(„El Ángel exterminador“ directed by Luis Buñuel, 1962)
In El Ángel exterminador verweigert es Buñuel einer bourgeoisen Abendgesellschaft, das Wohnzimmer der Gastgeber zu verlassen, wodurch alsbald, auf Grund des Mangels an Wasser und Lebensmitteln, ein Überlebenskampf für die Anwesenden beginnt.
Nach einem Opernbesuch findet sich ein wohlhabender Freundeskreis in der Villa des Ehepaars Nobile zu einer Soirée ein. Nach einem feucht- fröhlichen Abend entscheiden sich die Gäste über Nacht zu bleiben- doch auch am nächsten Morgen ist es ihnen aus unerfindlichen Gründen nicht möglich, das Wohnzimmer, geschweige denn das Haus zu verlassen. Über einen unbestimmten Zeitraum sind sie dazu gezwungen, in jenem Raum wie durch eine unsichtbare Wand von der Außenwelt getrennt zu sein…
Erneut entlarvt Buñuel die Koketterie und Etikette des gehobenen Bürgertums als scheinhafte, oberflächliche Verhaltensweisen, indem er die Abendgesellschaft mit einer Extremsituation konfrontiert, in der jeder der Akteure, nicht nur um zu überleben, seiner Triebhaftigkeit freien Lauf lässt – man bezichtigt einander der Hexerei, schmiedet Mordkomplotte, die Männer fallen über die Frauen her etc.. Begreift man dieses Werk, dessen ungewöhnlicher Titel nach Angaben des Regisseurs ohne näheren Zusammenhang zu der Handlung des Films stehe (ähnlich wie in Un chien andalou), als „soziologische Studie“, wird man El Ángel exterminador jedoch nicht vollends gerecht: abermals versieht Buñuel seinen Film mit einer Reihe skurriler Einfälle und (möglicher) Symbole und Metaphern (ein Bär, Schafe, eine sich von ganz alleine bewegende, abgetrennte Hand etc.). Buñuel lehnte es Zeit seines Lebens ab, sich zu seinen Symbolen zu äußern, oft mokierte er sich sogar über die Ratlosigkeit seiner Exegeten (ohne dabei deren Interpretationen zu verwerfen); vielmehr kam es ihm darauf an, gemäß dem filmpoetologischen Fundament des Surrealismus‘, jeden Zuschauer zu eigenen „schöpferischen Assoziationen“ (so bezeichnete es der Meister selbst) zu motivieren. Auf Grund der Suggestivität vieler Szenen in El Ángel exterminador gelingt es Buñuel, jene Intention in diesem Werk zu manifestieren.
Durch die sehr dezente, fließende Kameraarbeit Gabriel Figueroas, die mit nur wenigen Schnitten auskommt, erhält der Zuschauer zudem den Eindruck, weniger Beobachter, als vielmehr Mitglied dieser Runde zu sein … El Ángel exterminador nimmt einen besonderen Platz in Buñuels Filmografie ein, da der Regisseur erstmals surrealistische Elemente in eine bitterböse Gesellschaftskomödie einbettet und somit seine späte Schaffensphase, die durch formal als auch thematisch verwandte Klassiker wie Le charme discret de la bourgeoisie gekennzeichnet ist, einleitete und er außerdem ein facettenreiches Werk ist, das es sich (immer wieder neu) zu entdecken lohnt.
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