(„Caché“, directed by Michael Haneke, 2005)
Man muss Michael Haneke nicht mögen, aber das Letzte, was man ihm vorwerfen kann ist, dass sich seine Filme nicht entwickeln, sondern stattdessen stehenbleiben. Konsequent trägt Haneke den Zuschauer immer wieder auf die nächste Ebene und zieht auf diese Weise die Schlinge um die Hälse seiner Figuren immer weiter zu: bis sie schließlich ersticken. Weil der Regisseur es so will? Oder weil die Charaktere selber gar nicht anders können, als an sich selber zu zerbrechen? Eine Kritik zu einem Werk des in Bayern geborenen Filmemachers zu verfassen ist ohnehin mühselig und vielleicht sogar sinnlos, wenn der Regisseur selber sagt, dass es keine Wahrheit gibt, sondern die Wahrheit stets vom Standpunkt des Einzelnen abhängt. Was will uns der Mann mit Caché sagen? Spielt das überhaupt eine Rolle? 2005 waren Daniel Auteuil und Juliette Binoche die Verurteilten in dem neuen Werk von Haneke, das mit Preisen überhäuft wurde und ins Deutsche übersetzt so etwas heißt wie „Verborgen“ oder „Versteckt“.
Nahezu all das, was der Zuschauer zu Gesicht bekommt, scheint im Verborgenen zu geschehen. Die Personen lügen einander ein, sie sind unehrlich zu sich selbst, nichts scheint offensichtlich, nie sollte man sich seiner sicher sein. Das müssen auch Georges und Anne Laurent merken, als sie eines Tages ein Videoband an ihrer Haustür vorfinden. Ihr Erstaunen ist groß, als sie das Band abspulen, denn dort sind mehrere Stunden Filmmaterial enthalten – von der Außenansicht ihres Hauses. Die Spekulationen sind groß – wer ist der Filmende und was will er damit bezwecken? Das Ehepaar ist ratlos. Man verdächtigt einen Freund ihres Sohnes Pierrot, doch die Idee erscheint bald sehr absurd. Sie versuchen den Vorfall zu vergessen, doch das Schicksal macht es ihnen nicht leicht, als sie wenig später ein zweites Band vorfinden, eingewickelt in ein Papier, auf dem ein Junge aufgemalt wurde, der aus dem Mund stark blutet. Anne und Georges sind beunruhigt.
Was sollen sie tun? Wieder versucht zumindest Georges zu vergessen, doch seine Ehefrau bedrängt ihn. Sie müssen zur Polizei gehen, heißt es. Und so tun sie es – oder doch nicht? Trotz steter Beteuerungen Georges‘ greift bereits hier die selektive Wahrnehmung des Zuschauers, der in die Falle Hanekes getappt ist. Was ist die Wahrheit? Haben Georges und Anne der Polizei wirklich Bescheid gesagt oder hat sich Anne von ihrem Mann beruhigen und beschwichtigen lassen? Man glaubt den Charakteren, doch sollte man das wirklich? Die Lage spitzt sich immer weiter zu, denn bald wird auch eine Postkarte mit dem bedrohlichen Jungen-Motiv zu Pierrot in die Schule geschickt. Man ist ratlos, die Polizei will und kann angeblich nicht eingreifen. Die Familie fühlt sich immer mehr bedroht und beginnt zu handeln…
Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an David Lynchs düsteren Lost Highway mit Bill Pullman, der anfangs ähnliches durchmachen muss wie Daniel Auteuil. Auch in dem oben erwähnten surrealistischen Film von Lynch sieht sich ein Hauseigentümer mit Videokassetten von heimlichen Aufnahmen seiner Wohnung konfrontiert. Er weiß nicht, woher sie kommen, doch er spürt die Bedrohung. Diese Gemeinsamkeit verbindet die beiden Filme zumindest anfangs, doch Hanekes Werk schlägt bald eine komplett andere Richtung ein. Doch auch wie Lynch spielt er geschickt mit dem Zuschauer und schürt Ängste. Der gelungenste Trick in Caché ist es, dass man unmöglich sagen kann, ob die Bilder von der Außenseite des Hauses der Laurents nun die des Regisseurs Hanekes oder die die des anonymen Bedrohers sind, die dieser auf Band verewigt hat. Auf diese Weise wird der Regisseur zum Komplizen dieses heimtückischen Plans, was in einer unterschwelligen Spannung und düsteren Angst resultiert.
Dabei benötigt es niemandes Zutun, dass das Leben des Ehepaars Laurent innerhalb kürzester Zeit vollständig zerstört wird, denn die treibenden Akteure sind die Personen Anne und Georges selber, die für die schleichende Dekonstruktion einer jahrelangen Ehe verantwortlich sind. Nicht nur, dass die Videos und Bedrohungen zu einer intensiven Beschäftigung eines jeden Charakters mit sich selber und seiner Vergangenheit werden, sondern dass diese Beschäftigung zu Lügen und Verheimlichungen führt. Georges will seiner Vergangenheit entfliehen, doch da er dazu unfähig ist, kann er seine Frau und die ihm nahe stehenden nur belügen. Doch anstatt mit sich ins Reine zu kommen, stürzt er sich immer tiefer ins Unglück, während Michael Haneke die nächste Ebene des Films ansteuert, immer tiefer in den Abgrund, bis es kein Entkommen mehr zu geben scheint, denn in dem Netz aus Lügen haben sich die Personen selber zu tief verstrickt.
Es sind menschliche Wesen, die nur den kleinsten Anlass zur kompletten Selbstzerstörung brauchen und deren Lage deshalb so beängstigend ist, weil sie uns aufgrund ihrer Fehler so vertraut vorkommen. Haneke spielt immer weiter, bietet aber natürlich keine Lösung an, denn die Lösung ist die Wahrheit und die ist subjektiv. Doch davon lässt sich der Zuschauer längst nicht mehr beeindrucken. Viel zu stark hat er sich von Michael Haneke in dessen gewünschte Richtung ziehen lassen, er ist ihm wie eine Marionette gefolgt und wurde zum Spielball des Filmemachers.
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