Chicken Run

Chicken Run – Hennen rennen

(„Chicken Run“, directed by Peter Lord & Nick Park, 2000)

“Now, the most important thing is, we have to work as a team, which means: you do everything I tell you.”

Weniger als ein halbes Dutzend Sekunden Filmmaterial erhält man innerhalb einer Woche – bei harter, unermüdlicher Arbeit. Die Stop-Motion Technik ist eine der aufwendigsten überhaupt und kann man nur erahnen, wie groß der Aufwand für die Erfinder von Wallace and Gromit bei ihrem ersten Langfilm war. Dieser wurde – in Zusammenarbeit mit DreamWorks entstanden – ein großer Erfolg und darf sich damit rühmen, zu den wenigen Trickfilmen zu gehören, die sowohl für Erwachsene, als auch für deren Kinder etwas zu bieten zu haben, denn Chicken Run ist nicht nur ein süßer Animationsfilm, sondern auch eine Genreparodie auf zahlreiche Filme, die im Zweiten Weltkrieg angesiedelt sind – und Indiana Jones.

Die wohl am besten ersichtlichste Vorlage war John Sturges‘ Gesprengte Ketten mit Steve McQueen und Richard Attenborough, die in einem Gefangenenlager dieselben Pläne schmieden, wie es Jahrzehnte später die Hühner in Chicken Run tun sollten. Doch dieses Werk ruht sich nicht auf seiner Niedlichkeit aus – im Gegenteil, denn dieser Trickfilm ist gleich beim ersten Hinsehen deutlich nüchterner und erbarmungsloser als amerikanische Gesellen, die zugunsten ihrer zuckersüßen Niedlichkeit nie das Enthaupten eines Huhns gezeigt hätten. Direkt wird dies auch hier nicht gezeigt, doch es besteht kein Zweifel am Schicksal der Hühner, wenn die Axt gespitzt und die Knochen des Tieres gezeigt werden, die schlimme Lage der Eierfabrikanten deutlich machend.

Die Hühner sind gefangen. Doch noch haben sie die Hoffnung auf eine Flucht nicht aufgegeben. Seit langer Zeit befinden sie sich bereits auf der Farm von Mrs. Tweedy, die trotz ihres hübschen Namens ein Herz aus Stein hat und jede Henne, das eine Woche lang kein Ei legt, brutal abschlachtet. Unterstützt wird sie dabei von ihrem begriffsstutzigen Mann, der nachts mit seinen gefährlichen Hunden das Lager bewacht, da er schon seit einiger Zeit den Verdacht hat, das die Hennen etwas aushecken. Seine Frau will davon jedoch nichts hören und verdonnert Mr. Tweedy zu Schweigsamkeit und Vernunft. Dabei hat letzterer Recht: die Hennen hecken tatsächlich was aus. Anführerin ist Ginger, deren zahlreiche Fluchtversuche alle gescheitert sind. Neue Hoffnung erscheint buchstäblich am Himmel, als der Hahn Rocky im Lager auftaucht. Die Hennen verlieben sich sofort in den eitlen Macho, von dem sie glauben, dass dieser in der Lage ist zu fliegen. Mit dem Plan, ihnen das Fliegen beizubringen, damit sie der Farm entkommen können, beginnt eine lange Fluchtaktion. Für die Insassen der Farm ist es auch die einzige Möglichkeit, ihrem schweren Schicksal zu entkommen, denn Mrs. Tweedy hat in eine neue Maschine investiert, die ihr zu Reichtum verhelfen soll: aus den Hennen sollen Pasteten werden!

Die Henne wird am Hals ergriffen, der Todesblick streift sie unerbittlich, ehe sie in die Halle des Verderbens geschleift wird. Das Tor öffnet sich, ein Lichtstrahl fällt auf einen Holzklotz, auf welchem eine Axt liegt. Die Augen der zuschausenden Hennen werden immer größer, sie sind entsetzt, ihr schlimmster Alptraum wird wahr, als der Kopf ihrer Freundin unerbittlich mit einem lauten „Knack“ abgeschlagen wird. Es gibt keine Hoffnung, keine hübsche Auflösung, es gibt Tod und Verderben. Chicken Run gibt sich nicht die Mühe, derart zuckersüß zu sein wie seine amerikanischen Kollegen, denn dieser britische Animationsfilm hat neben den putzigen Figuren auch eine deutlich spürbare Kritik an den un-“mensch“-lichen Methoden der Hühnerfarmen aufzuweisen, in denen die eigentlichen Helden, nämlich die, welche die Eier produzieren, brutal abgeschlachtet und ausgebeutet werden.

Unabhängig von der persönlichen Einstellung eines jeden Zuschauers beschönigt Chicken Run nichts und klagt an, konfrontiert die Kinder mit der Wahrheit und Grausamkeit dieses Lagers, aus dem die Hennen entfliehen wollen. Es ist eine starke emotionale Kritik, welche die Gefangenen in diesem Film sofort verbindet, sodass Hennen rennen zwar auf der einen Seite ein verhältnismäßig brutaler, auf der anderen Seite aber auch ein sehr emotionaler und warmer Film ist. Diese Eigenschaft wird in der spannendsten Szene perfektioniert, wenn Rocky verzweifelt versucht, seine heimliche Liebe Ginger aus den Fängen der Pasteten-Maschine zu befreien. In diesen Momenten bildet sich ein bitterer Humor heraus, der in seinem Temporeichtum und originellen Einfällen für Schmunzeln sorgt, gleichzeitig aber auch immer wieder an die Gefahr erinnert, in der sich die Protagonisten befinden. Man verurteilt Mrs. und Mr. Tweedy zwar für ihre Grausamkeit, versucht ansatzweise aber auch Verständnis aufzubringen, denn die Lage, in der sie sich befinden, ist ebenfalls keine leichte.

Mit dem Verkauf der von den Hennen gelegten Eier lässt sich kein Geld verdienen und die Besitzer der Farm nagen am Hungertuch. Vom Wunsch nach Reichtum getrieben, entwickeln sie neue Pläne, wie sie zu Geld kommen können und natürlich sind die Leidtragenden wieder einmal die unschuldigen Hennen. Abgesehen von der Sozialkritik wartet der Film mit bezaubernden Charakteren auf und verzichtet dankenswerter Weise auf den falschen Pathos und kitschige Momente der Rührseligkeit, wie man sie zur Genüge aus glattgebügelten amerikanischen Trickfilmen kennt. Chicken Run ist daher für mehrere Parteien empfehlenswert: für Filmliebhaber, die erraten wollen, wie viele Tribute an verschiedene Filmklassiker hier versteckt sind, für Technikinteressierte, die wissen wollen, wie perfekt die hier angewandte Stop-Motion Technik ausgeführt wurde (nahezu perfekt und sehr beeindruckend), für Kinder (ab 6 Jahren), die einfach prächtig unterhalten werden wollen und für deren Eltern, die ihre Sprösslinge bei der Schlachtszene in den Arm nehmen können. Ein bezaubernder Film mit vielen entzückenden Momenten, der beweist: es muss nicht immer Hollywood sein. Die angenehme Zurückhaltung der Briten, ohne in Gefühlsduselei auszuarten trägt zur Frische dieses Werks bei.



(Anzeige)

9
von 10