Ich die Nummer Eins

Ich – Die Nummer eins

(„Le silencieux“, directed by Claude Pinoteau, 1973)

Sie kennen Claude Pinoteau. Doch, ganz sicher. Oder zumindest kennen Sie seinen größten Erfolg La Boum mit Sophie Marceau, einen der größten Kinohits der 80er, welcher sogar eine Fortsetzung nach sich zog und Marceau zum begehrtesten Jungentraum dieser Zeit machte. Das ist lange her, doch noch länger ist Pinoteaus Kinoerstling her, der da heißt Ich – Die Nummer eins mit dem Lieblingsschauspieler des Regisseurs Lino Ventura, welcher vor seiner Karriere als Schauspieler sich sein Geld mit Boxen verdiente. Venturas beste Eigenschaft als Schauspieler war, dass er jeden Typus verkörpern konnte – man nahm ihm sowohl den brutalen Gangster, als auch den charmanten Hochstapler oder den knallharten Kommissar ab. Im Fall von dem hier rezensierten Film auch den gejagten Spion, der um sein Leben rennen muss. Ventura spielt Clément Tibére, einen russischen Wissenschaftler, der ehemals als Spion für England tätig war, aber gebürtiger Franzose ist.

Eines Tages bzw. nachts wird Tibére von den Engländern gefangen genommen, man betäubt ihn und sorgt dafür, dass er für tot erklärt wird. Der britische Geheimdienst macht schnell klar, was man von dem ehemaligen Spion verlangt: in wenigen Stunden würden zwei Passagiere ein Flugzeug nach Russland besteigen. Mit sich würden sie geheime Informationen aus dem vereinigten Königreich transportieren. Dies versucht man in London selbstverständlich zu verhindern und so befragt man Tibére nach den fraglichen Personen, deren Gesichter und Namen man noch nicht kennt – außer dem Wissenschaftler, der aber zunächst nicht bereit ist, seinen Entführern zu helfen. Nach langem Zögern hilft er den Briten jedoch, den Verrätern dingfest zu machen – sehr zum Missfallen der gegnerischen Partei. Trotz zwei neuer Pässe, genügend Geld und einer Waffe, die ihm von dem britischen Geheimdienst zugesichert wurden, muss Tibére nun ständig um sein Leben fürchten, denn an jeder Ecke lauern Spione, die nichts lieber sehen würden, als einen toten Wissenschaftler. Nur durch einen selbstständig geplanten Austausch kann Tibére nun verhindern, dass seine Leiche aus dem nächsten Kanal gezogen wird …

Ich – Die Nummer eins“ist genau der richtige Film für Verfolgungsstreifen-Fans. Auf der Flucht in bescheiden mit vielen positiv hervorzuhebenden Eigenschaften. Zunächst die hervorragende Inszenierung und Regieführung Pinoteaus mit vielen raffinierten, kleinen Details, die den Film interessanter machen. Als Beispiel wäre die Überblendung von der vermeintlichen Einäscherung Tibéres zum Chef der britischen Geheimpolizei zu nennen, der sich die Asche seiner Zigarre von dem Jackett streift, während die Kamera langsam zurückfährt, als spreche er den Zuschauer direkt an. Teilweise lehnte sich Pinoteau durchaus an Alfred Hitchcock an, wo kritische Blicke des Gejagten auf beliebige Passanten aus jedem menschlichen Individuum einen kaltblütigen Killer machen, der dem Wissenschaftler nach dem Leben trachtet. Wie in jedem guten – oder schlechten – Spionagethriller lauern auch hier scheinbar an jeder Ecke auf dem Planeten Spione, denen man fast unmöglich entkommen kann.

Die ständige Angst des Hauptcharakters wird dabei durch den mürrischen Ventura durchaus geschickt deutlich gemacht, der an menschlicher Wärme gewinnt, wenn man seinen melancholischen Monolog hört, während er durch eine kahle Herbstlandschaft wandelt. Auch die Landschaftsaufnahmen, der Einsatz der Kamera sind zu erwähnen, denn sie sorgen für eine höchst stimmungsvolle Atmosphäre, wenn Wiesen und deren Strohballen, auf denen sich der Gejagte niedergelassen hat, in dichten, wabernden Nebel gehüllt sind. Spannungshighlights sind hier etwa die Verfolgungsjagd im Auto, das Ventura vom Beifahrersitz sicher manövrieren muss, nachdem der Fahrer erschossen wurde oder eine höchst gelungene Szene, in der Tibére auf der Autobahn als Geisterfahrer in den Gegenverkehr rast und nur eine Chance hat, zu überleben: sich einen Weg durch die ihm entgegenkommenden Autos zu bahnen. Natürlich ist – und das ist für dieses Genre natürlich nichts Ungewöhnliches – die stete Frage, wer Freund und wer Feind ist, wem man vertrauen kann und wer einen verraten wird.

Dies wird von Pinoteau geschickt ausgelotet, da vieles erst sehr spät aufgeklärt wird, wodurch die Spannung bis zum bitteren Ende aufrechterhalten wird. Dies ist gleichzeitig jedoch ein Problem dieses Werks, denn die Aktionen Venturas im letzten Drittel erklären sich erst sehr spät, was für einige Verwirrung beim Zuschauer sorgen wird, der nicht umhinkommt, zu fragen, welches Ziel der Gejagte mit diversen Aktionen verfolgt. Negativ anzumerken ist auch der eingeschobene Aspekt mit Tibéres Ex-Frau. In diesem Fall machte man den Fehler eine zu lange Szene einzufügen, in welcher der Wissenschaftler Besuch von seiner ehemaligen Frau bekommt, was die Geschichte leider aufhält und sie nicht im Mindesten weiter bringt. Von diesen zwei Punkten abgesehen ist Ich – Die  Nummer eins ein nahezu perfekter Verfolgungsthriller, sieht man von einigen Lücken und Unglaubwürdigkeiten gnädig ab, wie das Verhalten eines kleinen Provinzpolizisten, der dem Spion Tibére nicht nur glaubt, sondern auch eine große Schutzorganisation auf die Beine stellt.

Wer derartige Filme mag, sollte sich diesen auf keinen Fall entgehen lassen. Eine sehr detaillierte Inszenierung, spannende Verfolgungsjagden und typische Verwirrspiele, die für den Zuschauer falsche Fährten á la Hitchcock legen, machen diesen Streifen empfehlenswert. Die Szene im letzten Drittel, welche in einer Radiostation spielt, erinnert übrigens stark an Pinoteaus elf Jahre später entstandenen und wesentlich schwächeren Tödliche Angst – ebenfalls mit Lino Ventura.

Der Film ist in Deutschland nur als Teil der „Lino Ventura Action Box“ erhältlich.



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8
von 10