(„Black Narcissus“, directed by Michael Powell & Emeric Pressburger, 1947)
“Well I really don’t know what to do.”
“What would Christ have done?”
Oben auf dem Plateau, in schwindelerregender Höhe vor einem unendlich tiefen Abgrund hängt eine Glocke. Es sind nur wenige Zentimeter, die man vorwärts gehen muss, um direkt in das Nichts zu fallen, an dessen Grund man das hoffnungsvolle Grün der Bäume und Sträucher erspähen kann. Schauplatz ist Mopu in den Himalayas, ein gigantischer Schauplatz mit einem großen Gemäuer, das komplett in britischen Studios errichtet wurde – kein echter Abgrund, keine echten Bäume.
Doch dem künstlichen Abgrund gilt alle Aufmerksamkeit, alle Blicke beim Glockenschlag, in denen gleichzeitig Furcht und Sentimentalität liegen. Es ist die Furcht, zu versagen, es ist die Sentimentalität der Vergangenheit, mit der man sich an diesem abgeschiedenen Ort wieder konfrontiert sieht, die man ein für alle Mal vergessen wollte. Während ihrer Zeit im Kloster hat Schwester Clodagh (Deborah Kerr) das erfolgreich geschafft. Mehrere Jahre lebte sie dort bereits unter Gleichgesinnten, bis sie von der Mutter Oberin Dorothea (Nancy Roberts) den Auftrag erhält, in den Bergen des Himalayas bei Mopu eine Klosterschule und ihren Orden neu zu gründen. Zusätzlich zur Schule für Kinder soll auch eine Krankenstation entstehen, doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, auf dem Clodagh Unterstützung von ausgewählten Schwestern erhalten soll. Philippa (Flora Robson), Briony (Judith Furse), die kränkliche Ruth (Kathleen Byron) und Schwester „Goldig“ (Jenny Laird) begleiten sie, um ihr bei ihrem fordernden Auftrag zu helfen.
In Mopu angekommen, treffen sie auf Mr. Dean (David Farrar), einen Beauftragten der britischen Verwaltung, der den Schwestern zunächst nicht freundlich gesinnt ist, nach und nach jedoch einlenkt und verspricht, ihnen in schwierigen Fragen beizustehen. Mit seiner Assistenz beginnen die Schwestern, Unterricht zu geben und richten eine kleine Krankenstation ein, die bald überfüllt ist. Einen ungewöhnlichen Besuch erhalten sie eines Tages von einem jungen General (Sabu), der wünscht, an diesem Ort in Naturwissenschaften, Sprachen und Kunst unterrichtet zu werden. Zwar lehnen dies die Schwestern erst ab, doch da sie ihn nicht verletzten und beleidigen möchten, geben sie ihm die Chance, im Kloster zu lernen. Der junge General erweist sich als fleißiger Schüler und macht den Schwestern viel Freude. Freude, sie sie bitter nötig haben, denn bald bahnen sich immer mehr Probleme an und aus dem freundlichen Miteinander wird bald ein gefährliches Gegeneinander, das die Gräben zwischen den einzelnen Personen immer weiter vertieft.
Die schwarze Narzisse ist ein Film über den Kampf zwischen Mensch und Natur – gegen die Natur des Menschen, ein Kampf, den die Schwestern nur verlieren können. Denn in der Abgeschiedenheit der Berge unter den primitiven Menschen müssen sie erkennen, dass sie nur in dieser Umgebung überleben können, wenn sie sich entweder über Regeln und Vorgaben hinwegsetzen und dadurch den nüchternen Blick eines Mr. Dean erlangen oder stillschweigend alles so hinnehmen wie es ist. In beiden Fällen sind sie in ihrer Determination gefangen, all das würde heißen, ihre Ideale zu verraten, was für die Schwestern nie in Frage käme. Diese ihre Machtlosigkeit müssen sie erkennen, doch es ist ein schmerzhafter Prozess, denn die Erkenntnis bedeutet auch, sich zu ergeben und diesem Ort, an dem sie fehl am Platze zu sein scheinen, zu entkommen. Diese Unerfüllbarkeit von Vorgaben und Gottes Segnungen wirkt sich auf die Gemeinschaft aus, die sich bald nicht mehr als solche bezeichnen lässt.
In all ihren gegenseitigen Vorwürfen, Beschuldigungen und Widersprüchen sind sie selbst, die ehrwürdigen Schwestern, die einzigen, an denen sie ihre Wut auslassen können und sich gegenseitig das Leben noch schwerer machen, als es die schwierigen Bedingungen auf dem hohen Berg ohnehin schon sind. In all dieser Fehlbarkeit sind die heiligen Schwestern menschlicher, als sie es sich je eingestehen würden, während der lasterhafte Mr. Dean sich selber in der Aufgabe sieht, die Schwestern zu ermutigen und ihnen Hoffnung zuzusprechen. Es ist eine verkehrte Welt, die in den Himalaya-Bergen gelebt wird, in denen ein zweifelhafter Trunkenbold, der sich nicht viel aus Gott macht, zum klarsichtigen und ermutigenden Retter wird, der nicht tatenlos dabei zusehen will, wie die frommen Schwestern sich selbst ihre Existenz zerstören und sie sich nicht eingestehen wollen, wie fern sie der eigentlichen Welt geworden sind – obwohl sie nur Gutes wollen und doch in solch menschliche Schwächen verfallen, denen sie abschwören wollten, als sie in den Orden eintraten.
Das Leben im britischen Kloster hat ihnen das erlaubt und solche Gedanken verbannt, doch die unendliche Weite in der Mopu-Gegend bringt verdrängte Erinnerungen an das, was vor ihren Leben als Schwestern war, wieder ans Tageslicht. Weil überall Versuchungen lauern, weil überall das menschliche Leben pulsiert, weil hier auf einmal eine fremde Kultur ist, die ihrer Hilfe bedarf. Und auf einmal sind sie völlig verloren in diesen irdischen Versuchungen, bei denen der Apfel aus dem Garten Eden in Form von Mr. Dean erscheint, einem frechen, aber doch verführerischen jungen Mann, der Gefühle in den frommen Damen hervorruft, die sie sich niemals eingestehen würden, weil ihre Welt etwas repräsentiert, das mit ihrer neuen Umgebung nichts mehr zu tun hat und wo das Schminken zum Akt des Verrats und der Entweihung wird. In opulenter Bildergewalt, in leuchtenden Farben brillant fotografiert, ist Black Narcissus ein Film über Scheitern. Doch vielleicht hat auch jedes Scheitern etwas Positives: als die Mission ihr abruptes Ende findet weint der Himmel mit dicken Regentropfen.
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