Sabotage

Sabotage (1936)

(„Sabotage“, directed by Alfred Hitchcock, 1936)

“Sa-botage sà-bo-tarj. Wilful destruction of buildings or machinery with the object of alarming a group of persons or inspiring public uneasiness.”

Als Sabotage entstand war Alfred Hitchcock bereits der berühmteste Regisseur Englands, der sich mit Kassenschlagern wie The Lodger oder Die 39 Stufen einen Namen gemacht hatte und die Kinos zu füllen pflegte. Sein neuer Film sollte dieser Popularität keinen Abbruch tun. Dieses Werk basierte auf dem Roman The Secret Agent von Joseph Conrad und dieser verdeckt ermittelnde Herr ist in diesem Fall der Scotland-Yard Beamte Ted Spencer (John Loder), welcher sich als Gemüsehändler ausgibt. Direkt neben seinem Stand befindet sich ein kleines Kino in London, dessen Besitzer ein Mann mittleren Alters namens Verloc (Oskar Homolka) mitsamt seiner jüngeren Frau Sylvia (Sylvia Sidney) ist. In ihrer Wohnung über dem Lichtspieltheater teilen sie ihr Leben mit dem jungen Bruder Sylvias, dem Teenager Stevie (Desmond Tester).

Auf den ersten Blick gibt diese Familie ein unscheinbares und harmloses  Bild ab, doch Scotland Yard lässt ihr Kino nicht grundlos beobachten. Seit einiger Zeit geschehen in London mehrere kleine Vorfälle, wie etwa ein unerwarteter Stromausfall, bei dem man von Sabotage ausgeht. Seitdem hat man ein Auge auf Verloc geworfen, der sich zudem mit zwielichtigen Gestalten der Londoner Unterwelt zu treffen pflegt. Lediglich seine Frau scheint davon nichts zu wissen, ahnt von dem Geheimnis ihres Mannes nicht einmal etwas. Stattdessen freundet sie sich mit dem Gemüsehändler Ted an, der ihr von seiner Identität nichts preisgibt. Wie sich bald herausstellen soll, war der Stromausfall jedoch nur ein kleiner Vorgeschmack auf größere Taten, bei denen mehrere Menschen in Lebensgefahr schweben…

Sabotage ist ein Film, der beim Zuschauer viele Fragen aufwirft und mit diesen geschickt zu spielen versteht. Wird der große Plan Verlocs gelingen? Wird er die wahre Identität des Gemüsehändlers herausfinden? Verliebt sich Mrs. Verloc in den attraktiven Beamten? Wird sie vom gefährlichen Doppelleben ihres Mannes erfahren? Selbstverständlich wird Alfred Hitchcock all diese Fragen beantworten und dies in nur einer Spielzeit von gerade einmal 73 Minuten.

Sabotage ist zweifellos ein Paradebeispiel des ökonomischen Filmemachens, was die Laufzeit betrifft. So wird keine Sekunde verschwendet, alles scheint exakt berechnet und schnörkellos inszeniert. Dabei finden sich in diesem Film ebenso viele Hitchcock‘sche Feinheiten und Merkmale wie in seinen späteren amerikanischen Werken. Was unmittelbar auffällt ist der typische, trockene und unverkennbar britische Humor, der in Form von satirischen Dialogen zum Tragen kommt. Darüber hinaus versteht sich Hitchcock glänzend darauf, eine gestochen scharfe Milieuschilderung zu zeichnen, was wohl vor Allem der Tatsache zu verdanken ist, dass der Regisseur selber aus dem Milieu der kleinen Leute kam und sein Vater Gemüsehändler war. Der Zuschauer atmet den Duft der Äpfel, Orangen und des Kohls, der feilgeboten wird, der Eintritt in das Kino, indem die Leute lachen und weinen, wird zu einer Tür in eine andere, märchenhafte Welt, in der die Leute wie gebannt auf die Leinwand starren, ohne Notiz davon zu nehmen, dass fortwährend Personen an ihnen vorbeigehen oder –rennen, jeder mit seinen eigenen privaten Problemen beschäftigt. Die Zuschauer im Kino bleiben davon unberührt.

Für den Inszenator eine Gelegenheit, skurrile Nebenfiguren in die Handlung einzuführen, wie etwa den Sprengstoffbauer, der offiziell eine Tierhandlung betreibt und seinen Kunden vorgaukelt, seine Vögel könnten singen, der familiär jedoch hoffnungslos überfordert ist und von seiner Tochter dominiert wird. Das Milieu gab Hitchcock die Möglichkeit zu derartigen Schilderungen, von denen die stärkste zweifellos jene auf einem kleinen Markt ist. Bereits hier zeigt sich die Meisterhaftigkeit des Regisseurs, der mit den Emotionen des Publikums spielt. In der besagten Szene befindet sich der junge Stevie auf dem Weg zur Untergrund-Station Piccadilly Circus, doch er wird auf einem Markt von einem Scharlatan, der Zahnpasta anbietet, aufgehalten und als Versuchskaninchen missbraucht. Was zu dieser Zeit niemand weiß (außer dem informierten Zuschauer) ist, dass Stevie eine Bombe unter seinem Arm trägt, die er bis um ein Uhr in der Untergrund-Station abgelegt haben muss, um nicht mit ihr in die Luft zu fliegen. Die Szenerie ist von einer grotesken Komik, gleichzeitig aber auch zum Zerreißen gespannt, da man die verbleibende Zeit bis zur Explosion stets vor Augen hat. Komik und Suspense halten sich hier gekonnt die Waage, wie Hitchcock es vorher und noch etliche Male später in seinen Filmen tun sollte.

Hitchcock sagte oft, dass ein Thriller mit dem Bösewicht stehe und falle. Je stärker der Bösewicht, desto besser und interessanter der Film. Auch das ist die große Stärke von Sabotage, denn Oskar Homolka spielt nicht nur hervorragend, sondern seine Figur ist zudem außerordentlich vielseitig und daher nicht berechenbar. Zwar ist er für den Londoner Stromausfall und für vorhergehende Akte verantwortlich, doch hat er auch Skrupel bzgl. seiner Taten und möchte nicht, dass Menschen ernsthaft zu Schaden kommen. Trotzdem hat er sich der Organisation angeschlossen, um zu Geld zu kommen – eine fatale Entscheidung, denn Verloc ist ein liebevoller Ersatzvater für Stevie und ein sorgender Ehemann für Sylvia. Zudem wartet Sabotage mit einer der wichtigsten Szenen aus Hitchcocks Schaffen auf, sei es auch nur, weil die Zuschauer den großen Regisseur dafür regelrecht hassten.

Abgesehen von der Beliebtheit dieser schonungslosen und brillant inszenierten gesetzten Szene offenbart sie eine Konsequenz, die der füllige Brite in seinen folgenden Filmen nie wieder in dieser Art und Weise erreichen sollte. Sabotage erreicht trotz allem nicht die Klasse der großen britischen Hitchcocks Die 39 Stufen oder Eine Dame verschwindet, denn die angedeutete Liebe zwischen dem Scotland Yard-Beamten und Mrs. Verloc gerät sträflich in den Hintergrund und wird kaum angesprochen, bis das unvermeidliche und in dieser Hinsicht wenig überraschende Finale eintritt. Hätte Hitchcock diesen Aspekt stärker berücksichtigt und die Probleme, die diese Zuneigung zueinander mit sich bringt, näher beleuchtet, hätte er das gesamte Potential des gelungenen Thrillers voll ausgeschöpft. Die deutsche DVD von Falcon Neue Medien ist übrigens nach Möglichkeit aufgrund völlig inakzeptabler Bildqualität zu vermeiden.



(Anzeige)

8
von 10