Der Champagner-Mörder

Champagner-Mörder

(„Le scandale“, directed by Claude Chabrol, 1967)

Wenn Sie Champagner-Mörder als Thriller sehen, als welcher er angepriesen wurde, werden Sie sich in der ersten Hälfte wahrscheinlich königlich langweilen. Wenn Sie Champagner-Mörder als bissige, für Claude Chabrol typische Gesellschaftssatire sehen, werden Sie von der zweiten Hälfte wahrscheinlich irritiert sein, denn dieses Werk unterscheidet sich nicht nur sehr stark von den anderen Streifen des Regisseurs, sondern ist wahrscheinlich generell ein einzigartiges Experiment, das nicht derart gut funktioniert, wie man es ihm aufgrund der Prämisse gewünscht hätte. Alles beginnt mit einer Spazierfahrt in der Nacht. Christopher (Anthony Perkins) und Paul (Maurice Ronet) fahren in einem Auto quer durch Paris, vorbei am Triumphbogen, durch enge Straßen, schmutzige Häuser passierend, wo sie ein junges Mädchen aufgabeln, dass sie in ihrem Auto mitnehmen.

Der Abend endet tragisch: Christopher wird zusammengeschlagen, das Mädchen erdrosselt und Paul so schwer verletzt, dass er sich in eine lange Behandlung begeben muss. Abgesehen von seiner Gesundheit hat er freilich wenig Grund zum Klagen, denn er führt den Namen „Wagner“, der eine Champagner-Marke ziert. Diesen Champagner stellt wiederum sein Freund Christopher her bzw. dessen Frau Christine (Yvonne Furneaux). 12 Millionen Flaschen des teuren Getränks lagern in ihrem exklusiven Gut, mit dem sich reichlich Geld verdienen lässt. Das merken schnell auch andere Investoren, die ihr Interesse bekunden. Da wäre zum Beispiel ein Millionär aus den Vereinigten Staaten, der Millionen in dieses Geschäft investieren will. Er ist sich dabei aber sehr bewusst, dass diese Champagner-Firma ohne den Namen „Wagner“ nichts wert ist. Nur haben Christopher und seine Frau diesen Namen noch nicht, denn den will Paul auch für 3 Millionen alte Francs nicht hergeben. Er hat ohnehin nicht den Kopf, sich darüber viele Sorgen zu machen, weil er das Leben in vollen Zügen genießt. Auf einer Party, die für den amerikanischen Investoren – den potentiellen wohlgemerkt – blamiert er sich bis auf die Knochen und inszeniert ein albernes Spiel, das alle in peinliche Verlegenheit bringt. Nur ihn nicht.

Hier haben wir also einen recht deutlichen Einblick in das Leben dieser Karikatur, die niemand ernst nehmen will, auf den aber Christine und Christoph angewiesen sind. Um ein paar Tage auszuspannen verbringen letzterer und sein Freund Paul ein paar Tage in Hamburg – ein Aufenthalt, der das Leben aller Beteiligten auf einen Schlag verändern wird. In einer zwielichtigen Kneipe besorgen sich die Männer zwei Animierdamen, von denen eine des Nachts mit Paul an der Alster schläft. Am nächsten Morgen wankt dieser ins Hotel zurück – ohne seine neue Bekanntschaft, denn die ist verschwunden. Glaubt er zumindest. Oder glaubt er es doch nicht? Weiß er, was mit ihr geschehen ist? Nur wenige Tage später erreicht Christine ein Drohbrief, indem sich ein Zeitungsausschnitt befindet, der besagt, dass das Mädchen Pauls in Hamburg tot aufgefunden wurde…

Le scandale ist ein seltsamer Film, der konsequent gegen alle Erwartungen gebügelt ist – ob das bewusst gemacht wurde oder ob das schlicht an einem wirren Drehbuch liegt, wird man wohl nie erfahren. Das Resultat ist eine fast psychedelische Erfahrung, während man sich durch die ersten 40 Minuten gekämpft hat, die zäh sind wie ein altes Kaugummi, das einem an der Schuhsohle klebt. Interessanterweise flackert aber auch gleichzeitig hier das Talent Chabrols auf, seine ätzende Gesellschaftskritik, die einige Szenen durchaus sehenswert machen. Da wäre zum Beispiel die Partyszene, die zu Ehren der amerikanischen Investoren geschmissen wird. Die Kamera wandert dabei umher, streift alle möglichen Menschen, die wir nicht kennen, deren Typus uns aber bekannt ist, wenn wir sie nur zu Gesicht bekommen.

Das weiß Chabrol und macht sich bewusst darüber lustig. Der alte General, der eine junge, attraktive Frau an seiner Seite mit alten Kriegsgeschichten langweilt oder die dicke Frau, die ihre besten Jahre längst hinter sich gelassen hat und sich nun ein Cremetörtchen genüsslich zwischen die Zähne schiebt. Sie alle werden zur Zielscheibe der Häme des Regisseurs, der sich an ihnen ergötzt. Nicht weniger freundlich ist sein Umgang mit den beiden Protagonisten, die beide nur eine Karikatur ihrer selbst und weit davon entfernt sind, echte Männer darzustellen. Paul spielt im Zimmer mit seiner Carrera-Bahn und lässt bei Tisch ein Spielzeuginsekt über das Gedeck flitzen, um die weiblichen Gäste zu erschrecken. Christoph hat sich neben dem Schlafzimmer ein eigenes Reich erbaut, in dem er seine Modellschiffe bauen kann, ohne von seiner Frau 24 Stunden täglich herumkommandiert zu werden. Der recht zähe Beginn wird dadurch erträglich und macht in einzelnen Minuten sogar vergessen, worauf man eigentlich wartet: auf den eigentlichen Plot, der sich Zeit lässt. Er scheint stets vor der Tür zu stehen und anzuklopfen, aber Chabrol lässt ihn noch nicht herein.

Mit dem Mord an der Hamburger Bekanntschaft tritt er eine Welle von Ereignissen los, von denen man erwarten könnte, dass sie eine bestimmte Wendung nehmen und dadurch vorhersehbar werden. Christine versucht, Paul zu erpressen und dieser scheint darauf einzugehen. Doch dieser Aspekt gerät bald wieder in Vergessenheit und Chabrols Film schlägt eine völlig andere Richtung ein, sich mit der Psyche des angeblichen Täters zu befassen, der sich in seiner eigenen Welt aus Watte befindet. Am Stärksten ist da wohl die Partyszene, die Evelyn (Suzanne Lloyd) schmeißt, eine Art gezügelte Hippie-Party mit Alkohol und Sex, unterlegt von der emotionslosen, pseudo-seriellen Musik Pierre Jansens, der die Atmosphäre noch skurriler und gespenstischer erscheinen lässt, als sie ohnehin schon ist.

Paul wandert umher, es passiert noch etwas, er wandert weiter, er versucht zu erklären, was mit ihm geschieht, es passiert noch etwas. Der Film wird zu einer Ansammlung von Ereignissen, die nur ansatzweise angefasst werden mit Symbolen und Handlungssträngen, die immer wieder links liegen gelassen werden zugunsten der gespenstischen Atmosphäre. Das funktioniert aber nicht gut – auch nicht, als eine, zugegebenermaßen nicht uninteressante, Wendung eingeführt wird, die zu sehr an den Löchern im Drehbuch krankt, denn die Auflösung – bzw. Nicht-Auflösung – entpuppt sich für den aufmerksamen Zuschauer als Reinfall, der nicht umhin kann, zu bemerken, dass es sich niemals so abgespielt haben kann, wie Chabrol es einem vorgaukeln will. Champagner-Mörder krankt trotz einiger interessanter Einfälle an dem wenig fokussierten Drehbuch, an dem unentschiedenen Hin und Her und vor allem an einer wenig einleuchtenden Auflösung.



(Anzeige)

5
von 10