„The Other Side of the Wind“ (1966 – 2011)
Es gibt Konzepte zu viel versprechenden Filmstoffen, die jedoch nie in ein Kinowerk umgesetzt wurden. Es gibt allerdings auch Filme, die aus den verschiedensten Gründen nie fertig gestellt wurden oder gar Werke, die zwar komplett gedreht, anschließend aber sofort zerstört wurden, ohne dass je ein Zuschauer diesen Film gesehen hat. Dieser Teil der neuen Serie „Filme, die nicht existieren“ dreht sich um The Other Side of the Wind von Orson Welles.
Bald ist es vielleicht soweit, dass The Other Side of the Wind das Licht der Welt bzw. Kinos erblickt. 40 Jahre nach Dreh dieses Werks, das vom Regisseur unvollendet hinterlassen wurde. Von einem Regisseur, der für seine vielen Torsi, die er hinterließ, berüchtigt ist. Es handelt sich um The Other Side of the Wind von Orson Welles, hochkarätig besetzt mit Filmemacher John Huston, Regisseur Peter Bogdanovich, Dennis Hopper, Claude Chabrol und Anderen. Es geht dabei um die letzten Stunden eines Regisseurs, eines „Bastards, der andere Menschen fängt, benutzt und zerstört. Es ist ein Film über uns“, erzählte Welles John Huston, der die Hauptrolle des Jake Hannaford übernehmen sollte, eine Rolle, die auf Orson Welles selber basiert, wie auch auf der des Schriftstellers Ernest Hemingway, der für seinen extravaganten Lebensstil bekannt war. In den letzten Jahren sorgte dieser unvollendete Film für immer mehr Gesprächsstoff, denn Peter Bogdanovich, einer der Darsteller, ist bereits seit etlichen Jahren damit beschäftigt, den damals zu 96% vollendeten Streifen in die Kinos zu bringen. 2010 sollte es soweit sein und The Other Side of the Wind in Cannes Premiere feiern – doch die Premiere verzögerte sich aus rechtlichen Problemen, die sich angeblich nun ihrem Ende nähern, wie Bogdanovich beteuerte. All dies nach wohlgemerkt 45 Jahren, denn bereits 1966 begann Orson Welles das Drehbuch zu schreiben, welches er The Sacred Beasts nannte.
Die Geschichte der „heiligen Biester“ unterscheidet sich jedoch ein wenig von dem, was letztendlich 1970 zu filmen begonnen wurde, da in erstgenanntem Stoff ein junger Stierkämpfer das Zentrum des Werks ist, der einen alternden Filmregisseur in scheinbar endloser Bewunderung durch Spanien folgt. In The Other Side of the Wind schließlich dreht sich die Geschichte um den Filmregisseur, der gerade sein Comeback plant. Eines Tages verhindert er den Selbstmord eines jungen Mannes, der ihm nicht nur das Leben verdankt, sondern der außerdem die Hauptrolle in dem neuen Film des Regisseurs übernehmen soll, doch die Arbeiten an dem neuen Film der „fiktiven“ Figur gestalten sich schwierig, denn stets ist man umgeben von lästigen Journalisten, Fans und Möchtegern-Künstlers, die einen belagern. Die Dreharbeiten zu Welles‘ Film verlaufen ebenfalls etwas planlos – Welles dreht wann und wo er gerade will, wie es sein Budget gerade erlaubt, denn er ist sein eigener Produzent und hat sich 1971 auch noch nicht entschlossen, wer die Hauptrolle des Filmemachers übernehmen soll. Die Wahl muss zwischen ihm selber und John Huston entschieden werden. Das hat sich auch 1972 noch nicht geändert, als Welles die bis zu diesem Zeitpunkt gedrehten Aufnahmen, das sogenannte „Footage“ ohne Darsteller, editiert und zeitgleich an einem neuen Film zu arbeiten beginnt, aus dem später die berühmte Dokumentation F for Fake werden soll und die wiederum in einer völlig anderen Fassung enden wird, als Welles es geplant und gewünscht hatte.
1974 steht schließlich ein Hauptdarsteller fest und wurde in John Huston gefunden, seines Zeichens selber legendärer Regisseur, der sich für Klassiker wie African Queen verantwortlich gezeichnet und zu diesem Zeitpunkt seine beste Zeit bereits hinter sich gelassen hatte. Huston stand für Welles in Arizona vor der Kamera in einer Villa, die Welles für den Dreh in einer Wüste gemietet hatte. Sechs Wochen, so stand es im Vertrag, sollte Huston für seinen Kollegen vor der Kamera stehen, der 1975 beschloss, auf einer Ehrung seiner langen Karriere beim AFI Life Achievement Award zwei Szenen seines neuen Films zu zeigen, der sich noch mitten im Dreh befand. Obwohl der Film noch nicht komplett fertig gestellt war, sah sich Orson Welles mit Problemen bzgl. der Rechte-Situation konfrontiert, denn der Filmemacher war einen Vertrag mit Partnern aus dem Iran (von denen einer der Sohn eines Scheichs war) eingegangen, denen somit ebenfalls Rechte an dem bislang unvollendeten Film gehörten.
Letztlich waren es diese rechtlichen Problemen, die Welles daran hinderten, das Werk zu Ende zu bringen, obwohl der Filmemacher in den letzten neun Jahren seines Lebens (bis 1985) am Schnitt des bisherigen Materials arbeitete. Doch was macht diesen Film letztlich so sagenumwoben? Er gilt als der experimentellste Film des Regisseurs und dies mag einiges bedeuten, handelt es sich bei diesem Regisseur auch von dem Schöpfer von Citizen Kane. Welles benutzte für dieses unvollendete Projekt mehrere verschiedene Kameratypen sowie mehrere verschiedene Filmformate, was allein das Visuelle dieses Werks stark surreal erscheinen lässt. Hinzu kommt die einzigartige Art der Schnitttechnik, die Welles bereits 1972 für F wie Fälschung anwendete und damit zu experimentieren liebte.
The Other Side of the Wind ist wahrscheinlich ein einzigartiges Projekt. Die Darstellung eines alten Regisseurs, der sein Comeback mit einem Film über Sex und Gewalt zu machen versucht, wurde über einen Zeitraum von fünf Jahren gedreht, wann immer Orson Welles etwas Geld zusammenkratzen konnte, was es erlaubte, erneut die Dreharbeiten aufzunehmen. Nach eigenen Aussagen sei der Film von Welles zu 96% vollendet worden und nun liegt das Schicksal dieses ungewöhnlichen Films in den Händen von Peter Bogdanovich, der es nun vollendete und sich mit den Rechte-Teilhabern einigen muss, zu denen auch die Geliebte von Welles gehörte, die sich weigerte, ihre Anteile zu verkaufen. Angeblich habe sie ihre Meinung nun geändert, doch leider ist sie nicht die einzige, die Rechte an diesem Werk besitzt, denn neben ihr besteht z.B. auch Welles‘ Tochter auf ihre Rechte an dem Film, sodass man nur hoffen kann, diese Kuriosität bald veröffentlicht zu sehen, wie es schon seit Jahren versprochen wird.
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