Die untreue Frau

Die untreue Frau

(„La femme infidéle“, directed by Claude Chabrol, 1969)

„Nichts ist kälter als eine tote Liebe.“

Zugegeben, die Kritik Chabrols an der Bourgeoisie, der Voyeurismus an eben jener ist nichts Neues in der Filmographie des Regisseurs. Diese seine Eigenschaft ist auch weit davon entfernt, subtil zu sein. Diese Kritik fand auf verschiedenste Weise ihre Ventile: in Vor Einbruch der Nacht ist es der brave, unscheinbare Bürger, der bei SM-Spielchen seine Geliebte umbringt, in Das Biest muss sterben entpuppt sich das wohlhabende Familienoberhaupt als derartiges Ekel, dass es kaum jemanden gibt, der ihm nicht die Pest an den Hals wünscht, in Blutige Hochzeit hat die Frau des Bürgermeisters eine Affäre und entschließt sich dazu, ihren reichen Gatten um die Ecke zu bringen.

Diese Aufzählung könnte man endlos fortsetzen und an dieser Stelle um Die untreue Frau ergänzen, ein Werk aus der mittleren Schaffensperiode Chabrols, die bis heute als seine beste und kreativste gilt. Abgesehen von der Darstellung des Großbürgertums begegnet dem Zuschauer noch etwas, das er bereits aus anderen Filmen des Parisers kennen dürfte: die Hauptdarstellerin Stéphane Audran, mit der er von 1964 bis 1980 verheiratet war und gerne in seinen Werken einsetzte, was ihm aufgrund dieser Rollenrepetition durchaus Kritik einbrachte. Neben Audran gesellt sich Michel Bouquet, der mit seiner Familie als wohlhabender Anwalt ein gemütliches Leben in einem großen Haus in Versailles verbringt. Das Leben könnte für ihn nicht besser sein: sein Sohn ist der Klassenbeste, seine Frau liebt ihn, er ist in seinem Beruf erfolgreich – kurz: er hat keinen Grund zu klagen.

In den letzten Wochen beobachtet er allerdings, wie seine Frau immer öfter nach Paris reinfährt – sie behauptet, ins Kino und zum Frisör zu gehen, doch ihr Mann Charles ist misstrauisch. Daher ruft er eines Tages beim Frisör an, wo er seine Frau zu finden erwartet. Doch sie sei nicht da, berichtet man ihm. Charles‘ Misstrauen wird immer größer, sodass er schließlich einen Privatdetektiv einschaltet, der seine Frau beschatten soll. Es dauet nicht lange, da kann der Detektiv ein Ergebnis vorweisen, was seinen Auftraggeber jedoch in eine Krise stürzt: es wird zur Gewissheit, dass seine Frau sich regelmäßig mit einem ihm unbekannten Mann in Neuilly trifft, wo sie mehrere Stunden bei ihm verbringt. Charles braucht eine gewisse Zeit, um sich diese Tatsache bewusst zu machen, ehe er schließlich den Geliebten seiner Frau aufsucht …

Filmverleihe haben einige von Chabrols Filmen immer freimütig als „Krimi“ oder „Thriller“ verkauft, obwohl sie sich nicht um das eigentliche Verbrechen drehen oder sich darauf konzentrieren, sondern schlicht auf die Psyche der einzelnen Personen. Chabrol geht es darum, zu zeigen, wie seine Figuren mit verschiedenen Situationen umgehen. Die Spannung resultiert bei den Psychothrillern Chabrols meist nur aus eben jener Frage und aus der Beobachtung – aus der Sezierung – der Charaktere, die der Regisseur scheinbar mit tiefster Befriedigung leiden lässt. So auch hier – bis zum Verbrechen vergeht mehr als die Hälfte der Laufzeit. Bis zu diesem Zeitpunkt bildet der Pariser die komplett erkaltete Beziehung des Ehepaares in recht simplen Metaphern aus, sei es nur die fast entkleidete Audran auf dem Bett liegend, neben ihr Bouquet, der nicht die leisesten Anstalten macht, sie anzurühren, sei es auch nur, sie zu küssen.

Stattdessen – die hämische Kritik am verklemmten Großbürgertum ist unübersehbar – schaltet er den Plattenspieler ein und lauscht einem klassischen Stück für Klavier und Violine, während sich seine Ehefrau langweilt. Man kann es amüsant finden, dass Chabrol die Ehebrecherin weniger verurteilt als den betrogenen Ehemann. Hier ist es interessant, dass dieser nicht aufgrund seines Verbrechens kritisiert wird, sondern aufgrund seines vorhergehenden Verhaltens, indem sich der Regisseur konstant über diesen aufgeblasenen, langweiligen Snob lustig macht. Die Figur der Sekretärin Charles‘, so hat es den Eindruck, wurde nur eingefügt, um nochmals mit dem Finger auf die Verklemmtheit des Anwalts zu zeigen, der seine attraktive Angestellte im kurzen Rock keines Blickes würdigt. Es scheint gar so, dass Chabrol für die vom Ehemann schließlich begangene Tat Respekt empfindet – zumindest wird versucht, dieses Gefühl beim Zuschauer hervorzurufen.

Bouquet ist der asexuelle, gefühlskalte Anwalt, der in seiner eigenen kleinen Welt lebt mit einer Familie, die nur oberflächlich glücklich ist. Ein bedauernswertes Geschöpf, welches niemals aus sich herauskommt und nie versucht, seinem langweiligen Dasein zu entkommen. Mehr als einmal macht sich Chabrol über diese Figur zu diesem Zeitpunkt lustig. Das Verbrechen dieser Person wirkt hingegen wie ein Befreiungsschlag. Es ist die Tat, mit der Charles endlich Respekt erlangt, weil er zum ersten Mal seine Gefühle zeigt und aus sich herauskommt. Mit diesem Hintergrund lohnt es sich, das Verhalten seiner Ehefrau genauestens zu beobachten und so seine eigenen Schlüsse aus ihrem Charakter zu ziehen.

Der bösartige, vielleicht aber nicht jedem sofort offensichtliche Sarkasmus Chabrols wird in diesem Werk besonders deutlich und sorgt für eine außerordentlich amüsante Unterhaltung mit dem betrogenen Ehemann Charles und dem Geliebten seiner Frau, der von Charles gefragt wird, wie er denn „zufrieden sei“. Dass die Ehe des Anwalts vor der Affäre besser zu funktionieren schien als danach, ist bemerkenswert und so schuf der Regisseur mit Die untreue Frau ein sehr interessantes Werk, das anfangs zwar ein wenig an Spannung vermissen lässt, sich aber als perfide ausgeklügeltes Psychodrama entpuppt, die armseligen Charaktere genauestens durchleuchtend. Die moderne, dissonante Musik Pierre Jansens für Klavier und Streicher verleiht diesem Film zusätzlich eine kraftvolle Atmosphäre, gibt in ihrer Vielschichtigkeit Aufschluss über das Seelenleben der Figuren und ihren Zustand. Ein amüsantes Detail ist die Autofahrt Charles‘ der an einem Kino vorbeifährt, indem Les Biches gespielt wird – ein Film von Claude Chabrol natürlich. Die Bildqualität der deutschen DVD ist nicht akzeptabel, da unscharf und verschmutzt – eine Restaurierung ist wünschenswert, sogar dringend erforderlich.



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von 10