(„La doppia ora“, directed by Giuseppe Capotondi, 2009)
„Menschen ändern sich nicht.“
Ich sehe tote Menschen, muss sich Sonia (Kseniya Rappoport) denken. Alles beginnt, als die Putzkraft in einem Hotel das Zimmer eines Gastes reinigen will. Der Gast ist da, ein paar nette Worte, es störe nicht, dass Sonia putze, obwohl der weibliche Zimmerbewohner gerade anwesend ist und fernsieht. Sonia macht sich im Badezimmer ans Werk. Wenige Sekunden später beschleicht sie ein ungutes Gefühl. Straßenlärm dringt an ihre Ohren. Jemand hat das Fenster im anliegenden Raum geöffnet. Langsam nähert sie sich. Ein Blick hinaus. Ein Blick hinunter. Ich sehe tote Menschen, muss sich Sonia denken. Immer wieder. Überall sind sie. Denn ihr Leben wird vom Tod bestimmt. Die Szene im Hotelzimmer ist nur der Anfang, doch das Schicksal peitscht sie weiter.
Schnitt. Anderes Ambiente, auf das Vergangene wird nicht mehr eingegangen. Vergangenheit, Ignorierung. Sonia sitzt in einem schummerigen Lokal an einem Tisch von dutzenden. Um sie herum über 30 Menschen. Es ist ein Speed-Dating und sie erhofft sich, wie jeder andere auch, den Partner fürs Leben zu finden. Oder nur eine schnelle Nummer für zwischendurch, denn auch solche Suchenden sind unterwegs. Sie begegnet Guido (Filippo Timi), einem gutaussehenden jungen Mann, der sie sofort – zumindest optisch – anzusprechen scheint. Sie verstehen sich gut, sie wollen danach noch etwas trinken gehen, doch stattdessen landen sie in der Wohnung von Guido, in seinem Bett. Wer ist dieser Guido? La doppia ora stellt diese Frage vielleicht öfter als einmal, beschäftigt sich aber zumindest nicht weiter mit ihr.
Mit dieser Inkonsequenz muss sich der Zuschauer abfinden, der an dem Charakter des charmanten Italieners zweifeln darf, als er eine Flasche an seine Tür schmeißt, nachdem seine neue Bettbekanntschaft ihn von draußen darauf aufmerksam gemacht hat, dass sie ihn gar nicht zurückrufen könne, da sie seine Nummer nicht habe. Pech für sie könnte man jetzt schulterzuckend denken. Tut man auch, weil man ihre Reaktion nicht erlebt. Aber die Liebesgeschichte zwischen Sonia und Guido geht weiter. Ihre Wege kreuzen sich erneut, sie beginnen, sich ineinander zu verlieben. Sonia erfährt, dass ihr neuer Freund Witwer ist, dass seine Frau vor drei Jahren starb, dass er als Wachmann arbeitet und auf die Villa eines reichen Mannes aufpasst. Er bringt sie zu seinem Arbeitsplatz und dummerweise entschließt er sich dazu, das Alarmsystem für den anliegenden Park auszuschalten, um ihn Sonia zu zeigen. Die ist gerührt von der romantischen Ader Guidos, muss aber bald aus ihren weichen Träumen erwachen, denn plötzlich sehen sich die beiden Verliebten mit der Mündung einer Pistole konfrontiert…
Die doppelte Spur ist eine seltsame Mischung aus Krimi, Mystery, Drama und Romanze. Vollkommen überzeugend ist dieser Film in keinem einzigen dieser Genres. Die Romanze bleibt zu oberflächlich, die Charaktere sind uns zu fremd, vielleicht trauen wir ihnen nicht genug und vielleicht tun wir ganz recht daran… Als Mysteryfilm verläuft sich La doppia ora in ermüdenden Aneinanderreihungen von Klischees, die man in ähnlicher – nein, in genau derselben – Art und Weise schon in unzähligen anderen Streifen gesehen hat. Oft besser, oft aber auch schlechter. Das Licht fällt aus, bedrohliche Musik, der Strahl einer Taschenlampe und auf einmal entdeckt man einen totgeglaubten Menschen in einer Ecke des dunklen Zimmers stehen zu sehen. Buh! Können Sie sich noch fesseln lassen, wenn die Putzfrau auf einer Überwachungskamera eine (lebendige) Leiche entdeckt, daraufhin in das entsprechende Zimmer hetzt, in der Erwartung die entsprechende Person dort vorzufinden? Vielleicht haben Sie durch genügend Erfahrung schon vorher herausgeknobelt, dass die Leiche natürlich nicht dort sein wird und das dieser verwirrten Frau auch niemand glauben wird. Überraschung!
All das hätte vielleicht Potential, würde der Film in diesem Aspekt nicht mit reihenweise anstrengenden Charakteren aufwarten, die dem Zuschauer in ihrer anstrengenden Belanglosigkeit den letzten Nerv rauben. Da wären der schmierige Italiener, der auf die Putzfrau scharf ist und alles sagt, um sie zu beeindrucken, der misstrauische Polizeibeamte, der Sonia aufs Glatteis führen will oder die Kollegin, die nur von sich selber redet und deren Redeschwall gar kein Ende finden will. Aus diesem ermüdenden Klischeetief vermag sich dieses Werk durch eine gelungene Wendung für eine kurze Zeit zu befreien, doch das hilft nicht, um darüber weg zu täuschen, dass „Die doppelte Stunde“ elendig lange braucht, um endlich zum Punkt zu kommen und interessant zu werden.
Endlich schafft er jedoch den Absprung und rettet sich nach der Hälfte der Spielzeit aus dem tristen Tief der Belanglosigkeit und das Drehbuch schafft es zeitweilig sogar, Raum in den Charakter der Sonia zu legen, sie zu einer verletzlichen, runden Person zu formen, die sich von den Geistern der Vergangenheit abschütteln will. Hier gibt es keine Parteien mehr, der Zuschauer steht auf keiner Seite und das, obwohl das Gut-/Böse-Schema schnell recht deutlich gemacht wird. Das ist ein interessanter Trick, der dem Regisseur hier gelungen ist, in dem er niemanden verurteilt, sondern recht neutral auf die Gestalten mit der Kamera draufhält, aber immer daran gemahnt, dass der Zuschauer sich einer Sache nie sicher sein sollte.
Nach einem recht behäbigen Anfang wird aus Die doppelte Stunde noch ein durchaus akzeptabler Krimi, der mit einigen Überraschungen aufwarten kann, mit denen man erstaunlich gut bei der Stange gehalten wird. Da bedarf es auch keiner Kunstgriffe, wie der Frage, was eigentlich eine „doppelte Stunde“ sei. Regisseur Giuseppe Capotondi spielt mit dieser Frage ein, zweimal, um krampfhaft die Aura des Mysteriösen erhalten zu wollen. Das gelingt ihm zwar nicht, aber das hat der Film auch gar nicht nötig, der hätte nämlich in der zweiten Hälfte genügend reichhaltigen Stoff für einen unterhaltsamen Krimi.
Die doppelte Stunde ab 19. Mai im Kino
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