Bis aufs Blut

Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung

(„Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung“ directed by Oliver Kienle, 2010)

80 Prozent. Das ist der Prozentsatz derer, die laut Statistik nach einem Aufenthalt im Jugendknast rückfällig wird und damit erneut dort landet. Oft sind es Kleinkriminelle, die wegen Drogen oder Gewalt einsitzen müssen. Soziale Brennpunkte und Subkultur sind längst auch Stoffe für den Deutschen Spielfilm: Zeiten ändern dich ist nur ein Beispiel. Doch wer würde schon ein deutsches Gangster-Drama im bayerischen Würzburg erwarten. Die Region Unterfranken hat immerhin die niedrigste Arbeitslosenquote in Bayern und Bayern wiederum, hat eine der niedrigsten in ganz Deutschland. Ein gewagter Schritt. Ob aus der Not geboren oder bewusst an der Main-Metropole gedreht, neugierig macht das Drama Bis aufs Blut von Oliver Kienle allemal.

Tommy (Jacob Matschenz) und Sule (Burak Yiğit) sind wie Brüder. Nichts kann ihrer Freundschaft etwas anhaben. Die Clique ist ihre Familie, ein Tuning-Laden Sules Traum. Ihr Leben gleicht einer exzessiven Party, bis Tommy wegen der gemeinsamen Dealerei von der Polizei geschnappt wird und im Jugendknast die Hölle auf Erden erlebt. Sechs Monate später kommt er raus und muss sich in einer Welt zurechtfinden, in der sich inzwischen viel verändert hat: Die GI-Soldaten sind weg, seine Jugendliebe Sina (Aylin Tezel) hat bereits einen Neuen und seine Mutter (Simone Thomalla) droht ihm mit Rausschmiss. Obwohl er sich geschworen hat, nie mehr in den Knast zu gehen, findet er den einzigen Rückhalt bei Sule. Und der hat einen „Masterplan“ um seinen Traum vom Tuning-Laden wahr werden zu lassen. Tommy muss sich entscheiden: Abitur oder Tuning-Laden, Sina oder Sule?

Bis aufs Blut ist Kienles Abschlussfilm an der Filmakademie Ludwigsburg. Das Drama will ein –Bild der kleinkriminellen Würzburger Vorstadtjugend abliefern und trägt dabei (zu) dick auf. Ma könnte fast denken, man befindet sich in Berlin oder Frankfurt, angesichts der gezeigten Drogen- und Gewaltszenen. Kienle setzt alles auf die Authentizitätskarte und verspielt damit eine gute Gelegenheit, eine sozialkritische Milieustudie zu inszenieren, in der die Wurzeln der Kleinkriminalität aufgedeckt hätte werden können. So dröhnt permanent aggressiver deutscher Hip-Hop aus den Boxen, der die Jugendsprache nur noch einmal – bis zur Ermüdung – wiederholt.

Selbst grafisch wird alles auf Authentizität abgerichtet: Die meisten Sequenzen erinnern aufgrund ihrer harten und schnellen Schnitttechnik eher an Rap-Videos als an einen Spielfilm. So wirkt das Drama letztlich wie eine endlose Wiederholung von Musikvideos, in denen vor allem geflucht wird. Der Unterschied zwischen dem Soundtrack und den Dialogen geht fließend ineinander über. Zu allem Überfluss gibt es da auch noch einen Würzburger Möchtegern-Gangster-Rapper, der auf der Festung Marienberg freestylt.

Leider dreht sich auch die dem Film zugrunde liegende Weltanschauung im Kreis. Die Charaktere entwickeln sich gar nicht oder nur geringfügig weiter. Die Loyalität zu den „Homies“ zählt, das ist schon alles. Zudem überlebt man nur, wenn man Gewalt anwendet und der Stärkere ist. Die vermeintlichen Zwischentöne, die der Regisseur dem entgegensetzt, gehen im Testosteron durchflutetem Gangster-Rap-Gedröhne genauso unter wie [SPOILER!] die vermeintlich neue Perspektive am Ende des Films.

Die beiden Protagonisten Jacob Matschenz (Die Welle) und Burak Yiğit (66/67 Fairplay war gestern) spielen ihre Rollen zwar gut, können aber auch nicht verhindern, dass es stereotype Charaktere sind, mit denen das Publikum konfrontiert wird. Auf der einen Seite ist Tommy, der zweifelsohne der Sympathieträger sein soll und auf der anderen Seite ist da der naive Kleinkriminelle und Kokser Sulu, der als Sidekick für die Lacher sorgen soll. Das gelingt jedoch nur im Ansatz. Denn zu schnell haben sich die Gags eingespielt und wiederholen sich immer wieder. Die anderen jung Hauptdarsteller fallen nicht weiter auf – weder positiv noch negativ. Selbst die Tatort-Kommisarin Simone Thomalla als Tommys Mutter bleibt im Hintergrund und kann stellenweise nicht überzeugen.

Das knallharte Drama überrascht sicherlich aufgrund seiner aggressiven Ästhetik, aber scheitert letztlich an seinen stereotypen Figuren und dem Überfluss an Authentizität – der 113 Minuten umfassende Debütfilm Kienles hätte eine Schlankheitskur diesbezüglich sehr gut getan. Die Sozialkritik erscheint nur im Ansatz.

Bis aufs Blut erscheint am 20. Mai 2011 auf Blu-Ray und DVD



(Anzeige)

3
von 10