Was geschah wirklich mit Baby Jane

Was geschah wirklich mit Baby Jane?

(„What Ever Happened to Baby Jane?“, directed by Robert Aldrich, 1962)

“You mean all this time we could have been friends?”

Bette Davis und Joan Crawford waren die größten weiblichen Stars im Hollywood der dreißiger und vierziger Jahre. Bekannt waren sie vor Allem durch ihre daher stammende Rivalität, welche sie bei den alljährlichen Oscar-Verleihungen auszutragen pflegten. In den 50er Jahren war ihre beste Zeit jedoch vorbei, die Damen waren gealtert und kein großes Filmstudio war mehr bereit, ihnen große Rollen in Liebesfilmen zu geben, durch die sie vorrangig berühmt geworden waren. Ein Regisseur bot schließlich beiden Grazien 1962 eine Rolle an. Dieser Regisseur war Robert Aldrich und es sollte das einzige Mal sein, dass Davis und Crawford gemeinsam in einem Film auftreten.

Das Dilemma, womit Aldrich wohl gerechnet haben musste, war, dass kein bedeutender Produzent bereit war, Geld in eine Produktion zu stecken, deren Hauptstars zwei Frauen waren, deren Zeit – nach Maßstäben Hollywoods – längst abgelaufen war. So musste der Regisseur das Geld für diesen Film selber auftreiben. Und es sollte sich lohnen. What Ever Happened to Baby Jane kostete weniger als eine Million Dollar, spielte bis 1963 jedoch sagenhafte neun Millionen ein. Der Streifen wurde zum Klassiker und wenn die Liebesfilme der beiden Stars heute gealtert sein mögen, so ist es dieser Psychothriller sicherlich nicht. Es war ein Glücksfall für alle Beteiligten. Bette Davis spielt „Baby“ Jane Hudson, ein ehemals sehr erfolgreicher Kinderstar, der im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts viele Zuschauer glücklich machen konnte. Sie erlitt jedoch das Schicksal nahezu aller Kinderstars – je älter sie wird, desto kleiner wird ihre Popularität. Man vergisst Baby Jane. Ihre Schwester Blanche (Crawford) hingegen, die immer im Schatten ihrer berühmten Schwester gestanden hat, wird ein erfolgreicher Hollywoodstar, der als attraktive junge Lady viel Geld mit Liebesschnulzen verdient.

Wie zu erwarten, kennt die Eifersucht ihrer Schwester keine Grenzen. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere werden die Beine Blanches zerschmettert. Sie ist nun unfähig zu laufen und immer auf die Hilfe ihrer Schwester angewiesen. Mit dem ersparten Geld verleben sie ein nach außen hin ruhiges Dasein in ihrem kleinen Anwesen, doch niemand scheint zu ahnen, was sich hinter den Türen abspielt. Die grausamen Spiele der „Baby“ Jane gegenüber ihrer hilflosen Schwester beginnen mit einem toten Kanarienvogel auf dem Essteller von Blanche, scheinen aber kein Ende zu nehmen, denn Jane scheint mehr und mehr den Verstand zu verlieren. Blanche ist ihr hilflos ausgeliefert…

Es gibt kaum einen Film, indem derart viele Elemente zu finden sind, wie in Was geschah wirklich mit Baby Jane? ohne das dieses Werk in irgendeiner Weise überfrachtet wirkt. So ist es zum einen eine bitterböse Satire auf den Jugendlichkeitswahn Hollywoods, ein packender Psychothriller, ein dezenter Horrorfilm, angereichert mit angemessenen humoristischen Elementen. Grundsätzlich lebt dieser Streifen jedoch von seinen beiden Hauptdarstellerinnen, wobei Joan Crawford – so gut sie auch ist – von ihrer Rivalin Bette Davis gnadenlos an die Wand gespielt wird. Die alkoholsüchtige, wahnsinnige Baby Jane wirkt zu jeder Zeit derart realistisch und angsteinflößend, dass man die Empfindungen ihrer hilflosen Schwester Blanche jederzeit teilt.

In diesen Momenten wandelt sich der Psychothriller in gelungenen Metamorphosen zu regelrechten Horrorszenarien, in denen geschickt mit den Assoziationen des Zuschauers gespielt wird. Beispielhaft ist hier die Erwähnung Janes zu Blanche, es befänden sich Ratten im Keller, während sie ihrer gelähmten Verwandten einen zugedeckten Teller auf den Tisch stellt. Man kann nur ahnen, was sich auf diesem Teller befindet und der Grusel resultiert hiermit nicht oberflächlich aus dem Anblick einer toten Ratte, sondern aus der Spannung herauszufinden, ob sich tatsächlich ein derartiges Tier an diesem Platz befindet. Die humoristischen Elemente sind mit dem brotlosen Künstler Edwin Flagg (Victor Buono) verknüpft, der von Jane angeheuert wird, ihre Karriere zu rehabilitieren. Buono – für einen Oscar nominiert – gibt sein Bestes als Komponist, der zunächst von Jane abgeschreckt ist, dann aber immer mehr in ihren eigenartigen Bann gezogen wird. Flagg ist zunächst wie der Zuschauer selbst zu Beginn des Films, der bei seinem ersten Besuch im Haus nur die Oberfläche sieht, die skurrilen Dekorationen und die unwirkliche Aura, der jedoch nicht ahnt, welch furchtbaren Dinge sich in diesem Anwesen abspielen, wenn Blanche von ihrer Schwester getreten und gedemütigt wird.

Robert Aldrich gab sich zudem einige Mühe, den dramatischen Aspekt nicht zu vernachlässigen, was in zwei herzzerreißende Szenen mündet, in denen Crawfords einzige Chance ist, Hilfe zu rufen ein Telefon ist, welches sich jedoch am Ende einer Treppe befindet. Nach und nach muss Blanche erkennen, dass sie aufgrund ihrer zertrümmerten Beine diesen Weg nicht schaffen kann. Man kann in diesen Momenten aus ihrem Gesicht ablesen, wie jede Hoffnung in ihr stirbt – die Hoffnung auf Erlösung, Loslösung von ihrer Schwester und Hoffnung auf eine Heilung ihrer Schwester durch einen Arzt.

In dieser Figurenkonstellation liegt jedoch auch das einzige Problem des Films: die beiden Figuren – Blanche und Jane – sind eindimensional und flach, da hier schlicht nach dem altbewährten Gut- und Böse-Muster gestrickt wurde. Blanche ist die hilflose Frau, die entfliehen möchte. Sie ist diejenige, mit welcher der Zuschauer Mitleid empfindet. Jane hingegen ist die Wahnsinnige, die eifersüchtig auf ihre Schwester ist und sie zerstören möchte, die innerlich sehr an ihrem verblassten Ruhm leidet. Leider entwickeln sich diese Charaktere nicht, sie bleiben eindimensional, gewinnen nicht an Tiefe, was deshalb bedauerlich ist, da der Film in einem anderen Fall an Tiefe gewonnen hätte. So ist das Schema recht einfach und Jane ist stets diejenige, die Böses tut. Sicher wäre es interessanter gewesen, die Abgründe beider Figuren zu durchleuchten und beide zu unerwarteten Taten zu treiben.

What Ever Happened to Baby Jane ist eine großartige, unendlich böse Satire, ein finsterer Psychothriller, ein unterschwellig zutiefst schockierender Horrorfilm. Es ist ein großartiger Film. Der einzige Vorwurf, dem man ihm machen kann ist die Eindimensionalität der beiden Hauptcharaktere. Baby Jane ist wie Wein, der mit den Jahren immer besser wird und heute aktueller ist denn je, wirft man einen Blick auf den Jugendwahn – nicht nur in den Vereinigten Staaten. Hier treten nun zwei ehemalige Topstars auf, von denen Bette Davis einen ausgesprochenen Mut zur Hässlichkeit beweist. Zwei Rivalinnen spielen Schwestern, die hilflos mitansehen müssen, wie die Welt um sie herum immer jünger wird und sich weigert, stillzustehen. Die Wut und Hilflosigkeit finden unterschiedliche Ventile. Spannend!



(Anzeige)

9
von 10