(„New York Stories“, directed by Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Woody Allen, 1989)
„It’s art. You give it up, you were never an artist in the first place.”
Episodenfilme haben es grundsätzlich schwer, an den Kinokassen erfolgreich zu sein. Die wenigsten waren es. Ein Grund mag sein – nach Auffassung vieler Künstler und Kritiker – dass es den Zuschauern schwer fällt, sich für 30 oder 40 Minuten in den Charakter einer Hauptperson einzufühlen, um dann nach dieser Zeit mit einer anderen Figur konfrontiert zu werden. Ende der 80er Jahre unternahm die Produktionsfirma Touchstone dennoch den Versuch, ein zweistündiges Werk mit drei voneinander unabhängigen Filmen zu drehen. Die einzige Verbindung zwischen diesen Episoden sollte der Fakt sein, dass alle in New York angesiedelt sind und natürlich wollte man dafür die drei prominentesten Regisseure gewinnen, die bereits zuvor New York zur Hauptattraktion ihrer Werke gemacht hatten. Diese Regisseure waren Martin Scorsese, Francis Coppola und Woody Allen, von denen jeder einen knapp 40minütigen Beitrag drehte.
Life Lessons
Der erste Film stammt von Scorsese und erzählt von einem erfolgreichen New Yorker Maler namens Lionel (Nick Nolte). Dieser berühmte Künstler sieht sich von zwei Problemen umgeben: das erste ist, dass er in einer Schaffenskrise steckt, in drei Wochen jedoch eine Ausstellung mit seinen Werken eröffnet wird, die noch auf einige Kunstwerke wartet, welche noch fertig gestellt werden müssen. Das zweite Problem ist seine Assistentin Paulette (Rosanna Arquette). Diese war über lange Zeit wesentlich mehr als nur seine Assistentin, sondern auch seine Geliebte, die bei ihm lebte. Als Paulette nach einem kurzen Urlaub zurück nach New York kommt, wird sie von Lionel am Flughafen empfangen, den sie sofort darüber aufklärt, dass sie eine Affäre hatte und ab sofort nichts mehr von Lionel wissen möchte. Dieser respektiert ihren Wunsch, nicht mehr mit ihr zu schlafen, auch wenn es ihm schwer fällt, denn Paulette übt noch immer einen starken Reiz für ihn aus. Die Situation wird nicht angenehmer für Lionel, da Paulette weiterhin in seinem Atelier wohnt und sich nun nach anderen Männern umsieht.
Martin Scorseses Episode ist zweifellos die beste der drei. Was unmittelbar auffällt, ist der dominante Einsatz der Musik – hier meist klassische Rockmusik, die sich den Bildern anpasst wie ein Chamäleon. Durch den sehr gezielten Einsatz von Zeitlupen, Traumsequenzen in schimmerndem Blau und vor allem die gegen Ende rasanten Schnitte ist Life Lessons nicht nur technisch brillant, sondern schafft es gleichzeitig, emotionale Wärme in das kalte Atelier des Künstlers Lionel zu bringen. Sein Leiden, das er durchmachen muss, wenn er seine attraktive, ehemalige Geliebte sich auf dem Bett räkeln sieht, werden in Nahaufnahmen und durch das exzellente Spiel Nick Noltes deutlich gemacht. Ohne dass es überfrachtet wirkt, gelingt Scorsese hier auch das Kunststück, in 40 Minuten nicht nur ein deprimierendes Melodram eines alternden Mannes zu zeichnen, sondern auch eine Philosophie über Abhängigkeit und Verantwortung gegenüber der Kunst anzusprechen, wenn Nick Nolte als Lionel seiner Schülerin klarmacht, dass Kunst nicht von Können, sondern von Müssen kommt und damit das alte Zitat von Arnold Schönberg aufgreift. Die letztendliche Frage ist weniger, ob sie ihn liebt und lediglich mit ihm spielt, sondern die viel interessante, ob er sie liebt, sich aber nur etwas vormacht.
Life Without Zoe
Francis Ford Coppola schrieb diese Episode zusammen mit seiner damals 18-jährigen Tochter Sofia, die später selber als Regisseurin Ruhm mit Lost in Translation ernten sollte. Coppolas Film ist zwar der schwächste, doch auch nicht derart enttäuschend, wie viele Kritiker ihn machten, denn er verfügt zweifellos über einen gewissen Reiz. Hauptperson ist Zoe (Heather McComb), eine 12jährige Diva, die in einem luxuriösen Apartment inmitten New Yorks lebt. Ihr Vater ist Starflötist und wie auch ihre Mutter fast nie zu Hause. So kommt es, dass der engste Vertraute in den Räumlichkeiten ihr Diener Claudio (Giancarlo Giannini) ist. Mit zahlreichen anderen verwöhnten Kindern besucht Zoe eine Schule, in der nur die wohlhabendsten der Stadt unterrichtet werden, so auch Abu (Selim Tlili), für den sich Zoe zu interessieren beginnt. Als sie mit dem Jungen Freundschaft geschlossen hat und eines Abends in die Wohnung zurückkehren will, wird sie Zeugin eines Überfalls, bei dem auch Wertgegenstände ihres Vaters gestohlen werden. Wie es der Zufall will, kann sie einen Gegenstand vor dem Raub retten – es ist ein Ohrring, den sie zuvor nie gesehen hat. Doch bald stellt sich heraus, wem er gehört und dies ist der Beginn eines kleinen Abenteuers…
Zoe, wie auch ihre Familie, ist nicht unbedingt sympathisch. Zoe ist eine jener verzogenen Gören, die keine Zuwendung ihrer Eltern erhalten, sondern stattdessen in teure Kleider und Schulen gesteckt werden, wo sie sich verhalten wie arrogante Erwachsene, die kaum noch Kontakt zu der Welt haben, in die sie eigentlich gehören – in die Welt der Kinder. Dies bietet jedoch Grundlage für ein nicht sonderlich originelles, aber doch recht amüsantes Spiel, indem die Rollen der Kinder und Erwachsenen vertauscht sind. Es ist daher schwer zu beurteilen, ob man diesen Film ernst nehmen sollte oder nicht, denn ihn umgibt im Ganzen eine Aura des Magischen, gar Unwirklichen, was durch die exzellent fotografierten Bilder eines sich im Sonnenaufgang befindlichen New Yorks noch verstärkt wird. Am Ende mag man sich fragen, was einem Francis und Sofia mit dieser Episode sagen wollten – das Finale ist unbefriedigend und aufgesetzt – nach einer halben Stunde leidlich amüsanter Unterhaltung etwas enttäuschend.
Oedipus Wrecks
Dies ist die originellste und zugleich auch lustigste aller Episoden, geschrieben und inszeniert von Woody Allen, der gleichzeitig auch die Hauptrolle übernahm. Allen spielt Sheldon, einen Anwalt in New York, der sich nicht von seiner Mutter (Mae Questel) lösen kann. Seinem Therapeuten vertraut er an, dass seine Mutter ihn schon immer terrorisierte und er sich nichts mehr wünsche, als dass sie einfach verschwinde. Eines Tages führt er seine Mutter zusammen mit seiner Freundin (Mia Farrow) in einer Zauberrevue aus und plötzlich wird seine Mutter als Freiwillige auf die Bühne gebeten, um sich dort in einer Box durchstechen zu lassen. An dieser Prozedur scheint niemand mehr Spaß zu haben als Sheldon, der genüsslich dabei zusieht, wie seine unausstehliche Mutter zersägt wird. Die Zaubernummer geht jedoch schief und die Mama ist und bleibt verschwunden. Nach einigen Tagen voller Sorge gewöhnt sich Sheldon an das Fortbleiben dieser Frau, bis etwas Ungeheuerliches passiert, was das Leben des Anwalts komplett auf den Kopf stellen soll…
Oedipus Wrecks ist ein typischer Woody Allen-Film auf 40 Minuten gekürzt. Scharfsinnig, amüsant, originell. Ohne an dieser Stelle zu viel zu verraten, nimmt diese Episode eine stark surrealistische und sehr erfrischende Wendung, die den Alptraum eines jeden Mannes wahr werden lässt. Neben diesem grotesken, bizarren Einfall lebt diese Episode vom großartigen Spiel Julie Kavners und Mae Questels, die den Zuschauer nur zu gut verstehen lässt, warum Sheldon derart große Probleme mit seiner Mutter hat. Beziehungsprobleme, das Lösen von der Frau, die einen zur Welt gebracht hat, Spiritualität und das Erwachen einer neuen Liebe in feinfühliger Darstellung werden berechnend in dieser kurzen Zeit auf Zelluloid gebannt und sorgen für kurzweilige Unterhaltung.
Auch wenn „New York Stories“ kein großer Erfolg beschieden war, handelt es sich hier trotzdem um eine insgesamt gelungene Zusammenstellung kleiner, in der Hauptstadt der Welt angesiedelter Episoden. Scorsese und Allen beweisen sich in Top-Form, Coppola schwächelt, sorgt aber immerhin für schöne Bilder – als Reiseführer für den Big Apple ist diese Anthologie dennoch nicht zu empfehlen.
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