(„Les grandes vacances“, directed by Jean Girault, 1967)
„Schnell – massier‘ mich. Sonst krieg‘ ich meinen Anfall!“
Wer erwartet, dass Louis de Funès in Balduin, der Ferienschreck von seinem üblichen Rollenschemata abweicht, wird enttäuscht. Er spielt das, wofür er berühmt ist: den kleinen, zornigen Mann, der seine Mitmenschen terrorisiert. Dieser Film zeichnet sich vor allem aber aufgrund seines Handlungsreichtums aus und gehört zu den wenigen Werken des französischen Komikers, deren Inhalt nicht mit einem Satz wiederzugeben ist. De Funès ist Balduin Bosquier (im Original heißt dieser Mensch im Übrigen Charles und nicht Balduin, aber da die Figur des Balduin zu jener Zeit besonders erfolgreich war, verpasste man de Funès einfach den Filmnamen, für den er am berühmtesten war), den Direktor eines exklusiven Internats, das vorzügliche Schüler mit vorzüglichen Noten vorzuweisen hat.
Bosquier ist der typischste und unsympathischste Direktor, den man sich nur vorstellen kann, wenn er sich bei der Verabschiedung in die Sommerferien bei den Eltern einschleimt und Small-Talk halten will, indem er den schlechtesten Schüler über alle Töne lobt, da dieser zugleich auch die reichsten Eltern hat. Einer der schlechtesten Schüler – zumindest im Fach Englisch – ist hingegen sein eigener Sohn Gérard (Olivier de Funès, auch im wirklichen Leben Louis‘ Sohn). Um diese Schande nicht auf der Familie sitzen zu lassen, findet Balduin bald einen Ausweg: Gérard soll in den Sommerferien als Austauschschüler nach Schottland. Dafür soll die Tochter der entsprechenden Familie nach Frankreich kommen. Doch Gérard hat überhaupt keine Lust auf diese Bildungsreise und entwickelt einen todsicheren Plan, wie er der Rache seines Vaters entkommen kann: für ihn soll Michonnet (Maurice Risch) die Reise antreten und sich als Sprössling Balduin Bosquiers ausgeben. Der Tausch findet statt und tatsächlich bemerkt zunächst niemand, um wen es sich beim Austauschschüler wirklich handelt.
Das ändert sich, als Michonnet plötzlich krank wird und Balduin aufgrund Verständigungsschwierigkeiten am Telefon sofort nach Edinburgh fliegt, um sich um seinen Sohn zu kümmern. Dort findet er nicht etwa seinen Sohn vor, sondern dessen „Doppelgänger“, der ihm alles beichtet und dazu aufgefordert wird, seine Rolle weiter zu spielen, um die Familie nicht bloßzustellen. Von ihm erfährt der Direktor, dass Gérard sich mit ein paar Freunden auf einer Segelfahrt befindet. Doch es kommt noch schlimmer: mit an Bord ist die schottische Austauschschülerin Shirley (Martine Kelly), die sich in Gérard verliebt hat – ohne zu wissen, wer dessen Vater ist. Balduin muss diese Gruppe nun schleunigst ausfindig machen und wieder nach Hause bringen, denn der Vater Shirleys kommt bald nach Frankreich, um sich davon zu überzeugen, dass sein attraktiver Sprössling wohlbehütet in einer anständigen Familie untergebracht ist. Ein turbulentes Abenteuer beginnt und de Funès präsentiert dem Zuschauer seine ganz eigene Version von Homers „Odyssee“.
All das gäbe genug Anlass, mit allen Stereotypen aufzufahren, welche die Franzosen gegen die Schotten und die Schotten gegen die Franzosen haben. Doch das Wunderbare ist: abgesehen von amüsanten Anspielungen auf verschiedene Essensgewohnheiten passiert nichts dergleichen, sodass der Zuschauer mit altbekannten Klischees verschont bleibt. Stattdessen wird man mit derart viel Handlung verwöhnt, dass die knappen 85 Minuten wie im Flug vergehen und man bestens unterhalten wird, denn Regisseur Jean Girault schafft es, die verschiedenen Ebenen dieses Werks sehr geschickt ineinander überfließen zu lassen. Der erste Teil dieser Komödie besteht aus der Tauschaktion und dem Wirbel, den die schottische Austauschschülerin im Haushalt Bosquier verursacht, während sich der nahtlos anschließende zweite Teil um Balduin dreht, der zahlreiche Bürden auf sich nehmen muss, um seinen Sohn und dessen neue Freundin wieder nach Hause holen zu können, ehe er sich im dritten Teil genötigt sieht, nach Schottland zu reisen, wo das Chaos schließlich sein Ende findet.
Man wird nicht nur mit viel Handlung verwöhnt, die einen temporeichen Spaß garantieren, sondern zudem noch mit einer sehr amüsanten Reise in der Zeitgeschichte, denn hier sind es die jungen Wilden in den regenbogenfarbenen Shirts, die sich zu funkiger Musik auf die Mädchen stürzen und die Kamera sie einfängt, wie kurz zuvor Richard Lester die Beatles in A Hard Day’s Night. All das ist so charmant, dass es nahezu unwiderstehlich ist, auch wenn die Vorbilder, sei es im Gesamtkontext auch noch so unpassend, unverkennbar sind. Da passt auch die fortschreitende Dekonstruktion des Direktors sehr gut ins Bild, denn aus dem strengen und braven Mann wird, weil die Umstände es nicht anders zulassen, ein Schläger, Rebell und Dieb, der Motorboote stiehlt, um an sein Ziel zu kommen. Ein kleiner Hippie also, der wie das HB-Männchen in regelmäßigen Abständen in die Luft geht.
So vorhersehbar die Ausbrüche dieses kleinen Mannes auch sind, so unvorhersehbar sind es die Aktionen, die er durchleiden muss – im Gegensatz zur vorher entstandenen und schwächeren Komödie Balduin, der Geldschrankknacker, denn man weiß zwar, dass es eine lange Zeit in Anspruch nehmen wird, ehe Bosquier die Gruppe der Ausgebüxten in Empfang nehmen kann, doch was er dafür durchleiden muss, bleibt eine Überraschung wie eine Wundertüte – oder wie eine Schachtel Pralinen, um Forrest Gump zu zitieren. Die Dialoge erreichen in ihren besten Momenten eine gar Nonsens-hafte Qualität, die von den gescheiterten Kommunikationen zeugen, die so viele von De Funès-Filmen auszeichnen und einen Kontrapunkt zum so temporeichen Abenteuer liefern, dessen actionreiches Highlight wohl die Landung eines kleinen Flugzeugs auf dem Dach eines Busses sein dürfte. Balduin, der Ferienschreck ist kurz, komisch, harmlos und die ideale Unterhaltung für einen verregneten Sonntag-Nachmittag.
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