Die Gärten der Finzi-Contini

Der Garten der Finzi Contini

(„Il giardino dei Finzi Contini“, directed by Vittorio de Sica, 1970)

„Wenn jemand wirklich begreifen will, wie die Dinge auf dieser Welt wirklich aussehen, dann muss er mindestens einmal gestorben sein.“

Jüdischer Gesang ertönt über den Bildern eines vom Zweiten Weltkrieg betroffenen Italien. Es ist eine Protesthymne, die fortfährt, als sich die Leidtragenden dieser Bewegung an ihre unbeschwerte Zeit erinnern. Diese Vergangenheit findet statt in den Gärten der Finzi-Contini. Die Gärten sind eine Festung, sie werden zum Symbol der Unbeschwertheit, ein Ort, an dem man Kind sein kann und nichts zu fürchten braucht. Die Sonne schickt ihre hellen Strahlen über das glänzende Grün der riesigen Bäume, während Micòle (Dominique Sanda) versucht, sich über ihr Liebeschaos im Klaren zu werden. Wie auch Freunde von ihr, flüchtet sie sich dafür oft in den kleinen Schuppen, doch dieser wird nicht etwa eins mit den prächtigen Gärten, sondern ist eine Metapher für Leid, Unglück und Krankheit, von dem sich die jungen Menschen trotzdem angezogen fühlen wie Hänsel und Gretel von dem Haus der bösen Hexe.

Für Regisseur Vittorio de Sica, der den italienischen Neorealismus mitbegründet hatte und für den Klassiker Fahrraddiebe verantwortlich war, bedeutete Die Gärten der Finzi-Contini eine Erleichterung, denn seit einem halben Dutzend Jahren hatte er keinen finanziellen Hit mehr auf die Leinwand zaubern können. Doch nun sollte es immerhin einen Oscar für den besten ausländischen Film geben – ein Triumph für den Regisseur. Sein Werk von 1970 dreht sich um eine Gruppe junger Menschen, die alle vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs betroffen werden. Im Zentrum dieser Gruppe steht Micòle, eine gebildete und äußerst attraktive Dame aus der Oberschicht, die demnächst in Venedig ihren Doktortitel machen will.

Einer der Männer, die sich von ihr angezogen fühlen ist Giorgio (Lino Capolicchio), der einer jüdischen Familie aus dem Mittelstand angehört. Anfangs scheint Nicole seine Liebe zu erwidern, doch bald legen sich Schatten über die aufkeimende Beziehung, denn Nicole distanziert sich immer mehr von Giorgio, der darunter sehr leidet, während er sich mit seinem Vater über politische Themen streitet, da dieser der Ansicht ist, Mussolini sei besser als Hitler. Vor diesem Hintergrund ist Die Gärten der Finzi-Contini nicht nur eine sensible Liebesgeschichte, sondern auch ein politisches Porträt seiner Zeit über Faschismus, Nationalsozialismus sowie dessen Auswirkungen auf Italien und das alltägliche Leben der Juden in den frühen 40er Jahren.

Als Familienporträt werden auch diverse Nebenfiguren eingeführt, die alle ihre besondere, wichtige Bedeutung haben, so wird der kränkliche Bruder von Nicole, Alberto (Helmut Berger), in seinem fortschreitenden Siechtum zum Symbol der sich immer weiter verschlechternden politischen Situation in Italien. Todesanzeigen von Juden dürfen nicht länger abgedruckt werden, Mischehen werden verboten und schließlich wird die Jagd auf jüdische Bewohner komplett eröffnet, indem jeder verzweifelt versucht, seine Haut zu retten. So stellt Vittorio de Sica nicht nur die Frage, wie Giorgio und Micòl mit der Trennung voneinander umgehen, sondern auch, was der eigentliche Grund für Micòls Ablehnung war. Sind es tatsächlich nur ihre Gefühle oder ist es ein Selbstschutz und das Bedürfnis, Giorgio nicht in Schwierigkeiten zu bringen, angesichts der politischen Lage zu jener Zeit.  Was letztendlich die junge Frau aus den Armen dieses sensiblen Liebhabers treibt, der sich in stillem Schmerz durch die Nacht treibt, in der Hoffnung, zu vergessen, das bleibt im Dunkeln.

Es ist auch besser so, um das Mysterium filmisch weiter auskosten zu können und schließlich verdankt man dieser Undurchsichtigkeit die schönsten Szenen des Films, die geprägt sind von gespenstischem Surrealismus, in denen es vor Erotik in aller Stille nur so knistert. Dabei ist es eigentlich nur eine andere Variante von William Shakespeares „Romeo und Julia“, in der  Micòl und Giorgio gefangen sind. Beide gehören einer Familie an, die sich gegenseitig nicht achten und in Tischgesprächen übereinander herfallen. Doch zusätzlich gibt es genug andere Aspekte, die diese Beziehung scheitern lassen – die ihr gar keine andere Wahl lassen, als zu scheitern, zu zahlreich sind die Einflüsse von außen, mit denen man sich konfrontiert sehen. Seien es die Schmeicheleien anderer Männer an Micòl oder die schwierige Situation des Zweiten Weltkriegs: Giorgio befindet sich in der schlimmsten Lage, in der sich ein Mensch zu jener Zeit befinden konnte.

Von der Liebe enttäuscht wandelt er in großem Kummer durch die Trümmer seines Lebens und dort wird Vittorio de Sica zu keinem Zeitpunkt rührselig, übertrieben melodramatisch und dadurch kitschig. Seine Schilderung der damaligen Verhältnisse bleibt angenehm zurückgenommen, was ein Grund dafür sein mag, dass dieses Drama nach wie vor solch eine Frische ausstrahlt und erstaunlich gut gealtert ist. In sonnengetränkten Bildern zauberte der Regisseur ein Werk voller Leidenschaft, Gefühl und Sehnsucht, ohne falschen Kitsch oder Gefühlsduselei, das eben aus dieser Eigenschaft seine ganze Kraft schöpft.

Anmerkung: Dieser Film ist in Deutschland bislang (Stand: April 2011) noch nicht auf DVD erschienen.



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