„Ich bin nämlich der Meinung, dass jemand der ‘ne Frau oder ‘n Sexualstraftat vollführt… begeht… der hat sein Recht in dieser Gesellschaft verwirkt.“
Von wem, sehr geehrte Leser/innen, stammt dieses Zitat? A) von Til Schweiger oder B) von einem Intellektuellen? Sie haben Recht, laut Til Schweiger aber von beiden, da A) und B) nicht mehr länger unvereinbar sind, wie der Schauspieler/Regisseur/Drehbuchautor in einer Talkshow bei Markus Lanz vergangene Woche zum Thema Kinderschändung deutlich machte.
„Das wird jeder sagen, Til Schweiger ist ein Populist. Weil das ist einfach sich für Kinder einzusetzen, ja? Diese Leute, die sind dumm und naiv und die haben keine Fantasie. Das sind intellektuelle Menschen… ich verurteile jetzt nicht alle intellektuelle (sic) Menschen, ich betrachte mich selber als intellektuell, aber die haben keine Fantasie (…).“
Wer ist nun dieser Mensch, der in einem Satz Intellektuelle beleidigt, um sich wenig später selber als intellektuell (also als dumm, naiv und fantasielos) darzustellen, wahrscheinlich aus Angst, die Beleidigung der Dichter und Denker könnte ihm wenig später teuer zu stehen kommen? Zunächst einmal drängt sich hier wohl die Frage auf, was überhaupt ein Til Schweiger in einer Sendung über Kinderschändung zu suchen hat. Achja, er hat ja kürzlich seinen neuen Film herausgebracht. Nach Keinohrhasen und Zweiohrküken heißt das aktuelle Werk nicht etwa Dreischwanzschweine (denn das wäre albern) sondern Kokowääh. In den Hauptrollen: Til Schweiger plus Tochter Emma. Grund genug für das ZDF, diese Lichtgestalt des Deutschen Films in die besagte Sendung einzuladen, denn wahrscheinlich hingen alle Unicef-Beschäftigte während der Sendung beim Konkurrenzkanal RTL vor der Glotze und waren daher nicht verfügbar.
Dabei geht es nicht einmal darum, Schweigers Statement, Kinderschänder sollten im Internet genannt und für jedermann abrufbar sein, damit man wisse, ob nebenan ein derartiges Wesen einzieht, zu bewerten. Aber wie ernst kann man die Aussage von Herrn Schweiger nehmen, der Intellektuelle beleidigt und für das Böse in unserer Welt verantwortlich macht, im selben Atemzug sich selber jedoch mit in diese frevelhafte Gruppe dummer Bücherwürmer einbezieht? Leidet er etwa unter Hybris, maßloser Selbstüberschätzung? Oder hat er einfach nicht gründlich genug darüber nachgedacht, ehe er die Sprache auf sich selbst lenkte mit grammatikalisch inkorrektem Verbaldurchfall? Versteckt sich hinter dem von der Kritik müde belächeltem Til Schweiger etwa ein feingeistiger Weltliteratur-Leser, der abends vor seinem Kamin der zweiten Sinfonie von Gustav Mahler lauscht, ehe er seinen Lieblingsfilm 8 ½ von Federico Fellini wieder in den DVD-Player legt, bevor er seinen Freund Woody Allen anruft, um mit ihm über die Leere und Sinnlosigkeit des Lebens zu plaudern, was schließlich darin endet, dass beide Schopenhauer zitieren?
Warum macht ein selbsternannter Intellektueller Filme wie Keinohrhasen, eine recht platte Beziehungskomödie, die wenig Spielraum für Interpretationen lässt? Sammelt Schweiger etwa nur Geld, um sein wahres Traumprojekt finanzieren zu können, eine Art Das siebte Siegel, nur nicht von Ingmar Bergman, sondern von Til Schweiger? Kämpft Schweiger nun dafür, von den zahlreichen Feuilletonisten, den schmutzigen Intellektuellen der FAZ, des Film-Dienstes oder anderen niveaulosen Schmierblättern mit naiven Schreiberlingen, ernst genommen zu werden? Man weiß es nicht. Es mutet aber in der Tat seltsam an, dass Til Schweiger die Intellektuellen dieses Landes für den – seiner Meinung nach – falschen Umgang mit Kinderschändern verantwortlich macht, da sich die Naiven und Dummen ja dagegen sträuben, den Straffälligen ein rotes Schild an die Stirn zu kleben wie Hitler einst den Judenstern an jüdische Bürger.
In Amerika hingegen sei dieses Warnschild vor Kinderschändern bereits längst vorhanden, woraus sich schließen lässt, dass es dort keine Intellektuellen gibt, die sich dagegen wehren. Amerika, das Land ohne Intellektuelle, also das Heimat der klugen Leute, da eine Brandmarkung der Verbrecher dort schon lange gang und gebe ist. Sie finden die Argumentation schwachsinnig und löchrig? Sie finden es schwachsinnig, dass Til Schweiger Intellektuelle beleidigt, sie für den Werteverfall in unserer Gesellschaft verantwortlich macht, sich aber selber als Intellektuellen bezeichnet, also als jemanden, der sich dagegen sträubt, Kinderschänder öffentlich zu benennen, indem er ihre Daten für jeden zugänglich macht, obwohl Schweiger ja eigentlich für (!) solchen Umgang mit den besagten Personen ist? Das ist ein Widerspruch, meinen Sie? Sie haben jetzt auch das Gefühl, über diese Aussage mehr nachgedacht zu haben als Til Schweiger selbst, bevor er diese zum Besten gab? Gut, denn wenn eine Kolumne zum Denken anregt und der Leser schließlich mehr über den Auslöser des Essays weiß, als der ursprüngliche Urheber hat sie ihren Zweck erfüllt. Gute Nacht (Deutschland)!
(Anzeige)