(„Belle de jour“, directed by Luis Bunuel, 1967)
“I have an idea. Would you like to be called „Belle de Jour“? Since you only come in the afternoons.”
Catherine Deneuve als junge Severine, als Idealbesetzung. Grazil, zerbrechlich, unnahbar, schüchtern, unantastbar, voller masochistischer Träume, ein bisschen arrogant, gefangen in dieser Mischung in diesem so komplexen, undurchschaubaren Charakter. In einem weißen Kleid ist sie an einer Holzstange gefesselt, ihr Lebensgefährte und dessen Freund werfen mit Schlamm nach ihr, ins Gesicht, auf den ganzen Körper. „Geiles Stück!“, „alte Nutte!“. Und sie genießt es, sie genießt diesen Traum, wie sie alle anderen Tagträume genießt, die sie hat, während sie ihren tristen Alltag lebt, ohne wirklich anwesend zu sein. Sie ist passiv, sie langweilt sich, doch noch kann sie ihre masochistischen Tendenzen durch ihre Träume kontrollieren.
Viele Frauen würden sie beneiden. Severine kommt aus der oberen Schicht, sie wohnt mit ihrem Freund Pierre (Jean Sorel), einem gut verdienenden Arzt, in einer edlen Wohnung mit einer Angestellten, sodass Severine nicht arbeiten muss. Eines Tages fährt sie mit einer Freundin im Taxi, die ihr von einer Bekannten erzählt, welche nebenher in einem Bordell als Prostituierte arbeitet. Severine findet den Gedanken abstoßend – sagt sie zumindest. Sie versucht, nicht mehr darüber nachzudenken, doch sie interessiert sich für dieses Gewerbe und bekommt die Adresse eines Bordells in Paris heraus. Ganz in Schwarz gekleidet, wie auf einer Beerdigung, versteckt hinter einer Sonnenbrille, als ob sie sich schämt, fasst sie schließlich all ihren Mut zusammen und klingelt bei Madame Anais (Geneviève Page), welche das kleine Freudenhaus führt, das ganz versteckt hinter einem kleinen Einkaufsladen gelegen ist und nur aus einer recht kleinen Wohnung besteht, die ein familiäres Flair ausstrahlt, weil sich dort nicht nur die zwei dort beschäftigten Nutten aufhalten, sondern ab und zu auch ein Besuch von der kleinen Nichte der Madame Anais abgestattet wird.
Doch noch ziert sich Severine, sie will eigentlich nicht in dieses Gewerbe, bis schließlich der innere Drang zu stark wird. Wenn sie irgendwo ihre masochistischen Träume ausleben kann, dann ist es hier. Aber sie mag es nicht, von Kunden zu hart angefasst zu werden, für sie ist die Welt der heimlichen Träume und die Realität in dieser Hinsicht unvereinbar, genauso wie Liebe und Sex. Für „Belle de Jour“, wie sie sich im Bordell nennt, diesen komplexen und vielschichtigen Charakter, stellen diese zwei Elemente etwas dar, das nicht in einem Satz verwendet werden kann. Liebe ist nicht gleich Sex. Sex ist nicht gleich Liebe. Der Zuschauer glaubt ihren Beteuerungen gegenüber ihrem Lebensgefährten Pierre zunächst nicht, wenn sie ihm beschwört, dass sie ihn liebe. Warum ist man so skeptisch? Weil man nicht wissen kann, was in dieser Frau vorgeht, weil sie sich weigert, mit Pierre zu schlafen? Bunuel zeigt den Geschlechtsakt nicht, doch er zeigt sehr wohl das Zusammensein von Belle und ihren Zuhältern im Bett, während er immer wieder auf die getrennten Schlafmöglichkeiten von Severine und Pierre hinweist und daran erinnert. „Seht her“, sagt Bunuel, „merkt ihr, was ich hier mit euch mache?“
Es ist ein Trick – der Zuschauer glaubt Severine nicht, dass sie zur Liebe mit dem angesehenen Arzt fähig ist – nicht primär, weil sie sich dem Geschlechtsakt verweigert, sondern weil sie (vielleicht dadurch) recht kalt zu ihrem Freund erscheint. Aber Bunuel spielt und amüsiert sich köstlich, wenn er sich über die Bourgeoisie lustig macht. Langsam, in den Szenen im Bordell, glaubt man hinter das Geheimnis der Teilzeit-Prostituierten zu kommen, die sich bald hemmungslos einem jeden Kunden hingibt und sich scheinbar bald in einen von ihnen verliebt, es ihm zumindest vorgaukelt. Diese Szene ist voller aufgeladener Erotik, voller Wärme und Verführung – all das, was man in der Beziehung zwischen ihr und ihrem Lebensgefährten vermisst. Doch Sex ist nicht Liebe. Sie genießt den Geschlechtsverkehr mit ihrem mysteriösen Kunden, doch mit Liebe hat das nichts zu tun. Sie liebt Pierre – und auf einmal glaubt man es.
Zur „Schönen des Tages“ kommen alle – die meisten aus der Oberschicht. Ein Arzt, ein wohlhabender Fabrikant, ein Schlossbesitzer und sie alle haben Fetische, die nur hinter diesen verschlossenen Türen stattfinden. Bei Prostituierten sind jedoch alle gleich, da spielt es keine Rolle, ob es ein Millionär ist oder ein Gauner, der droht, schlägt oder einfach nur Zärtlichkeit will und glaubt, sie in diesen Zimmern finden zu können. Mit dieser Konstellation wird aus Bunuels Film ein Quasi-Episodenfilm, der allerdings von Catherine Deneuve als starkem rotem Faden zusammengehalten wird, ohne jemals Gefahr zu laufen, auseinander zu brechen. Manchmal scheint jeder Charakter in diesem Film leichter verständlich zu sein, als die Hauptfigur Severin, die sich einem bis zum Schluss nicht komplett erschließt, wenn sie die Anderen verurteilt, ihre Freier und den Freund ihres Lebensgefährten als pervers abstempelt, bevor wir wieder eine Traumsequenz vor die Augen gehalten bekommen: Severine gefesselt, Severine gedemütigt, Severine in ihren sexuellen Fantasien als qualvolle Determination. Aber ist es wirklich eine ungerechtfertigte Aburteilung, da eine falsche Sicht auf sich selber? Oder haben wir uns doch an der Nase herumführen lassen und Severine ist die einzig normale Person in diesem Film?
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