(„10 Rillington Place“, directed by Richard Fleischer, 1971)
“It’s the moral question that concerns me, the taking of life – no matter how rudimentary.”
1944, mitten im Zweiten Weltkrieg, hatte England wohl größere Probleme als den Frauenwürger John Christie. Trotzdem ging er in die Geschichte ein und diente als Vorlage für Richard Fleischers Drama 10 Rillington Place, der die Adresse der ca. 6 Gräueltaten angibt, während die wahre Zahl der Opfer weiterhin im Dunkeln bleibt. Richard Attenborough, seines Zeichens Regisseur und Schauspieler und weit mehr als nur der nette Opa aus Jurassic Park, dessen Maske für den Serienkiller täglich 3 Stunden Zeit in Anspruch nahm, gab zu, wie unkomfortable er sich in seiner Rolle gefühlt habe.
Und doch, so Attenborough, hatte er den Part angenommen, da er den Stoff als bewegendes Statement bzgl. der kapitalen Strafe seitens des Gerichts eines Unschuldigen gegenüber begriff. Der Schauspieler mimt den Serienkiller mit Halbglatze und kleiner Brille, mit gebücktem Gang und leiser Stimme. Er ist der typische Rentner, mit der Ausnahme, dass er noch kein Rentner ist, sondern sich einen kärglichen Verdienst in einem Büro erarbeiten muss, dem er aufgrund eines Rückenleidens auch nicht regelmäßig nachkommen kann. Abends sitzt er mit seiner Frau Ethel (Pat Heywood) vor dem Radio, um klassischer Musik zu lauschen und in Gegenwart des ewigen Brauns und Graus der Einrichtung und Kleidung, könnte man sich wohl kaum ein spießigeres, braves Ehepaar denken, das seine Mieter stets an ihre Pflichten erinnert und kaum Freude in ihrem Leben zu haben scheint. Für John Christie gäbe es da jedoch etwas, das seine ganze Leidenschaft entfacht: Frauen mittleren Alters, die er umbringen kann. Gleich in der ersten Szene wird der Zuschauer Zeuge eines solchen Verbrechens, in dem der Mord zu einem Geschlechtsakt, zum Orgasmus für Christie wird, der hier aus seiner Haut entfliehen und seinen Gelüsten nachkommen kann.
Es ist eine intensive Tötungsszene voller grausam grotesker Leidenschaft und Perversion, die einem dort präsentiert wird, während das Opfer langsam das Lebenslicht aus den Augen verliert. Noch aufregender wird das Dasein für Christie, als er ein junges Ehepaar mit einem kleinen Kind als neue Mieter aufnimmt. Die Evans sind zunächst skeptisch, als sie die potentielle neue Wohnung, bestehend aus zwei Zimmern, betreten und so recht will sich kein Gefühl der Heimat einstellen. Das kann man ihnen nicht verdenken, denn überall bröckelt der Putz von den Wänden, es ist kalt und schmutzig, die Lage beengt und Richard Fleischer hat die absurde Komik dieser Szene begriffen, in dem er gleich hier aufgreift, was bald zu einem zentralen Thema werden wird.
Tim Evans (John Hurt) ist es, der sogleich sagt, sie seien besseres gewohnt, da er gut verdiene. Doch er nimmt die Wohnung. Er ist ein Angeber und nur wenig steckt hinter seinen Prahlereien, die seine Frau Beryl (Judy Geeson) beschämen und auch John Christie durchschaut dieses Spiel schnell. Die Absurdität und vordergründige Komik findet ihren Höhepunkt, als auch noch ein Hund im Garten zu graben beginnt – an dem Ort, an dem der Frauenmörder seine letzte Leiche versteckt hat, während er die Dame begutachtet, zu der er sich neuerdings hingezogen fühlt. Beryl soll die Auserwählte sein und dabei kommt hm das Verhältnis zwischen dem Ehepaar sehr zu gute. Dieses kann man nämlich nur als äußerst angespannt bezeichnen, letztlich kulminierend in ein lautes, aggressives Handgemenge mitten in der Nacht, das den armen Tim als gewalttätigen Ehemann abstempelt, obwohl nur ein Glas Guiness zu viel getrunken hat.
Grund für diese Auseinandersetzung war das Geständnis Beryls, sie erwarte erneut ein Kind – obwohl sich das Ehepaar kein solches leisten kann. Sie beginnt Tabletten zu nehmen, um eine Fehlgeburt herbeizuführen, doch bald erscheint ihr endgültiger Retter in Form von ihrem Vermieter, der vorgibt, vor dem Krieg medizinischer Assistent gewesen zu sein und somit in der Lage wäre, eine Abtreibung vorzunehmen. Während unten im Haus die Maurer zugange sind, erdrosselt Christie Beryl in ihrer Wohnung. Nicht genug – er verwickelt ihren verstörten Ehemann Tim in einen perfiden Plan, der letzteren – aufgrund der Geschichtsschreibung ist das kein Geheimnis – an den Galgen bringen wird. Auf diese Weise entwickelt sich ein raffiniertes Spiel zwischen dem Mörder und dem frisch verwitweten Opfer der neuen Gräueltat, die skurriler Weise bald zu Komplizen werden.
So wird auch hier eine Art der bitterbösen, tiefschwarzen Komik geschaffen, die John Christie, der Frauenwürger von London zu einer recht ausgewogenen und angemessenen Mischung aus böser Groteske, psychologischem Krimi und schwermütigen Drama macht. Am intensivsten wird letzteres in der schier unerträglichen Szene des Ehekrachs zwischen den Evans deutlich, in der sich die Auseinandersetzung unter Gebrüll und Kindergeschrei bis zur Eskalation hochschaukelt. Mittendrin ist ein grandioser John Hurt, der wohl nur wenige Male überzeugender war als in seiner Rolle des Tim Evans, als Schwächling mit ungesunder Hautfarbe, dezenten Augenringen und mit dem träumenden Blick eines Schuljungen, der in seinem Alter nur den Versager verrät, der es in seinem Leben zu nichts bringen wird. Das wird – im Finale wird eben das fatal – von den anderen ausgenutzt, die den Primitiven, der weder lesen, noch schreiben kann, in eine Ecke zwängen, weil sie dort ein leichtes Spiel mit ihm haben.
10 Rillington Place beschäftigt sich intensiv mit seinen Charakteren, mutet teilweise stark wie ein Theaterstück an und wer die Langsamkeit dieser Schilderung nicht gewohnt ist, wird den Film wohl als zäh empfinden, dabei ist allein das Schauspiel der beiden Hauptdarsteller Grund genug, wachsam zu bleiben, um mit zu verfolgen, wie sich auch Attenborough in seine Rolle überzeugend einfühlt, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Er tut das subtil, mit leisen Tönen, der im Verborgenen seine Perversionen auslebt und oberflächlich der spießige und unangenehme Vermieter ist, dem man besser aus dem Weg geht – weg von den deprimierenden Grau- und Brauntönen in der heruntergekommenen Wohnung, die von diesen schalen Farben dominiert werden und ein Verbrechen in dieser Umgebung fast unausweichlich werden lassen. Es ist ein anklagender Film, allerdings ohne erschreckende Bilder über die Konsequenz von falschen gerichtlichen Entscheidungen, weil Fleischer wie Attenborough mit leisen Tönen arbeiten, ohne viel Getöse, welche die Anwälte und Richter eher bloßstellen, denn mit dem Finger auf sie zu zeigen. Wäre das angemessener gewesen?
Anmerkung: Dieser Film ist in Deutschland bislang (Stand: Mai 2011) nicht auf DVD erschienen.
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