The Purple Rose of Cairo

The Purple Rose of Cairo

(„The Purple Rose of Cairo“, directed by Woody Allen, 1985)

“I just met a wonderful new man. He’s fictional but you can’t have everything.”

In dem ausführlichen Interviewband „Woody Allen on Woody Allen“ von Stig Björkman erzählt der New Yorker Regisseur von seiner Kindheit, als die Sprache auf The Purple Rose of Cairo kommt. Allen erinnert sich an die heißen Sommertage in Brooklyn, an Tage, an denen man aufgrund der schier unerträglichen Hitze nichts tun konnte. An solchen Tagen flüchtete der spätere Filmemacher in ein Kino. Eine Eintrittskarte kostete 25 Cent (welch‘ goldene Zeiten), die Luft war gekühlt, es gab Popcorn und etwas zu trinken. Zusätzlich konnte man zwei Filme hintereinander sehen – an solch heißen Tagen etwa Piratenfilme, die auf kühler See im Wasser spielten. Man entfloh der Realität, wie es so viele Menschen tun, wenn sie ins Kino gehen und darum geht es in The Purple Rose of Cairo, einem von Allens besten Filmen – eine tiefsinnige Liebeserklärung an Filme, die uns den Alltag vergessen lassen.

Eine von denen, die fast tagtäglich in diese Gebäude als Reflexion der heilen Welt flüchten ist Cecilia (Mia Farrow). Ihr Mann Monk (Danny Aiello) ist arbeitslos, trinkt, spielt und treibt sich mit Frauen herum – im Beruf ist Cecilia ebenfalls nicht glücklich, denn sie wird stets bei ihren Tagträumen erwischt. Meist handeln sie von den Filmen, die sie kurz zuvor gesehen hat. Für diese unglückliche Frau ist das ein Teufelskreis, den sie nicht durchbrechen kann. Aufgrund ihrer Unfähigkeit, sich im brutalen, harten Leben zu Recht zu finden, flüchtet sie sich in ein Kino, zu Filmen, die eine bessere Welt reflektieren. Doch dieses Medikament ist auch Auslöser für weiteres Unglück, denn beim Nachsinnen über diese bessere Welt vernachlässigt Cecilia ihren Job, zerbricht Teller, sorgt für Ärger bei den Kunden. Für ihren Chef gibt es schließlich nur eine Möglichkeit: er muss sie feuern.

Geschockt und allein gelassen traut sich Cecilia nicht nach Hause und flüchtet sie daraufhin – erneut – in ein Kino, um sich The Purple Rose of Cairo anzusehen, den sie bereits fünfmal angeschaut hat. Doch bei dieser Vorstellung ist alles anders als sonst – zumindest, als Tom Baxter (Jeff Daniels), einer der Darsteller, seinen Kopf in die Richtung des Publikums lenkt und ihm auffällt, wie er oft er diese unglücklich dreinblickende Frau bereits gesehen hat. Tom Baxter fällt schließlich komplett aus der Rolle und spricht die sich im Publikum befindende Cecilia an, da er fasziniert ist von dieser Dame, die seinen Film bereits so oft gesehen hat. Diese ist zunächst verwirrt – ebenso wie die anderen Zuschauer, doch trotz Flehen und Drohen der anderen Darsteller denkt Tom gar nicht daran, weiterhin seinen Text vorzutragen. Stattdessen springt dieser von der Leinwand, um sich mit Cecilia bekannt zu machen und auf diese Weise endlich frei zu sein.

Diese Nachricht spricht sich schnell rum – die Presse und Polizei sind sogleich vor Ort und müssen sich die Beschwerden der in der Leinwand gebliebenen Darsteller anhören. Während der Kinobetreiber verzweifelt den Produzenten des Films anruft und einfliegen lässt, machen sich Tom und Cecilia einen schönen Abend auf einem verlassenen Jahrmarkt, wo sich beide näherkommen. Doch sowohl Presse, Polizei, Produktionsfirma, als auch Cecilias Ehemann lassen den beiden Verliebten keine Ruhe und so steht die frisch verliebte Hausfrau bald einem Mann namens Gil Shepherd (Jeff Daniels) gegenüber, einem Schauspieler aus Hollywood, der Tom Baxter in The Purple Rose of Cairo spielte und daher genauso aussieht wie seine Filmfigur. Als Gil die Freundin seiner Figur Tom kennen lernt, beginnt ein Kampf um das Herz der jungen Frau. Ein Kampf von Realität gegen Fiktion.

Es ist eine höchst ungewöhnliche, surrealistische Liebesgeschichte, die Woody Allen 1985 auf Zelluloid bannte und die zwar zum damaligen Flop an den Kinokassen wurde, sich mittlerweile aber zum kleinen Klassiker entwickelt hat. Der Regisseur selber erklärte die Philosophie, die hinter diesem Film steckt und die Idee, die ihn dazu brachte, eine derartige Geschichte zu entwerfen. „Ich schrieb eine Story, die nur darauf basierte: der Traummann einer Frau kommt von der Leinwand und beide verlieben sich ineinander. Schließlich kommt noch der richtige Schauspieler hinzu und sie wird dazu gezwungen, sich zwischen Realität und Fiktion zu entscheiden. Natürlich kann man sich nicht für die Fiktion entscheiden, weil einen das wahnsinnig machen würde, also muss man sich für die Realität entscheiden. Und wenn man das tut, wird man verletzt. So einfach ist es.“ („Woody Allen on Woody Allen“, edited by Stig Björkman, Faber and Faber London, revised edition 2004, Seite 148)

In dieser Hinsicht ist The Purple Rose of Cairo sowohl surrealistisch, als auch realistisch, was die Sichtweise des Regisseurs und Drehbuchautors betrifft. Der Film ist nicht nur aufgrund dessen faszinierend, sondern aufgrund der für Woody Allen typischen Detailverliebtheit, die hier zu Tage tritt und wie bei dem Filmemacher üblich, werden von verschiedenen Personen, seien sie auch noch so nebensächlich, scheinbar unwichtige Sätze hingeworfen, denen man zunächst keine Bedeutung beimisst, doch die sich als äußerst tiefsinnig entpuppen. Beispielhaft ist hier der Kommentar eines Kinozuschauers, der aus dem Theater stürmt, nachdem er nicht den angekündigten Film präsentiert bekam, sondern eine Gruppe von Figuren des Leinwandwerks, die komplett aus ihrer Rolle fielen. Er habe nicht dafür bezahlt, dass er im Kino sitze und eine Gruppe Menschen auf ihn starren und abfällige Bemerkungen machen. Sagt dieser Kommentar etwas über das Verhältnis zwischen Kinozuschauer und dem Werk auf der Leinwand bzw. dessen Hersteller aus? Denken Sie darüber nach, nachdem sie The Purple Rose of Cairo genossen haben – eine kurze, kluge, zärtliche, humorvolle und doch auch zutiefst tragische Liebesgeschichte, die mehr als einmal die Frage aufwirft, welche Figuren in unserem Leben Realität und welche Fiktion sind.



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