(„Les fleurs maladives de Georges Franju“, directed by Pierre-Henri Gibert, 2009)
Dies ist kein Film über Botanik. In dieser dreiviertelstündigen Dokumentation wird über das Schaffen Georges Franjus beleuchtet, der mit Augen ohne Gesicht immerhin einen der bekanntesten und am meisten geschätzten Horrorfilme aller Zeiten inszenierte. Der Franzose wurde 1912 geboren und lässt sich filmisch in keiner Weise einordnen – und das, obwohl er seine ersten Spielfilme in jener Zeit in die Kinos brachte, in der die „Nouvelle Vague“ ihren Höhepunkt erreicht hatte. Franju war von dieser Strömung weit entfernt. Versucht man, seinen Stil zu beschreiben, so trifft es vielleicht „surrealistischer Realismus“ am besten, denn der Regisseur und Drehbuchautor sah sich zwar von den Surrealisten durchaus beeinflusst, doch nahezu alle seine Szenen, die er im Laufe seines Lebens filmte, beschreiben alltägliche Erlebnisse, durch kleine Eigenschaften – sei es auch nur ungewöhnliche Beleuchtung – verzerrt ins Unwirkliche.
In der vorliegenden Dokumentation wird Franju daher treffenderweise als Liebhaber der Poesie charakterisiert, der immer auf der Suche nach dem Schönen war, das zugleich aber auch eine unwirkliche Aura ausstrahlte, so etwa die Szene aus Augen ohne Gesicht, in welcher Christiane aus einem wunderschön altmodischen Käfig weiße Tauben fliegen lässt, die die gesichtslose junge Frau umfliegen und für eine unantastbare Ruhe auf der Kinoleinwand sorgen. Auf sein berühmtestes Werk Augen ohne Gesicht wird in dieser Dokumentation am ausführlichsten eingegangen, Szenenbilder und Ideen des Filmemachers werden erläutert und mit Anekdoten von Schauspielern oder Kollegen bereichert. Es ist erfreulich, dass auch auf frühere Kurzfilme des Franzosen eingegangen wird, auch wenn aus diesen keine Filmausschnitte zu sehen sind. So ist es äußerst interessant, dass Franju bereits in den 40er Jahren die Grausamkeit auf Schlachthöfen für Tiere dargestellt hat – es muss ein schockierender Kurzfilm gewesen sein, bei dessen Vorführung angeblich 30 Leute in Ohnmacht fielen.
Durch diese Anekdoten wird einem erstaunlicherweise vor Auge geführt, wie unzeitgemäß Franju Zeit seines Lebens war und in den 40er Jahren bereits Themen aufgriff, die damals unüblich waren, heute aber populärer sind als je zuvor. Auch eine Dokumentation über tödlichen Staub für Industriearbeiter wurde von dem an Klaustrophobie leidenden Mann in Szene gesetzt – auch hier ein damals höchst ungewöhnliches Sujet für einen Dokumentarfilm, der zunächst einige Ablehnungen von Verleihern erfahren musste. Hier zeichnete sich bereits die poetische Qualität Franjus ab, der die Arbeiter in einer Fabrik sich wie in einem Ballett bewegen lässt, was grotesk anmutet bei einer Dokumentation, deren Thema es ist, wie schädlich und tödlich der Staub in diesen Fabriken für die Arbeiter ist.
Die kränkelnden Blumen des Georges Franju macht in der Tat neugierig auf Filme der Person, um die sich dieses Werk dreht. Schuld daran sind sicherlich auch die Beschreibungen von Weggefährten der Person Franjus selbst, der ein introvertierter Einzelgänger war, fast nie von seinem Skript während der Dreharbeiten aufsah und auch sonst wenig mit den Schauspielern sprach. Es fällt sogar das Wort „realitätsfern“, die besonders im heutigen Zeitalter auf Franju zutrifft, denn der Künstler interessierte sich nicht im Geringsten für das Publikum bzw. dafür, wie die Zuschauer seine Filme aufnahmen. Er war der Prototyp eines unkommerziellen Filmemachers, der schwer daran litt, nur so wenig Herzensprojekte in die Tat umzusetzen zu können, da es ihm an Geldgebern mangelte. Claude Chabrol erzählt über den „Dichter des Kinos“ eine treffende Anekdote, die daraus besteht, dass Franju eines Tages Blumen aufnehmen wollte. Die Kamera sollte am Boden platziert werden, damit gleichzeitig die Blumen, als auch der Mond in einem Bild zu sehen wären. Franju musste feststellen, dass der Mond jedoch zu klein war und entgegnete nur: „Bringt uns näher an den Mond heran.“
Eine gut gemachte Dokumentation über die Eigenheiten Franjus, seinen Platz in der Filmgeschichte und über die Entstehung seines Augen ohne Gesicht-Films. Bedauerlich, dass ansonsten keine biographischen Details aufgeklärt werden oder dass nicht mehr Ausschnitte aus weiteren Filmen zu sehen sind. Zumindest stimmt diese Dokumentation sehr gut auf den oben erwähnten Horrorfilm ein, sodass ihr Platz auf der von Concorde herausgegebenen DVD zu Les yeux sans visage absolut berechtigt ist.
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