Der Dünne Mann

Der dünne Mann

(„The Thin Man“, directed by W.S.Van Dyke, 1934)

“The murderer is right in this room. Sitting at this table. You may serve the fish.”

Der dünne Mann gehört in die Liste der brillanten B-Movies, die zahlreiche mit viel Geld und Aufwand inszenierten Altersgenossen blass und müde aussehen lassen. Entstanden nach einem Kriminalroman von Dashiell Hammett, wurde dieser Film in lediglich zwei Wochen gedreht, indem der für einen Oscar als bester Regisseur nominierte W.S. Van Dyke oft Szenen nur einmal, ohne Wiederholung drehen ließ, um Zeit und Geld zu sparen. Das merkt man dem Film freilich nicht an, der einer der größten Erfolge seiner Zeit war und ganze fünf Nachfolger nach sich zog – nicht einberechnet die zahlreichen Nachahmungen anderer Filmemacher.

Die Figur des dünnen Mannes ist dabei etwas missverständlich, denn der Titel des Films bezieht sich nicht etwa auf den Charakter des Detektivs Nick Charles, wie man vermuten könnte, sondern auf den des Erfinders Clyde Wynant, der hier eine wichtige Rolle spielt. Wie sich jedoch herausstellen sollte, begannen alle Zuschauer Nick Charles als den dünnen Mann zu bezeichnen, sodass die nachfolgenden Filme den Zusatz „dünner Mann“ behielten, unabhängig von der eigentlichen Sinnvergabe des Autors Dashiell Hammett, der in diesem Film während des Vorspanns auf dem Cover des von ihm verfassten Buches zu sehen ist. Seine niedergeschriebenen Vorfälle im Thin Man beruhen dabei zu einem großen Teil auf eigenen Erfahrungen als Detektiv, die hier in Form von Nick Charles abgebildet werden.

Nick (William Powell) war bis vor vier Jahren ein sehr begabter und viel gerühmter Ermittler, der sich mittlerweile jedoch aus dem kriminalistischen Geschäft zurückgezogen hat, da seine Frau Nora (Myrna Loy) mehrere Unternehmen ihres Vaters erbte, die es nun zu verwalten gilt. So heißt es offiziell, doch in Wirklichkeit genießen die Charles lediglich ihr gemütliches Leben, geben Partys, trinken reichlich Alkohol und führen Hund Asta zum Spazieren aus. Derzeit befinden sie sich auf Urlaub in New York, als sie Besuch von einer alten Bekannten erhalten. Dorothy (Maureen O’Sullivan) macht sich Sorgen um ihren Vater, den Erfinder Clyde Wynant (Edward Ellis). Dieser wollte für einige Zeit verreisen, ohne jemandem auch nur ein Sterbenswort über den Ort seines Aufenthaltes zu informieren. Dorothy ist nun in Aufregung, da ihr Vater, ein verwirrter Erfinder, versprochen hatte zur Hochzeit seiner Tochter am 27.12. wieder in der Stadt zu sein, doch noch am Tag vor Heiligabend fehlt von ihm jede Spur.

Inständig bittet sie ihren Freund Nick Charles nach ihm zu suchen, doch dieser denkt gar nicht daran. Das ändert sich, als wenig später die Leiche von Julia Wolf, Clyde Wynants Frau entdeckt wird – erschossen. Bevor Nick Charles sich versieht, glaubt jeder, dass er in diesem Fall inoffiziell ermittele, sodass ihm gar keine andere Wahl gelassen wird, als sich der Auflösung anzunehmen, denn immer öfter sieht er sich mit in dem Fall Involvierten konfrontiert, die ihn mitten in der Nacht mit einer Pistole bedrohen, um ihre Unschuld zu beteuern. Was Nick nicht ahnt ist, dass dieser Fall um einiges komplizierter werden soll, als er es sich je erträumt hätte und so geschieht es, dass eine Leiche nach der anderen ans Tageslicht kommt.

Der dünne Mann ist schlicht eine perfekte Mischung aus Kriminalfilm und Screwball-Komödie in Form von frisch, frech, frivolen Schlagabtäuschen des Ehepaars Charles, die sich gegenseitig necken und sich übereinander lustig machen. Das funktioniert deshalb so gut, weil Myrna Loy und William Powell wunderbar miteinander harmonieren und es sich erlauben können, sich gegenseitig k.o. zu schlagen oder sich in anderer Weise zu triezen, sodass es auch heute noch ein Vergnügen macht, diesen nicht ganz ernst zu nehmenden Aktionen zuzusehen. William Powell ist dabei exzellent als Snob, Dandy und Lebemann, der sich nur von Alkohol zu ernähren scheint und sich eher wider Willen in die Ermittlungen stürzt, die sich auch eher zufällig ergeben, ehe der per se recht interessante Kriminalfall a la Film Noir etwas verwirrend und konfus wird, was den ehrgeizigen Ambitionen des Schriftstellers Hammett geschuldet ist, der hier die goldene Regel des amerikanischen Hardboil-Verfasser befolgt, in jedem Kapitel eine unerwartete Entdeckung präsentieren zu können.

In dieser Hinsicht greift der „dünne Mann“ bereits Elemente des wenig später entstehenden Film Noir-Genres auf, der zuweilen besonders an Howard Hawks The Big Sleep erinnert, sich dabei aber wesentlich frecher präsentiert als seine nicht derart humorvollen Kollegen, wenn sich hier in bitterbösen Spitzen über Spießer und all jene, die es werden wollen, lustig gemacht wird. Dies geschieht zumeist in Form des nerv tötenden Bruders Gilbert, ein moderner Faust, der alle Wissenschaften in sich aufgesogen hat, jedoch jedem auf die Nerven fällt und sich nahtlos in die Liste der geldgierigen und emotionslosen Verwandten einreiht, die es alle auf den Erfinder Wynan angesehen zu haben scheinen.

Diese teilweise auftretende Konfusheit des Kriminalfalls hat dabei jedoch einen sehr angenehmen Nebeneffekt, der darin besteht, dass er zumindest nicht vorhersehbar ist und die Spannung bis zum Ende aufrecht erhalten bleibt – wie auch die konstante Gag-Dichte, die aus einer bissigen Parodie des Ehelebens besteht und sich als zitatenreiches Feuerwerk an Dialogwitz entpuppt, der in der Gesprächsohnmacht teilweise bereits an Loriot erinnert – 40 Jahre vor dem deutschen Komiker. Der dünne Mann ist in seiner wenig brutalen und humoristischen harmlosen Darstellung von Gewalt gegen Frauen (sowie auch gegen Männer) herrlich unkorrekt, seiner Zeit weit voraus und auch noch heute höchst amüsant. Die Frische dieses Werks resultiert dabei meistens aus der unglaublichen Coolness Nick Charles‘, dessen Unterhaltungstalent noch Stoff für fünf weitere Filme garantierte.



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