(„The Stranger“ directed by Orson Welles, 1946)
Warum hier die deutsche Titelwahl nicht schlicht auf Der Fremde fiel bleibt mir ein Rätsel und warum Orson Welles diesen Film für seinen schlechtesten hält ebenso. Der Handlungsstrang mag vielleicht nicht so komplex wie bei einigen seiner anderen Werke sein, doch die herrliche Bildsprache und die optischen Raffinessen alleine sind schon eine Sichtung dieses Film noir wert.
Charles Rankin (Welles) lebt ein beschauliches Leben als Professor in einer amerikanischen Kleinstadt. Er steht kurz davor Mary (Loretta Young), die Tochter des angesehenen Richters Adam Longstreet (Philip Merivale) zu heiraten, als gleichzeitig zwei weitere Protagonisten das Feld betreten. Zum einen gibt es da Konrad Meinike (Konstantin Shayne), einen entflohenen NS-Kriegsverbrecher der sich auf der Suche nach Franz Kindler, dem Erfinder der Gaskammern, befindet, zum anderen wird Meinike aber von Nazijäger Wilson (Edward G. Robinson) verfolgt. Wilson ist aber nicht nur hinter dem alten und scheinbar nun tiefgläubigen Meinike her, sondern vermutet dass sich hinter der Maske des Charles Rankin ein bis ins Mark böser Nationalfaschist versteckt der keine Reue für die verrichteten Gräuel kennt.
Die etwa 90 Minuten vergehen wie im Flug. Die besondere Atmosphäre des Films Noir ergreift sofort von einem Besitz und lässt nicht mehr los. Obwohl es für den Zuschauer eigentlich sofort klar ist welches Spiel Rankin/Kindler spielt, verliert Die Spur des Fremden nie an Spannung. Welles sowie Wilson gefallen in diesem Katz-und-Maus-Spiel sehr gut, ihre Leistungen werden lediglich durch die brillante – Achtung Wortspiel – Ausleuchtung in den Schatten gestellt. Obwohl der Film bereits 1946 (also auch zeitnah am behandelten Kriegsgeschehen) in die Kinos kam, wirken die wunderbaren Schwarz-Weiß-Bilder immer noch sehr frisch und knackig.
The Stranger gilt als der erste Film in dem authentische Aufnahmen eines deutschen Konzentrationslagers im zweiten Weltkrieg gezeigt wurden. Waren diese Bilder für das damalige Publikum wohl mehr als schockierend, so tun sie auch heute noch ihren Dienst als Mahnmal auf Zelluloid.
Obwohl hier zweifelsohne die Nazis die Oberschurken sind, wird im Gegensatz dazu aber kein verträumtes oder gar allzu heroisierendes Bild der US-Bürger und Beamten gezeichnet. Natürlich ist Loretta Young in ihrer Rolle zunächst das aufrechte, naive Mädchen dessen Gutmütigkeit ausgenutzt wird, doch selbst diese grazile Figur lechzt am Ende des Streifens nach Blut. Man hat eigentlich nie so wirklich den Eindruck Kindler solle der Prozess gemacht werden, sondern den Film durchdringt vielmehr die bodenlose Abscheu gegenüber den Nazis, was für mich zwar vollkommen nachvollziehbar aber nicht selbstverständlich ist, denn in der Regel ist man in Hollywood darauf bedacht uns irgendwelche ideologischen Werte vermitteln zu wollen und dazu gehört eindeutig das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren.
Abgesehen von dieser am Ende doch sehr schmalen politischen Tragweite, ist der Film einfach nur wunderbare Unterhaltung, die stilistisch so einiges zu bieten hat und ganz sicherlich nicht enttäuscht, auch wenn wie gesagt angeblich Welles selbst The Stranger für seinen schwächsten Streifen hielt.
Die Spur des Fremden ist seit 10. März (erneut) auf DVD erhältlich
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