch ablehnte. Man kommt nicht umhin, Walter Matthau zu attestieren, dass er trotz zweiter Wahl einen hervorragenden, sympathischen Verbrecher darstellt und 1974 zu Recht mit einem BAFTA-Award für die beste männliche Hauptrolle ausgezeichnet wurde. Dieses Werk ist ein Muss für alle Freunde gepflegter Gangsterfilme, die man sich auch nach vierzig Jahren noch ansehen kann, um bestens unterhalten zu werden. Ein kleines Juwel der 70er.
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