Adel verpflichtet

Adel verpflichtet

(„Kind Hearts and Coronets“, directed by Robert Hamer, 1949)

“It is so difficult to make a neat job of killing people with whom one is not on friendly terms.”

Erinnern Sie sich an das Lied, in dem Max Raabe singt „Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich“? Das Erstaunlichste an diesem Klassiker ist zweifellos, dass ein glattgebügelter Gentleman wie Raabe solche Zeilen vorträgt und nicht viel anders verhält es sich mit „Adel verpflichtet“, einem der großen Klassiker aus den britischen Ealing-Studios. Hauptfigur ist Louis Mazzini (Dennis Price), der wohlgesonnen in einer Todeszelle eines Gefängnisses sitzt und auf seine Hinrichtung wartet. Neben ihm steht eine Schale Trauben, eine Karaffe mit Wein, er selbst ist in einen edlen Morgenmantel gehüllt und seine ganze Ausgeglichenheit erweckt den Anschein, als könnte dieser Dandy niemals die Contenance verlieren. Eigentlich der perfekte Schwiegersohn, möchte man sagen, wäre da nicht das Drehbuch, dass seine (Anti)-Helden des Films zu Ungeheuern deformiert, bei denen man deutlich zwischen Schein und Sein unterscheiden muss.

Mazzini ist nämlich nicht im Geringsten derart harmlos, wie es den Anschein macht, während er seine Memoiren noch einmal durchliest, die er in seiner Zelle zu Papier gebracht hat. Alles begann, so beginnt er zu rezitieren, mit seiner Geburt als Sohn eines italienischen Sängers, der tot zusammenbricht, als er seinen Spross zum ersten Mal sieht und einer britischen Mutter, die dem Stamm des Adelsgeschlechts der D’Ascoynes angehört. Da sie jedoch – entgegen allen Erwartungen – einen wenig erfolgreichen Mann aus dem Volke geheiratet hatte, wurde sie von ihrer wohlhabenden Verwandtschaft verstoßen und alle Versuche, sich wieder anzunähern scheiterten kläglich. Trotzdem versuchte Louis, eine verhältnismäßig glückliche Kindheit zu verleben, in der er Gesellschaft von seiner attraktiven Sitznachbarin Sibella (Joan Greenwood) erhielt, mit der er noch lange Jahre befreundet bleibt. Aus dieser Freundschaft entwickelt sich bald mehr – die beiden verlieben sich.

Trotz dieses Umstandes sieht sich Sibella genötigt, jemand anderen zu heiraten, der mehr Erfolg im Berufsleben vorzuweisen hat. Als Louis ihr erzählt, dass er Chancen auf den Familienthron habe, lacht sie ihn aus. Hinzu kommt, dass seine Mutter stirbt und sich wünscht, in der Familiengruft der D’Ascoynes beerdigt zu werden. Der Antrag, den ihr Sohn stellt, wird von der Familie abgelehnt. Wieder wird der tief verwurzelte Hass gegenüber seinen hochnäsigen Verwandten geschürt, der schließlich explodiert, als einer jener Personen für seine Entlassung in einem Stoffgeschäft verantwortlich ist. Louis Mazzini macht sich an seinen lang gehegten Plan, alle potentiellen Thronfolger, die noch vor ihm stehen, umzubringen, damit er schließlich Herzog werden kann. Neben jenen acht Verwandten hat er jedoch noch ein anderes Problem, das sein Verhältnis zu Sibella zu komplizieren droht: er macht sich daran, die Frau eines Verwandten zu umgarnen, um besseren Zugang zur Familie erhalten zu können. Somit steht er nun zwischen zwei Frauen; für welche wird er sich entscheiden und wird er es schaffen, sich aller Verwandten (alle gespielt von einem vorzüglichen Alec Guinness) zu entledigen?

Wer sind diese Charaktere eigentlich? Diese Frage lässt sich in Bezug auf die von Alec Guinness dargestellten Opfer leicht beantworten, denn hier scheint jeder genauso zu sein, wie er sich nach außen gibt – als Karikatur seiner selbst. Da wäre der Playboy, der sich an einem Nachmittag mit einem Mädchen in einem Boot vergnügt, da wäre der alte Pastor, der mit seinen langen Reden allen auf die Nerven geht, da wäre sogar die alte Feministin, die Fensterscheiben einschlägt, um für das Frauenrecht zu demonstrieren. Das sind einfache Charaktere, schablonenhaft zum Amüsement ausgeschnitten und es funktioniert überraschend gut, was wohl in erster Linie an einem grandiosen Guiness liegt, der von einem 24jährigen bis zu einem alten Greis jede Figur spielen muss und so die gesamte Palette abzudecken hat. Dabei beweist er eine erstaunliche Vielfalt, die in jeder Sekunde vor wahrer Spielfreude sprüht und im besten Fall mit einem perfekten Timing für lautes Gelächter sorgen dürfte.

Die Frage nach dem wahren Wesen ist bei den beiden Hauptfiguren – Louis und Sibella – hingegen weitaus weniger einfach zu beantworten, wenn sich Regisseur und Drehbuchautoren an die schrittweise Transformierung eben jener machen, der man mal mit Amüsement und mal mit Erschrecken zuschaut. Dass man hier einem kaltblütigen, mehrfachen Mörder dabei zuschaut, wie er Familienmitglieder der Reihe nach umlegt, daran hat man sich aufgrund der gegebenen Prämisse eingelassen, doch das ist nicht der eigentliche Punkt, der Louis Mazzarin derart unsympathisch macht, sodass man sich von Zeit zu Zeit fragen sollte, ob man überhaupt noch auf seiner Seite steht und falls dem so ist, ob man sich deshalb Gedanken über seine Moralvorstellungen machen sollte. Louis ist nicht nur ein eiskalter Killer, sondern jemand, der alle seine Ideale verrät, nur um Erfolge erzielen zu können. Er ist ein egozentrischer Opportunist, der Sibella missbraucht, vorgibt, sie zu lieben und wohl selber nicht weiß, ob das der Wahrheit entspricht oder nicht. Ohne Rücksicht auf seine Geliebte zu nehmen, macht er der Frau des Mannes den Hof, den er soeben ins Jenseits befördert hat, um bessere Chancen auf den Thron zu haben.

Sibella hingegen ist, wie sich herausstellen soll, nicht viel besser. Sie heiratet den Mann, den sie nicht liebt, beginnt bald, ein schmutziges Spiel mit Louis zu spielen, den sie gehässig auslacht und am Ende sogar erpresst. Sie ist eine Schlampe. Er aber auch. Es sind diese Konstellationen, die aus Kind Hearts and Coronets eine derart bitterböse, schwarze Komödie machen, die wahrscheinlich aufgrund ihrer Boshaftigkeit nichts von ihrer Frische eingebüßt hat. Es ist die wohl größte Leistung des Regisseurs Robert Hamer, dass er es geschafft hat, ein Film mit derart ekelhaften Charakteren trotzdem vor Charme sprühen zu lassen – wahrscheinlich weil durch die vielen Schwächen der Figuren, die hier bis zur bissigen Satire gesteigert werden, sie uns so menschlich erscheinen. Louis versucht verzweifelt, schlechte Seiten an seinen Opfern zu finden, bevor er sie umbringt, um nachher kein allzu schlechtes Gewissen zu haben.  Ist das menschlich? Biegen wir uns nicht auf ab und zu eine Sichtweise zurecht, weil wir sonst gar nicht zum Überleben fähig wären? Adel verpflichtet nimmt sich freilich nicht derart ernst und wahrscheinlich ist das auch besser so.



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